Lichter flackern, der Beat pulsiert, Besucher springen. Unermüdlich feuern die Musiker auf der Bühne den Zuhörern Wortsilben entgegen. Die Besucher erwidern mit euphorischen „Yeah“, „Aaaahh“ und „Jo“-Rufen. Köpfe nicken im Takt. Inmitten der sich rhythmisch bewegenden Menge gestikuliert ein etwa 20 Jahre alter junger Mann wild mit den Armen – das Zeichen für Moshpit. Sofort beginnen Einzelne, mit ausgebreiteten Armen Platz zu schaffen. Ein kleiner Freiraum in der Mitte der Kirche entsteht und formt sich zu einem beachtlichen Kreis. Übermütige Teenager stürmen von einer Seite der runden Fläche zur anderen. Aus einer anderen Ecke ruft eine junge Frau: „Jesus is King“. Der Bass setzt ein. Es gibt kein Halten mehr. Um die 40 Personen rasen aufeinander zu und treffen sich in der Mitte des nun nicht mehr vorhandenen Kreises. Der freie Raum wird ersetzt durch springende Jugendliche, Schweiß und Euphorie – „OneLoveJam 2025“ – das größte Gospelrap-Festival Deutschlands.
Gospel-Rap-Artists tagsüber beim Connecten
Die Opfer Kain und Abels sind wie Rapsongs
Die Gospelrap-Szene hat in Hannover jubiliert. Zum zehnten Mal veranstalteten Rap-Liebhaber das christliche Hip-Hop-Festival „OneLoveJam“, eine Musikveranstaltung, die christlichen Rappern eine Bühne bietet. Dieses Jahr lockte es Hunderte Besucher in die Elim-Gemeinde in Niedersachsen. Das zum Jubiläum zweitägig andauernde Festival bot insgesamt 23 Rappern die Möglichkeit, ihre Kunst zu zeigen. Mit dabei: hallenfüllende Künstler wie die O’Bros, Olli Banjo oder Laruzo. Zudem forderten die Veranstalter Nachwuchskünstler auf – „nach alter Tradition“ –, bei einer Open-Mic-Session ihr Talent unter Beweis zu stellen. Die freien Plätze dafür waren innerhalb kürzester Zeit vergeben.
Das zentrale Thema in Hannover, passend zum Festivalnamen: „One Love“ – Eine Liebe. Es ging um die Liebe zu Jesus Christus, dem, der alle Christen eint und in der Bibel um Einheit bittet. Neben den Abendveranstaltungen waren für die Rapper und Unterstützer der Szene tagsüber verschiedene Programmpunkte geboten. Austausch und Gemeinschaft standen dabei im Vordergrund. In gemeinsamen Gebeten und Andachten richtete sich die „Hip-Hop-Familie“ auf den aus, um den es gehen sollte: Jesus Christus.
Max, aka „Milian“ und ehemaliges Mitglied der Rap-Crew „Double M“, sprach in seinem Input am Samstag davon, wie angefochten diese Einheit in Christus sein kann. Anhand der biblischen Geschichte von Kain und Abel verglich er die Opfer der Söhne Adams mit Rapsongs. Manchmal seien die Musiker versucht, sich mit anderen Rappern zu vergleichen und neidisch über deren Erfolge zu sein. Auch bestehe die Gefahr, dass die eigenen Songs mit christlichem Vokabular bestückt werden, es jedoch – wie bei Kain – nicht mehr um die Ehre Gottes gehe, sondern um den eigenen Erfolg. Max, der unter anderem Texte für den Straßenrapper „AlpaGun“ schrieb, berichtete auch von eigenem Versagen und wie wichtig es war, Gefühle des Neides vor Gott hinzulegen und um Einheit und Liebe mit den Glaubensgeschwistern zu ringen.
Festivalbesucher lassen ihre Freude an den Rapsongs in „Moshpits“ freien Lauf
Manche Fans reisten über neun Stunden an, um dem Sprechgesang zu lauschen. Auf die Frage, was das Faszinierende an Gospelrap sei, erwiderte ein Besucher aus Freising: die Moshpits – und vor allem die tiefgründigen Texte. Doch nicht alle, die da sind, sind eingefleischte Hip-Hop-Fans. Ein etwa 60 Jahre alter Mann ist schlichtweg der Einladung seiner besten Freundin gefolgt. Kontakt zu dem Genre hatte er vorher noch nicht. Eine Mädchengruppe schwärmte wiederum davon, dass es besonders sei, mit den Künstlern persönlich zu sprechen. „Ein bisschen Star-Feeling kommt dabei schon auf. Es ist auf jeden Fall anders, als mit Freunden zu sprechen.“ Diese Erwartung sollte nicht enttäuscht werden. Viele der Musiker nahmen sich nach den Konzerten Zeit, mit den Besuchern zu sprechen.
