Anja Lehmann: „Ich muss hinter der Botschaft stehen“

 Nach sieben Jahren Pause bringt die Sängerin Anja Lehmann im September ihr neues Album "Beautiful" heraus. Dass Pause bei ihr nichts mit Rasten zu tun hat, zeigt ihr Werdegang. In den vergangenen Jahren machte sie ihr zweites Staatsexamen als Lehrerin, trat bei Festivals und Kongressen auf und machte sich einen Namen als Vocal-Coach. Warum es nun Zeit für ein neues Soloprojekt wurde, welche Erfahrungen sie auch auf dem säkularen Markt gesammelt hat, und warum Vermarktung auch für einen christlichen Künstler wichtig ist, sagt sie im pro-Interview.

Von PRO

pro:
Was ist Lobpreis für Dich?

Anja
Lehmann:
Musik ist eine Art von Lobpreis. Wenn ich Gott in mein Leben
hineinreden lasse, wenn ich ihn über alles stelle und ihn als höchste Instanz
akzeptiere, ist das auch Lobpreis. Mein ehrliches Herz ihm gegenüber und ihm zu
gehorchen ist Lobpreis. Trotzdem möchte Gott sich auch sehr gerne besingen und
bespielen lassen. Er mag es übrigens auch laut.

Ist alles, was Du machst, Lobpreis?

Es ist sicher ein Teil davon, aber das allein würde dem Lobpreis nicht gerecht. Aber was ich musikalisch ausdrücke, spiegelt zumindest immer etwas von meiner Beziehung zu Gott wider. Oft verarbeite ich musikalisch Fragen, die ich mir selbst stelle oder finde Antworten: Gott ist größer, ich mache mich auf, ihn zu preisen, aber genauso bringe ich ihm meine Klagen.

In den letzten Jahren hast Du viel mit anderen Leuten zusammengearbeitet und wenig selbst produziert. Besteht dadurch die Gefahr, dass Du Dich verzettelst?

Ja, das glaube ich schon. Ich lerne andererseits auch viel, etwa, flexibel zu sein, und gleichzeitig darf ich mich selbst nicht verlieren. Ich muss immer wissen: Gott hat etwas ganz Spezielles nur in mich hineingelegt. Ich glaube, meine neue CD zeigt, dass mein eigener musikalischer Werdegang nicht zu kurz gekommen ist. Alles braucht seine Zeit zum Reifen. Ich habe erst einmal das Referendariat gemacht, weil ich Bodenhaftung behalten wollte und mich im Berufsleben zurechtfinden möchte. Trotzdem habe ich nie die Vision aus den Augen verloren. Das neue Album zu machen, war mein lange gehegter Wunsch. Ich hatte das Gefühl, in mir sammelt sich so viel an, das raus will. Selbst wenn es keiner hören wollte, wäre es für mich wichtig gewesen, dass das rausgeht.

Dein erstes Album war ja recht poppig, das zweite sehr experimentell. Beim neuen Album "Beautiful" scheint es, als gingest Du wieder zu den Wurzeln zurück.

Ich finde, das erste und das neue Album haben ganz wenig miteinander zu tun. Insgesamt ist es Pop, aber mit ganz vielen R’n’B- und Soul-Elementen. Dieses Album geht viel mehr in die Richtung, die mir musikalisch gefällt. Das erste war sehr von anderen Leuten beeinflusst, weil ich da nichts selber geschrieben habe. Das zweite war sehr experimentell, weil ich fast alles geschrieben habe und viel im Arrangierprozess dabei war und gelernt habe, wie man das überhaupt macht. Ich habe beim neuen Album noch mehr arrangiert und selber produziert, aber immer in Zusammenarbeit mit anderen. Es war gut, die Sachen mit anderen gemeinsam zu reflektieren.

Du hast auch Lobpreisalben gemacht. Wie viele andere, hast Du alte Lieder neu aufgelegt. Das gibt es immer wieder, gerade auf dem christlichen Markt. Wieviel Vermarktung verträgt Lobpreis?

Ich glaube nicht, dass Lobpreis dadurch seine Kraft verliert, aber möglicherweise die Attraktivität. Ich unterscheide meine Alben auch nicht in Lobpreis-Alben und andere. Den Lobpreis-Stil gibt es nicht. Diese Musik ist nur ein bestimmter Stil, der singbar ist, bei dem Gemeinden mitmachen – aber auch manchmal nur ein abgekupferter Stil. Das kann langweilig werden, aber an Kraft verliert es nicht. Das habe ich beim "Calling All Nations"-Event in Berlin gemerkt. Ich sollte zum x-ten Mal das Lied "Come, now is the Time to Worship" singen und war im Vorfeld ziemlich gestresst. Trotzdem nahm ich mir vor, entschieden vor Gott zu treten und das Lied mit Kraft zu singen, was auch seine Wirkung hatte.

