Antisemitische Tendenzen bei Nöstlingers „Gurkenkönig“?

Es gibt Autoren, die haben ganze Kindergenerationen geprägt. Eine von ihnen ist Christine Nöstlinger. Die österreichische Schriftstellerin steht jetzt in der öffentlichen Kritik. Ihr Buch "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" soll antisemitische Untertöne aufweisen.
Von PRO

Vor zwei Wochen startete eine Debatte über rassistische Begriffe in den Kinder-Romanen von Astrid Lindgren und Otfried Preußler. Stein des Anstoßes bei Nöstlinger ist die Hauptfigur ihres Romans "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig": Der König trägt den hebräischen Namen "Kumi-Ori". Der Name ist an eine Stelle aus dem biblischen Jesaja-Buch angelehnt, die einen zentralen Raum in der Liturgie für den Sabbatabend im Synagogen-Gottesdienst einnimmt: "Mache dich auf, werde Licht". Damit trage der Gurkenkönig auch den Namen Jerusalem, schreibt der polnische Germanist Lothar Quinkenstein im aktuellen "Tagesspiegel".

Die Hauptfigur des Romans "Gurkenkönig" wird als arrogant und anmaßend dargestellt. Der Protagonist stiftet Unfrieden, lügt und intrigiert in der Familie Hogelmann. Letzten Endes wird er von einem Teil der Familie "abserviert". "Wir haben es mit einer Geschichte zu tun, die der Aufklärung huldigt, indem sie die Ungerechtigkeit einer abgelebten Staatsform deutlich macht, und zugleich das Ressentiment bedient, indem sie das Übel mit dem Judentum verbindet. So setzt die Geschichte ihr Anliegen selbst außer Kraft", meint der Publizist Lothar Quinkenstein in seinem Beitrag im "Tagesspiegel".

"Wir pfeifen auf Jerusalem"

Quinkenstein kritisiert, dass man seinen Spaß mit einem Buch habe, dessen Titel eigentlich laute: "Wir pfeifen auf Jerusalem". 1973 hatte das Buch "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" den Deutschen Jugendbuchpreis in der Kategorie "Kinderbuch" gewonnen. Die Begründung der Jury lautete damals: "Mit aller wünschenswerten Deutlichkeit und Differenziertheit werden Denkanstöße gegeben, die nicht ermüden oder verdrießen, weil die phantasievolle Autorin dem jungen Leser aktuelle Probleme spannend und humorvoll vermittelt."

Unterdessen nannte Christine Nöstlinger Quinkensteins Vorwürfe auf Anfrage der Tageszeitung "Die Welt" "völlig absurd" und erklärte, den Namen in Paul Celans Gedicht "Du sei wie du" entdeckt zu haben, das mit den Worten "kumi / ori" endet. Daraufhin habe sie die 1995 verstorbene jüdische Kinderbuchautorin Mira Lobe um eine Übersetzung gebeten. "Es war schwarzer Humor, ganz privat für mich, diesen fürchterlich konservativen Menschen, gegen den da revoltiert wird, ‚Erhebet euch‘ zu nennen", so Nöstlinger. "Dass das Jerusalem ist, das sich da erheben soll, habe ich überhaupt nicht gewusst." Antisemitismus liege ihr fern, wie ihr Buch "Maikäfer, flieg" zeige. Dort sei der einzig sympathische Soldat ein russischer Jude.

Nöstlinger warb in der aktuellen Debatte um rassistische Begriffe in Kinderbüchern für einen Dialog mit den Kindern. Entsprechende Begriffe könnten markiert werden, um anschließend vernünftig mit den Kindern darüber zu reden: "So wie sie verstehen, dass in einem Buch, das vor 30 Jahren geschrieben wurde, die Kinder kein Handy, aber einen Plattenspieler haben, so würden sie auch verstehen, dass damals das Wort Neger üblich war und verändertes Bewusstsein veränderte Sprache bringt", meinte Nöstlinger gegenüber "Zeit Online". Rassismus sei eine Gesinnung, an der sich leider wenig ändere, wenn man Wörter abschaffe: "Wer meint, ein bestimmtes Buch könnte einen Schaden in Kinderseelen anrichten oder Minderheiten verletzen, muss es nicht erwerben. Und Bücher, die nicht gekauft werden, sind schnell weg vom Markt."

Nöstlinger hat über 100 Bücher veröffentlicht und ist damit eine der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautorinnen im deutschsprachigen Raum. Aus ihrer Feder stammen auch die Figuren "Gretchen Sackmeier" und "Rosa Riedl", das Schutzgespenst. In vielen ihrer Bücher stehen Außenseiter im Mittelpunkt. (pro)

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