„Aschenputtel im Medienzeitalter“

"In der heutigen Gesellschaft ist die Sucht nach Aufmerksamkeit allgegenwärtig geworden", behauptet der renommierte Medienwissenschaftler und Buchautor Bernhard Pörksen. In einem Interview sprach er über die Ursachen und Folgen von Casting-Shows und Reality-TV.

Von PRO

Der Grund für den großen Quotenerfolg von Casting-Shows sei die Sucht nach Aufmerksamkeit, sagte Pörksen in einem Interview mit dem Medienportal "Meedia". Überall präsentiere sich die heutige sogenannte "Castinggesellschaft" vor unbekanntem Publikum, ob durch Fotohandys, soziale Netzwerke oder Blogs. Derzeit wird wieder für "Germany’s Next Topmodel" gecastet. Es habe natürlich seinen Reiz, wenn sich Aufmerksamkeit und Beachtung in Bargeld verwandeln könnten. Pörksen sieht in der Botschaft der Casting-Shows, das Märchen von "Aschenputtel im Medienzeitalter". Den Menschen würde vermittelt, dass sie ihrem unbekannten Dasein entkommen und neu anfangen könnten. "Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, auf der Bewusstseinsbühne eines Publikums eine Rolle zu spielen", sagte Pörksen und erklärte, dass sich die Vorstellung von Prominenz in der heutigen Zeit sehr verändert habe. Heute sei der Star nicht mehr der ewig Unerreichbare, sondern ein möglicher Konkurrent in einem Spiel, bei dem jeder meint, mitmachen zu können. "Nicht-Prominente sehen sich zunehmend als Noch-nicht-Prominente." Casting-Show-Teilnehmer würden immer offener, Privates, Intimes und Primitives gegen Publizität einzutauschen.

Den Produzenten gehe es aber nicht darum, den Teilnehmer mit seinem eigenen Charakter zu präsentieren. Sie seien vielmehr Lieferanten von Stereotypen und Klischees. "Zu besetzen sind immer die gleichen Rollen: die Zicke, der Streber, die Naive, der Underdog, die Peinliche und das verkannte Genie", behauptet Pörksen. "Wer stattfinden will, muss eine dieser Rollen verkörpern und außerdem das eigene Privatleben als Reservoir für rührende oder schockierende Geschichten zur Verfügung stellen."

"Sozialporno statt Lebenshilfe"

Viele Produzenten und Formatmacher von Casting-, Coaching- oder Realityshows rechtfertigen ihre Sendung damit, dass sie therapieren und helfen wollen. Pörksen nennt dies einen "Sozialporno", bei dem nur scheinbar aufgeklärt und privates Schicksal dramatisiert werde. Das Interesse an öffentlich praktizierter Lebenshilfe sei geheuchelt. Es würden strategisch Konflikte inszeniert und Emotionen manipuliert, um dem Zuschauer ein Kontrastprogramm zu seiner Normalität zu bieten. "Das einfache Leben hat keine Chance." So etabliere sich immer mehr eine künstlich gestaltete Realität mit Laienschauspielern. Die sogenannte "Scripted Reality" (als Drehbuch geschriebene Wirklichkeit) werde im Stil einer Dokumentation präsentiert.

Ein Merkmal unserer "Castinggesellschaft" ist laut Pörksen eine ständige Unsicherheit, da oft nicht zwischen Inszenierung und Realität unterschieden werden kann. "Gleichzeitig wächst aber die Sehnsucht nach Gewissheit und echter Information." Deshalb sei eine genaue Medienforschung und mutiger Enthüllungsjournalismus heute so notwendig. (pro)

Zu diesem Thema sprach pro mit Christen, die an Casting- und Reality-Formaten mitwirken. Lesen Sie mehr in der neuen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, die am 21. Oktober erscheint.

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