„Jeder Gospel-Artist ist in seiner Position, weil ihn Gott dorthin gerufen hat.“
Jonny Sox
Was in Hannover deutlich zu spüren ist: Christlicher Rap ist längst keine Nischenerscheinung mehr. Die Künstler erreichen zum Teil mehrere Hunderttausend Hörer auf Online-Streaming-Plattformen. Erst kürzlich erreichten die Brüder Maximilian und Alex von den „O’Bros“ mit ihrem Album To Be Honest Platz eins der deutschen Albumcharts. Ein Zufallsprodukt? Wohl kaum. Seit Jahren netzwerkt die Szene unermüdlich, unterstützt einander und wächst gemeinsam. Schon früh organisierten sich einzelne Künstler in Facebook-Gruppen.
2013 dann der erste große Meilenstein: Der erste „OneLoveJam“. Damals lud der mittlerweile „pensionierte“ Rapper Philip Obrigewitsch aka „Fil da Elefant“ in seine Heimatgemeinde in Esslingen ein. Ziel des Treffens: Rapper mit christlicher Botschaft zu connecten und Beziehungen zu bauen. Mit Erfolg. Kurz darauf gründete sich „Asphalt-Diamant“ – ein Zusammenschluss von christlichen Sprachakrobaten, die ihre Einzelreichweiten bündelten, um die Szene wachsen zu lassen. 2025 ist „Asphalt-Diamant“ ein eingetragener Verein und christliche Rapper chartplatziert. Jonny Sox, Mitveranstalter des Jam in Hannover, ist sich sicher: „Jeder Gospel-Artist ist in seiner Position, weil ihn Gott dorthin gerufen hat.“
„Ich habe die Jugend verseucht“
Jordan Larbie alias „Laruzo“ hat diesen Ruf ebenfalls erlebt. Der aus Dortmund stammende Rapper erreichte mit dem Lied „247“ vor acht Jahren über Nacht ein Millionenpublikum. Die Jahre darauf war sein Leben geprägt von Blitzlicht, Drogen und Geld. Er selbst spricht von der „dunkelsten Zeit seines Lebens“. Eines Tages habe ihn sein Management angerufen und mitgeteilt, dass sein Labelvertrag aufgrund schlechter werdender Zahlen nicht fortgesetzt werde. Jordan, der nicht wusste, wie es weitergehen sollte, öffnete sein Handy und landete bei einem Musikvideo des Gospelrappers „Pray“. Während er das Video sah, wusste er: Gott ruft ihn. Auch er solle für Christus rappen. In einem Gespräch mit PRO bringt er es auf den Punkt: „Ich habe auf einmal meine Berufung verstanden. Ich hatte zwar mein Talent genutzt – aber in eine komplett falsche Richtung. Ich habe es für die Welt genutzt. Mit meinen Texten habe ich Drogen und Waffen verherrlicht – ich habe die Jugend verseucht. Gospelrap macht das nicht. Es klingt vielleicht für ältere Zuhörer befremdlich wegen der Beats oder weil manche von uns musikalisch wie Straßenrap klingen. Aber wenn man genauer hinhört, hört man den absoluten Mehrwert raus: das Evangelium, die erlösende Botschaft von Jesus Christus.“
Olli Banjo auf dem „OneLoveJam 2025“
Der Rapper Olli Banjo, der unter anderem bereits Songs mit Xavier Naidoo, Kool Savas und Sido veröffentlichte, äußert seine Motivation ebenfalls deutlich. Für ihn sei es nie eine Überlegung gewesen, wen seine Musik anspreche und wen nicht. „Es ist in allererster Linie wichtig, dass alle Menschen Christus kennenlernen und eine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen.“ Das „Wie“ ist vielseitig gestaltbar. Sein Sprachrohr sei eben auch die Rap-Musik.
„Das ist so simpel, einfach auf den Text hören.“
Die Zeit ist vorangeschritten. Die Handyuhr zeigt kurz nach Mitternacht. Es war ein langer Tag und die Beine sind schwer. „Zhermey“ und „MalGwen“, zwei Rapper aus Österreich, kommen breit grinsend zum Interview. Sie setzen sich beflügelt in die gemütlichen Sessel. Ihre Berichte jedoch sind zunächst alles andere als beflügelnd. Sie erzählen von einem Leben, das geprägt war von der Straße, von Kriminalität und dem Streben nach Ruhm und Erfolg. „Doch Gott hat uns gerettet und uns neu gemacht. Wir durften unser altes Leben komplett hinter uns lassen. Alle Musikvideos, die wir vorher auf YouTube veröffentlicht hatten, haben wir gelöscht.“ Während sie sprechen, stolpert „MalGwen“ kurz über ein Wort. Er und „Zhermey“ schauen sich eine Millisekunde an und beginnen synchron zu rappen:
„– Gott starb für die Welt – tauschte sein Geist für kein Geld – denn Jesus Christ ist und bleibt – mein Fundament –.“
MalGwen lächelt Zheremy an und sagt: „Das ist so simpel, einfach auf den Text hören.“