Auf Augenhöhe?

Nach Krankenhausaufenthalten, Operationen und Reha kommt hier die neue Kolumne von Jürgen Mette. Dass er derzeit teilweise auf den Rollstuhl angewiesen ist, verschafft ihm eine bisher unbekannte Perspektive.
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Da bin ich wieder, ob es Ihnen gefällt oder nicht, liebe Leserinnen und Leser.

Ich war drei Monate in diversen Kliniken und fühle mich nun wieder schreib- und sprachfähig, obwohl ich noch nicht ohne Unterarmstützen (Krücken), Rollator und Rollstuhl unterwegs sein kann. Menschen nicht mehr auf Augenhöhe begegnen zu können, darauf angewiesen zu sein, dass mein Gegenüber sich zu mir herabneigt, oder mit dem Eindruck zu leben, dass Menschen über mich hinwegschauen, ist eine Erfahrung, die manchem von uns gut tun würde. Mir hat vor Jahren einmal ein Kollege, der sich selbst für sehr wichtig hielt, gesagt: „Jürgen, du bist nicht wichtig!“ Heute weiß ich, dass er Recht hatte. Alles lief ohne mich wunderbar. Frei nach dem Motto: „Wo ich bin, da klappt es nicht. Und überall kann ich nicht sein.“

Meine Frau oder mein Fahrer fahren und schieben mich zu meinen Vortragsterminen. Barrierefreier Zugang zur Bühne ist selten gewährleistet. Irgendwie klappt es doch noch in letzter Minute. Auf einmal begegne ich charmantem Personal, hilfsbereiten Menschen, die alles tun, um mir meine Immobilität zu erleichtern. Solche Menschen sind Engel.

Engel Gottes im Einsatz für mich

So wie Gotthilf und Hilde! Ich liege nach achtstündiger Kopf-OP im Katharinen-Hospital in Stuttgart und sehne den Sonnenaufgang herbei. Und um 6 Uhr bekomme ich Lust auf eine frische, noch ofenwarme Laugenbrezel. Plötzlich kommt Hilde ins Zimmer, schneidet frische Brezeln auf, buttert sie hauchdünn und reicht mir die Leibspeise bröckchenweise.

Oder in Regensburg im Krankenhaus „Barmherzige Brüder“: Ein früherer Geschäftspartner der Stiftung Marburger Medien kommt vorbei und bringt mir eine Flasche Bier mit. Meine Schwägerin versorgt mich mit hessischer „Ahle Worscht“. Ein Regensburger Pastor kommt vermittelt durch einen gemeinsamen Bekannten vorbei, segnet und tröstet mich in ganz feiner Weise, obwohl seine Frau selbst in der Klinik liegt. In Bad Gögging besucht mich der künftige Generalsekretär der Evangelischen Allianz, und zwar mit dem Fahrrad: mit der Bahn von München bis Ingolstadt und von dort mit dem Bike nach Bad Gögging. Oder vorigen Sonntag in Gera, wo Pastor Christoph Lenzen scheinbar nur für mich predigt. Engel Gottes im Einsatz für mich.

Ich bin beschämt. Und ich weiß nun ganz neu, was es bedeutet, was der Kranke am Teich Bethesda so ausgedrückt hat: „Herr, ich habe keinen Menschen, der mich ins heilende Wasser bringt!“ (Johannes 5,7).

Dieses Angewiesensein auf die Hilfe anderer. Dieses Gefesseltsein am Schreibtisch, mich am ersten Mai nicht auf mein Mountainbike schwingen und losradeln zu können. Das ist ein Verlust an Freiheit. Da bleibt mir nur der Respekt vor allen, die nicht nur interimsweise immobil sind. Und der Dank für solche wie die Engelin Hilde und viele andere, die einfach nur selbstlos verfügbar sind.

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