Du hast einmal von Deinen Erfahrungen in der säkularen Szene berichtet und wie Du den Produzenten damals einen Korb gegeben hast. Was war da los?

Ich sollte damals darüber singen, dass ein Mann rechtfertigen wollte, warum er gerade fremdgegangen ist. Im Lied entschuldigte er das mit seiner Menschlichkeit. Das fand ich nicht gut. Jeder macht Fehler, teilweise auch bewusst, aber es ist dann wichtig umzukehren. Die Erklärung "Ich bin nur ein Mensch" war mir zu billig. Wenn ich als Sängerin Dinge singen soll, hinter denen ich nicht stehe, dann singe ich sie auch nicht. Das gilt aber auch für die christliche Szene, auch wenn mir das da noch nie passiert ist. Ich will nicht, dass man mir etwas aufdrückt.

Ist die Versuchung groß, sich etwas aufdrücken zu lassen, gerade bei einem Comeback, wie Du es jetzt vorhast?

Ich sehe das nicht als Versuchung. Das Wichtigste im Leben für mich ist nicht, dass ich eine Sängerin bin und auch nicht, dass ich viel Geld verdiene. Ich will aufrichtig sein – in all meinen Lebensbereichen. Ich will mich nicht verleugnen, auch nicht für Geld.

Wie wichtig ist Vermarktung für einen christlichen Künstler?

Früher habe ich immer gedacht: Schreibt meinen Namen nicht so groß auf das Cover. Aber ich habe gelernt, dass Marketing ein ganz normales Prinzip und ein wichtiges Instrument ist. Es ist nicht mein Steckenpferd, aber ich habe Leute kennengelernt, an deren Herzen und Motivation ich nicht zweifle und die für mich Mittel und Wege suchen, um mein Album bekannt zu machen. Vermarktung ist wichtig, aber sie darf nicht albern sein. Die Grenze ist erreicht, wenn jemand mit einem Anja-Lehmann-T-Shirt herumläuft. Es geht nicht um mich, sondern um das, was ich zu sagen habe.

Das heißt, für einen christlichen Künstler, der auf dem christlichen Markt unterwegs ist, gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten, wie für einen Künstler auf dem säkularen Markt?

Reinheit macht den Unterschied. Sowohl in der inneren Haltung als auch äußerlich. In der weltlichen Szene gilt oft "Sex sells". Diese Sparte will ich nicht bedienen. Dieses Betonen der Laszivität habe ich auch schon erlebt. Dagegen positioniere ich mich allerdings nur so, wie es mir angenehm ist und denke: Das bekommst du, mehr nicht. 

Du kommst aus einem musikalischen und gleichzeitig christlichen Elternhaus. Hattest du eine andere Chance, als christliche Musikerin zu werden?

Ja, vielleicht hätte ich eine andere Chance gehabt. Es hat mich keiner dazu gedrängt. Im Gegenteil: Es war eher so: "Musik ist doch ein brotloser Job, mach lieber was Richtiges." Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich unbedingt hauptamtlich Musikerin werde. Aber manchmal denke ich, dass das nicht nur unser Weg ist. Wir entscheiden uns zwar an verschiedenen Meilensteinen oder Kreuzungen für geradeaus, links oder rechts. Aber eigentlich habe ich das in die Hand genommen, was mir vor den Füßen lag. Es hat sich gezeigt, dass ich mit meiner Stimme viel machen kann. Wenn man etwas im Herzen hat, dann geht man dem nach. Ja, ich glaube, ich hätte mich auch anders entscheiden können. Und manchmal wäre es auch leichter gewesen.

Was war so negativ?

Manche Kommentare, die man zu hören bekommt. Harte Vorurteile. Es gab schon Leute, die wollten am Anfang gar nicht mit mir reden, weil ich die Anja Lehmann bin. Es hieß: Die ist sicher arrogant. Hinterher reden sie doch mit einem. Man muss oft zuerst auf die Leute zugehen und freundlich zu ihnen sein. Wenn man es nicht ist, wiegt es viel schwerer. Dann erzählen die Leute man sei zickig, obwohl sie einen gar nicht kennen. Natürlich gibt es auch ganz viel Liebe und Gunst, die einem einfach so entgegen kommt. Ich werde wegen meines Namens auch oft ganz herzlich empfangen oder besonders behandelt. Es hat beide Seiten – ein ganz "normaler" Beruf wäre manchmal auch nicht so übel. 🙂 

Trotzdem gehst du diesen Weg nun wieder…

Weil ich auch positive Reaktionen bekomme. Ein Mädchen schrieb mir nach einem Konzert: "Ich wollte nicht mehr leben, aber nach dem, was Du heute gesagt hast, habe ich wieder Mut." Dann denke ich: Das habe ich gar nicht verdient. Gott, was machst Du? Ich kann mir gar nicht rausnehmen, undankbar zu sein, oder zu sagen das möchte ich nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Anna Wirth.

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