Auf der Suche nach dem demokratischen Islam

Ob Islam und Demokratie vereinbar sind, haben Experten am Donnerstag in Berlin diskutiert. Der Großmufti von Bosnien und Herzegowina, Mustafa Ceric, erklärte, der Westen und der Islam seien zivilisatorisch "siamesische Zwillinge". Die Islamwissenschaftlerin Liselotte Abid erklärte den ersten islamischen Staat zum Vorbild in Sachen Demokratie – und traf auf einen scharfen Kritiker.

Von PRO

Nichts geschehe im Westen, was den Islam nicht berühre und umgekehrt, sagte Ceric bei der Tagung "Der Islam in Europa – das Verhältnis von Religion und Verfassung" der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" (EZW) und der "Konrad-Adenauer-Stiftung" (KAS). Die westliche und die islamische Zivilisation seien durch ihre Geschichte eng verwandt. Konfliktherde sieht er vor allem in vier Bereichen: Freiheit, Recht, Wissenschaft und Staat. "Ich bin nicht stolz auf alles, was in diesen vier Bereichen in islamischen Ländern geschieht", sagte er. Der Islam kenne noch keine volle Anerkennung der Legitimität des Staates, das Wissen darum sei in muslimischen Ländern nach wie vor theoretisch. "Die Muslime müssen von Akademikern und Politikern lernen", erklärte Ceric. Er forderte Unterstützung für eine neue Generation von Muslimen, die nicht länger "Marionetten" Dritter seien.

Islamischer Staat: Musterbeispiel für Demokratie?

Die Islamwissenschaftlerin an der Universität Wien, Liselotte Abid, warf einen Blick auf die Ursprünge des Islam und beschrieb den Staat unter Mohammed in Medina als zutiefst demokratisch. Muslime und Nichtmuslime seien dort gleichberechtigte Bürger gewesen, der Prophet vom Volk legitimierter Herrscher. Allerdings gab sie zu bedenken, dass der Staat Medina klein und leicht überschaubar gewesen sei, was auch eine einfache direkte Kontrolle der Macht möglich gemacht habe. Grundsätzlich rechtfertige der Islam Abid zufolge aber die Gewaltenteilung westlicher Staaten. Die Scharia sei entgegen der oft "missbräuchlichen" Verwendung in der Öffentlichkeit kein feststehendes Gesetzesgebäude, sondern ein auslegbares Konstrukt, dass immer die Herstellung von Gerechtigkeit zum Ziel habe. Die Muslime in Europa seien aber gefordert, diese demokratischen Prinzipien hochzuhalten.

Dieser Darstellung widersprach der Politikwissenschaftler beim Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, Marwan Abou Taam, scharf. Auch antidemokratische Kräfte im Islam beriefen sich schließlich auf islamische Wurzeln. Der Urislam habe nicht zu Demokratie geführt. Dennoch könne man durchaus Moslem und Demokrat sein. Seit dem 12. Jahrhundert fänden sich aber keine neuen Koran-Kommentierungen. "Jetzt überlegen Sie, was das für eine politische Kultur in einer sich bewegenden Welt bedeutet", sagte Taam. Auch in Deutschland mangele es der islamischen Religion an Intellektuellen, die fruchtbare politisch-theologische Diskurse führten. Einwürfe der Verbände beschränkten sich allzu oft auf verbandspolitisches Geplänkel.

Deutschland: privilegiertes Christentum

Der Professor für öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin, Christian Waldhoff, warf einen Blick auf das deutsche Recht und erklärte, die Rechtsordnung hierzulande privilegiere das Christentum – verletze dabei aber nicht das Gleichheitsrecht aller Religionen. Aus historischen Gründen stehe die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik dem Christentum am nächsten, auch wenn Deutschland kein christlicher Staat mehr sei, sondern religiös neutral. "Große Teile der Rechtsordnung sind christlich imprägniert, auch wenn sie mit Religion nicht viel zu tun haben", sagte er. (pro)

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