„Art and Press“: Katalysator für das Schreckliche

Medien sind ebenso brutal wie flüchtig. Das zumindest zeigen Werke von Andy Warhol, Joseph Beuys oder Anselm Kiefer derzeit im Berliner "Martin-Gropius-Bau". Die Ausstellung "Art and Press" vereint 55 der größten zeitgenössischen Künstler der Gegenwart.

Von PRO

Auf den ersten Blick wirken sie fröhlich, die acht jungen Krankenschwestern, die Gerhard Richter für sein Werk "Acht Lernschwestern" porträtiert hat. 46 Jahre ist das nun her, und so sehen die hübschen Frauen auch aus – ganz im Stil der 60er, mit Bändern in den glatt frisierten Haaren oder schlichtem Pony. Wie bei so vielen Exponaten der Ausstellung "Art and Press – Kunst.Wahrheit.Wirklichkeit." entpuppt sich das Grauen auch bei den "Lernschwestern" erst bei näherer Betrachtung. Gemeinsam haben die acht Mädchen nämlich, dass sie alle schon seit Jahrzehnten tot sind. Richter hat ihre Bilder aus der Zeitung. Es sind Porträts aus Nachrufen oder Vermisstenanzeigen. Denn alle sind Opfer eines Serienmörders geworden. Auch Andy Warhol ist bei seinen weltbekannten Siebdruck-Bildern "Five Deaths" oder "Ambulance Desaster" ähnlich verfahren. Auch seine Bilder von Autounfällen stammen aus der Tagespresse, er hat sie als Vorlage für seine Kunst benutzt, um die Grausamkeit zu zeigen, die jeden Tag umgibt und jederzeit über die Menschen hereinbrechen kann. Katalysator für das Schreckliche ist hier die Presse.

"Neuigkeiten, die wir vergessen, sobald wir sie gehört haben"

"Art and Press" zeigt, wie Künstler mit Medien arbeiten – und über sie urteilen. Die einen nehmen Bilder und verfremden sie, die anderen schaffen durch das Kombinieren von Zeitungsausschnitten neue Sinnzusammenhänge. Einer dieser Künstler ist Robert Rauschenberg. Seine Kollage "Arcadien Survey" füllt eine ganze Raumlänge. "Die brandneuen Neuigkeiten, die Neuigkeiten, die wir vergessen, sobald wir sie gehört haben, die wollte ich zu meinem Material machen", hat er einst darüber gesagt. Seine Installation verbildlicht die Infoflut, der Medienkonsumenten ausgesetzt sind. Eingefärbte Zeitungsausschnitte, die schon verblassen, zeigen Werbung neben Kunst, bunte Muster neben Anzeigen. Während das Auge noch über die Fläche streift, hat es das zuvor Gesehene schon vergessen. Rauschenbergs Kollage entstand 1977 und ist doch Sinnbild für das, was Medienkonsumenten auch heute noch erleben.

Vor einem anderen Medien-Phänomen warnt Barbara Kruger mit ihrem eigens für die Ausstellung kreierten "Denkraum". "Hütet euch, in die Pose des abgeklärten Zuschauers zu verfallen, denn das Leben ist kein Schauspiel, ein Meer von Leid ist keine Bühne, ein Mensch, der schreit, ist kein tanzender Bär", zitiert sie an einer Wand den Poeten Aimé Césaire. Wer den "Denkraum" betritt, schreitet über deutsche Zeitungsausschnitte, allesamt beschäftigen sie sich mit dem Thema Integration. Es geht um Abschiebungen, um Gastarbeiter, ja sogar um den Massenmörder Anders Breivik, der seine Taten nationalistisch rechtfertigte.

Nur einen Raum weiter zeigt sich, was die Massen 1961 bewegte: Der Eichmann-Prozess. Eine originalgetreu nachgebaute schusssichere Kabine erinnert an die Verhandlung gegen den Nazi-Verbrecher, die mit seinem Todesurteil endete. Doch statt auf den Richter, würde Eichmann, säße er in dieser Kabine, auf eine ganze Wand voller Zeitungsstapel blicken. Zu seiner Linken sähe er ein Förderband, wie es beim Zeitungsdruck verwendet wird, und an dessen Ende einen Haufen zerrissener und vom Winde verwehter Zeitungsseiten liegt, die zu sagen scheinen: Alles vergeht. Doch das Erinnern ist Aufgabe der Medien. Auch deshalb steht es nocheinmal oberhalb der Installation von Gustav Metzger: "Vergangenheit ist, was nicht vergeht".

Ein Thron für Steve Jobs

Wer sich nach all der Tageszeitungs-Bezogenheit dieser Ausstellung fragt, wo denn die modernen Medien geblieben sind, kommt ebenfalls auf seine Kosten. Ein komplettes Stockwerk im "Martin-Gropius-Bau" wurde mit "iPads" bestückt, die jeweils Bilder von und Informationen über Künstler zeigen, die sich mit den Medien beschäftigt haben. Es scheint fast, als throne hier der verstorbene und zum Retter der Zeitung auserkorene "Apple"-Erfinder Steve Jobs über allen Dingen. Vor allem auch über der im Mittelpunkt der Ausstellung stehenden Installation "Die Buchstaben" von Anselm Kiefer. Genau eine Etage tiefer, im Innenhof des Gebäudes verteilt und von oben einsichtig, stehen Druckermaschinen und -pressen. Doch sie wirken wie in der Zeit vergessen. Aus ihren Drähten, Metallstreben und Papierrollen wuchern grau-braune Blumen, ganz so, als wären sie nur noch ein Relikt vergessener Tage. (pro)

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