ARD verschiebt „Tatort“-Folge über Zwangsheirat

Die Ausstrahlung einer Folge des "Tatort", die am Sonntag im Ersten gesendet werden sollte, wird abgesetzt. Der Film befasst sich unter anderem mit dem Thema Zwangsheirat unter türkischen Migranten. Die Folge spielt in Ludwigshafen, wo am Wochenende neun Türken bei einem Brand ums Leben kamen.
Von PRO

SWR-Intendant Peter Boudgoust erklärte, mit der Entscheidung nehme der Sender „Rücksicht auf eine große Trauergemeinde, deren Gefühle wir nicht verletzen wollen“, berichtet das Online-Portal der „Frankfurter Rundschau“. Angesichts der Anteilnahme für die Opfer „hätte die Gefahr bestanden, dass eine herausragende Produktion völlig falsch verstanden wird“.

Nach Boudgousts Worten ist „Schatten der Angst“ eine stimmig inszenierte, spannende Liebesgeschichte, die zwar im deutsch-türkischen Milieu spiele, „mit der aktuellen Diskussion um die Hintergründe des Großbrandes in Ludwigshafen vom Sonntag aber nichts zu tun“ habe.

Der Krimi „Schatten der Angst“ mit Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal soll nun am 6. April nachgeholt werden. An diesem Sonntag wird stattdessen die Wiederholung der „Tatort“-Folge „Roter Tod“ ausgestrahlt, in der es um das Thema Aids geht.

„Sinnvoller, auf Tatort zu verzichten“

Zuvor hatten die Linkspartei und das Soziale Netzwerk Deutschland eine Verschiebung des Sendetermins gefordert. „Wir sind uns aber sicher, dass die Ausstrahlung der vorgesehenen Tatortfolge mit der Lokalität Ludwigshafen, dem türkischstämmigen Migrantenmilieu sowie dem sensiblen Thema Zwangsheirat am Sonntag auf jeden Fall nur zur Unzeit stattfinden könnte“, zitiert das Nachrichten-Portal „Welt-Online“ aus einem Schreiben der Initiative, die sich nach eigenen Angaben „ausdrücklich nicht gegen die Ausstrahlung der Tatortfolge als solcher“ wendet.

Auch nach dem Wunsch des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) sollte die Folge nicht gesendet werde, berichtet „FR-online“. Er habe SWR-Intendant Peter Boudgoust gebeten zu prüfen, ob es nicht sinnvoll sei, auf den „Tatort“ zu verzichten, sagte Beck in Mainz. Die „Täterstruktur“ in der Handlung des Fernsehkrimis liege im „türkischen Milieu“, so der Ministerpräsident. Die Entscheidung liege aber natürlich beim SWR.

Bei dem Brand in Ludwigshafen kamen am Wochenende neun Menschen ums Leben.  Türkische Zeitungen hatten im Zusammenhang mit dem Hausbrand über mögliche rechtsradikale Hintergründe berichtet und dies mit Hakenkreuz-Symbolen und Bildern von Graffiti mit ausländerfeindlichen Parolen illustriert.

„Tatortfolge ist Tabubruch“

In der umstrittenen „Tatort“-Folge wird der türkische Inhaber eines Imbisslokals von einem Unbekannten überfahren. Was für das LKA nach einer weiteren Tat einer Mordserie an türkischen Kleinunternehmern aussieht, stellt sich für die Ludwigshafener Mordkommission bald ganz anders dar. Die Witwe des Opfers lebte in einer arrangierten Ehe. Lange konnte sie sich gewisse Freiheiten bewahren, doch irgendwann beugte sie sich dem Druck ihrer Familie. Vieles spricht für ein Verbrechen im Familienmilieu.

Proteste innerhalb der türkischen Gemeinde gegen die Ausstrahlung scheinen vorprogrammiert zu sein. Das Nachrichten-Portal „Welt-Online“schrieb am Mittwoch, die neue Tatort-Folge käme „einem nicht geringen Tabubruch gleich“: Der Film, so heißt es, koppele die Beweggründe für einen Mord unmittelbar an ein religiös unterfüttertes Familiendrama. Und dieses, berichtet „Welt-Online“, könne sich auch nur auf der Basis von Wertvorstellungen ereignen, die in Mitteleuropa nicht akzeptabel wären.

Sturm der Empörung nach „Tatort“ über Aleviten

Im vergangenen Dezember hatte die ARD bereits schon einmal einen „Tatort“ ausgestrahlt, in dem es um einen Mord im Migrantenmilieu ging. In der Folge „Wem Ehre gebührt“ sollte das Verbrechen „lediglich“ den Inzest in einer alevitischen Familie vertuschen. Mehr als zehntausend Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft demonstrierten daraufhin gegen die Krimiserie. Sie warfen den Filmemachern vor, uralte Vorurteile wieder aufleben zu lassen und sogar zu bestätigen.

„Schatten der Angst“ greift sogar einen realen Fall auf: Vor drei Jahren wurde die damals 22-jährige Hatun Sürücü in Berlin von ihrem Bruder ermordet: Sie wollte ihr eigenes Leben führen und hatte sich von dem Mann losgesagt, mit dem sie zwangsverheiratet worden war. (PRO)

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen