Die ARD-Journalistin Tamara Anthony hat Judenhass hautnah erlebt. In einem Tagesthemen-Kommentar erzählte die Jüdin sehr persönlich von dieser Erfahrung – und warnte vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland.
Schon die Kippa reicht oft, um antisemitischen Hass auf sich zu ziehen, meint ARD-Journalistin Tamara Anthony
„Juden sollten in die Gaskammer“, sagte der Mann im Anzug zu Tamara Anthony, als sie vor einiger Zeit in einer Hamburger Kneipe im schicken Stadtteil Pöseldorf mit Freunden feiern war. „Ich bin Jüdin“, entgegnete sie ihm, „du willst mich also ermorden?“. Seine Antwort: „In dem Fall, ja.“
Bisher hatte Anthony Judenhass nie persönlich erlebt. Nur von Bekannten, die Kippa tragen, habe sie „Schlimmes gehört“. Beschimpfungen wie „Scheißjude“ seien keine Seltenheit, oder dass man in der U-Bahn bespuckt werde. Doch diese Begegnung in der Kneipe hat die Journalistin mit Fragen konfrontiert: „Wollen wir das akzeptieren? Akzeptieren, dass man sich in Lebensgefahr begibt, wenn man in Deutschland zu erkennen gibt, dass man Jude ist?“, fragte sie in den Tagesthemen.
Laut Studie zunehmender Antisemitismus
Erst vergangenen Sonntag hatte der israelische Diaspora-Minister Naftali Bennett der Knesset einen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass über 40 Prozent der Europäer antisemitische Ansichten haben. Der Antisemitismus habe „eine noch nie dagewesene Ebene erreicht“, beurteilte er die Lage. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu forderte anlässlich des internationalen Holocaustgedenktags am Dienstag Widerstand gegen den zunehmenden Antisemitismus.
Wie Anthony in dem Kommentar erzählt, gebe es in Berlin Bezirke, in denen nur zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde es wagten, mit Kippa herumzulaufen. Sie leben in Bezirken mit vielen Zuwanderern aus arabischen Staaten. Einer dieser Juden mit Kippa sei innerhalb einer Woche so oft angegriffen worden, dass er seine Kippa nicht mehr trage.
„Das ist widerlich“, resümiert die ARD-Journalistin. „Und ich habe Angst, dass diese Leute sich durch Pegida & Co nun auch noch bestärkt fühlen. Dem Antisemitismus deutscher und arabischer Prägung muss die Stirn geboten werden. Und diese Aufgabe darf nicht allein den Juden überlassen werden.“
Die zahlreichen Reaktionen auf Anthonys Kommentar waren mit ausdrucksstarken Worten wie „Judensau“ gefüllt. Viele Einträge mussten daher laut der Zeitung Jüdische Allgemeine gelöscht werden. Im privaten Umfeld hingegen wurde die Journalistin vielfach gelobt für ihre klaren Worte, auch als „mutig“ wurde ihr Kommentar bewertet.
„Wir werden die Kippa weiterhin tragen“
Auch in Frankreich setzte nach den Attentaten eine Debatte über das Tragen der Kippa im öffentlichen Raum ein. Vor zwei Wochen hatte der Vorsitzende des israelitischen Konsistoriums in Marseille, Zvi Ammar, Juden davor gewarnt, die Kippa in Frankreich offen zu tragen. Sie sollten so lange darauf verzichten, bis „bessere Zeiten“ kommen, sagte er. Juden seien in Frankreich zum Ziel geworden. Kurz zuvor war ein jüdischer Lehrer bei einem Angriff mit einer Machete leicht verletzt worden. Die Konsistorien vertreten die Interessen der Juden in Frankreich.
Frankreichs Großrabbiner Haïm Korsia sagte: „Wir dürfen aber nicht klein beigeben“, sagte er AFP. „Wir werden die Kippa weiterhin tragen.“ Der Präsident des jüdischen Dachverbands (Crif), Roger Cukierman, sprach schlicht von „keiner guten Idee“, die jüdische Kopfbedeckung abzunehmen. Das käme einer Niederlage und einer Selbstaufgabe gleich. Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte, der Staat werde „alle seine Kinder“ und die Religionsfreiheit beschützen.
Marseille hat mit 70.000 Mitgliedern die zweitgrößte jüdische Gemeinde Frankreichs nach Paris. Schon mehrfach waren jüdische Bürger dort in den vergangenen Monaten das Ziel von Attacken. Auch bei den islamistischen Angriffen vom Januar 2015 waren vier Juden getötet worden. Israel verzeichnete nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr einen neuen Rekord an jüdischen Einwandern aus Frankreich. (pro)
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