Attacken im Internet: Jugendliche und das Cyber-Mobbing

Cyber-Mobbing oder Cyber-Bullying nennt man den Trend, andere im Internet bloßzustellen, lächerlich zu machen oder zu verleumden. Ein Phänomen, dem immer mehr Schüler, aber auch Lehrer zum Opfer fallen. pro-Redakteurin Ellen Nieswiodek-Martin über einen gefährlichen Trend im Internet.
Von PRO

Mobbing hat es an Schulen wohl zu allen Zeiten gegeben. Ein oder mehrere Schüler werden verspottet, ausgelacht und schikaniert. Zielscheibe sind meist Jungen oder Mädchen, die nicht beliebt sind, irgendwie „anders“ sind und die sich vor allem schlecht wehren können. Was früher mit Worten oder Handgreiflichkeiten passierte, hat sich jedoch längst auf interaktive Medien verlagert. „Wir haben festgestellt, dass insbesondere das so genannte Cyberbullying in sozialen Netzwerken wie SchülerVZ deutlich zugenommen hat“, bestätigt Thomas Günter, Justiziar bei der Initiative jugendschutz.net. 
Mobbing per Internet und Handy betrifft auch immer mehr Lehrer: Nach einer repräsentativen Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vom Mai 2008 sind in Deutschland etwa acht Prozent der befragten Lehrer von Cyber-Mobbing betroffen. Allerdings gaben 31 Prozent an, von Fällen aus dem Kollegen- oder Bekanntenkreis gehört zu haben.

Bei den Schülern liegt der Prozentsatz deutlich höher. Das Zentrum für empirische pädagogische Forschung (ZEPF) in Koblenz hat bei einer Untersuchung zum Thema herausgefunden, dass die Hälfte aller Befragten innerhalb von zwei Monaten direktes Mobbing selbst erlebt hat. Spott, Hänseleien oder Gewalt erfahren vor allem Grundschulkinder, in der weiterführenden Schule steigt die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Cyber-Mobbing zu werden. Rund 20 Prozent der befragten Schüler gaben an, bereits Zielscheibe von Internet-Mobbing gewesen zu sein.

Da werden Verleumdungen auf Internet-Plattformen wie SchülerVZ veröffentlicht oder peinliche oder verfälschte Bilder und Videos eingesetzt, um andere gezielt zu schikanieren. Auf Websites werden die „hässlichsten Kinder der Schule“ gekürt oder Rundmails verschickt, in denen gemeine Gerüchte über andere verbreitet werden.

Fraglich, ob denjenigen, die solche Bösartigkeiten in die (Web-)Welt setzen, eigentlich das Ausmaß ihrer Schikanen klar ist. Denn es hat andere Auswirkungen, ob „Petra ist doof“ an der Tür der Schultoilette zu lesen ist oder ob eine Rundmail verschickt wird, in der schlimmste Verleumdungen verbreitet werden. „Die durch Cyber-Mobbing bedrohten Personen fühlen sich mehr bedroht als durch offen ausgetragenes Mobbing, da man sich über den PC sehr öffentlich gemacht und ausgeliefert fühlt“, sagt eine Lehrerin. Jugendliche nutzen die modernen Medien – doch meist nicht zum Guten.

Bloßstellung durch Handyvideos

Als häufigste Art des Mobbing im Internet gaben Schüler an, dass sie beleidigt oder dass Gerüchte über sie in die (Cyber-)Welt gesetzt wurden. Aber auch der Ausschluss aus Gruppen, Chats oder bei Onlinespielen, die Weitergabe persönlicher E-Mails und vertraulicher Nachrichten sind häufig angewandte Taktiken, um einen anderen Schüler zu verletzen. In manchen Kreisen scheint es eine Art „Sport“ zu sein, andere in peinlichen Situationen mit dem Handy zu filmen, beispielsweise auf der Toilette, bei einem Sturz oder sonstigen Missgeschicken. Derartige Videos werden dann von Handy zu Handy geschickt, in Internet-Videoportale eingestellt oder per Instant Messenger als Datei versendet.

Oft erfahren Betroffene erst viel später, was über sie im Internet kursiert. Zwar müssen Portale wie Youtube oder Myvideo Videos entfernen, wenn diejenigen, die darauf zu sehen sind, das wünschen. Es ist aber so gut wie unmöglich, die Daten vollständig aus dem Verkehr zu ziehen. Viele Schulen versuchen, des Trends mittels Handyverbot Herr zu werden. Trotzdem kursiert in den Videoportalen eine große Zahl an Videos, auf denen Lehrer zu sehen sind. Fast immer zeigen die qualitativ eher schlechten Videos Unterrichtssituationen, in denen Schüler den Lehrer ärgern, Unterricht boykottieren und die Lehrkraft provozieren, bis er oder sie ausrastet. Diese Videos geben übrigens auch einen ernüchternden Einblick in den täglichen Schulalltag.

Schüler nutzen derartige Mittel, um sich bei unbeliebten Lehrern zu „rächen“. Schüler verwenden die Namen ihrer Lehrer, um sich in Sexchats anzumelden. Extreme Fälle waren bisher die Montage von Lehrerporträts in pornographische Fotos oder sogar in Hinrichtungsvideos. Laut dem deutschen Philologen-Verband sind dies keine Einzelfälle mehr. „Inzwischen gibt es in Deutschland wohl keine weiterführende Schule mehr, die nicht schon negative Bekanntschaft mit der Tendenz, Lehrer anonym im Internet zu mobben, gemacht hat“, erklärt Hans-Peter Meidinger, der Bundesvorsitzende des deutschen Philologenverbandes.

„Lehrer müssen und mussten immer schon mit Kritik leben“, so Meidinger. „Als Pädagoge, der mit Jugendlichen arbeitet, darf man dabei auch nicht zu empfindlich sein. Was sich allerdings derzeit im Internet abspielt, hat mit Schülerscherzen oder Spaß nichts mehr zu tun.“ Er kritisiert auch die Internetseite „spickmich.de“: Dort verteilen Schüler Noten für Lehrer der eigenen Schule. „Die dort eingeforderten Noten über das Aussehen und den Sexappeal von namentlich genannten Lehrern verstoßen eindeutig gegen deren Persönlichkeitsrechte!“, sagt Meidinger. Der Philologenverband forderte daher bereits vor einem Jahr ein schärferes Vorgehen gegen Internetmobbing. Die Leiterin des GEW-Vorstandsbereichs Schule, Marianne Demmer, warnte dagegen vor „einer Dramatisierung des Phänomens“.  Erforderlich seien ein professioneller Umgang mit dem Problem und die Unterstützung der Betroffenen.

Mehrere Lehrer zogen gegen das Internetportal bereits vor Gericht und wurden abgewiesen. Beispielsweise urteilte das Kölner Landgericht, die Benotung von Lehrern durch Schüler im Internet sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung rechtmäßig. Und der Trend geht weiter: unter www.schulradar.de können nun auch Eltern die Lehrer ihrer Sprösslinge benoten.

Als Hauptverursacher des Internetmobbing nannten die Betroffenen Mitschüler und Freunde. Das Institut ZEPF fand heraus, dass 70 Prozent der Täter männlich und im Alter zwischen 11 und 20 Jahren sind. Die Anonymität des Internet bringt es allerdings mit sich, dass rund 22 Prozent der Täter nicht identifiziert werden können.

Wie reagieren die Opfer

Bei der ZEPF-Umfrage sagte ein großer Teil der Betroffenen, sie würden sich nach Internetmobbing nichts anmerken lassen. Eine weitere Gruppe gab an, Tränen nahe zu sein und nicht zu wissen, was sie tun sollten. Andere Schüler reagierten eher aktiv, sie drohten Schläge an oder mobbten zurück.
Experten befürchten, dass Diffamierung und Beleidigungen im Internet zu erheblichen psychischen Schäden bei den Betroffenen führen können. Dass die Täter meist unbekannt bleiben, beunruhigt die Opfer und schürt Verfolgungsängste. Man kann sich leicht vorstellen, dass es belastend und auch beängstigend sein kann, wenn Opfer  nach Internetattacken wieder in die Schule gehen müssen, ohne zu wissen, wer dahinter steckt. Und das betrifft Schüler und Lehrer gleichermaßen.

Laut der GEW-Studie hatten Mobbing-Attacken bisher selten gravierende Konsequenzen für die Täter. In wenigen Ausnahmefällen wurde ein Täter von der Schule verwiesen. Meist bleibt es bei Gesprächen mit dem Schüler, den Betroffen und Eltern.

Auf der Internetseite www.bullying.org rät Bill Belsey, Präsident der kanadischen Stiftung Bullying.org, allen Betroffenen, die Kommunikation mit den Kindern aufrecht zu erhalten, viel mit ihnen zu reden und sie darauf vorzubereiten, was sie erwartet und was sie tun können, wenn es sie mal erwischt. Die englischsprachige Website www.cyberbullying.ca stellt kostenloses Material und Videos zum Einsatz in Schulen zur Verfügung.

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