Angetrieben von der frohen Botschaft

Was trieb Martin Luther an, für seine neue Lehre halb Europa gegen sich aufzubringen und sein Leben zu riskieren? Die Nationale Sonderausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ in Wittenberg zeigt, dass es dem Reformator vor allem um das Seelenheil ging, dass er aber auch über geistliche Fragen hinaus Menschen nach ihm herausforderte und inspirierte. Jonathan Steinert hat die Ausstellung besucht.
Von Jonathan Steinert
Unter dem Titel „3xHammer“ laufen derzeit drei Nationale Sonderausstellungen in Deutschland, die sich mit Martin Luthers Leben und Wirken befassen. In Wittenberg geht es darum, wie Luther zu dem wurde, was er war, und wie er andere beeinflusst hat.

Als Martin Luther nach Wittenberg kam, war er gerade mal 25 Jahre alt, Student und Mönch. Dort lebte er, dort liegt er begraben, von dort veränderte er die Welt. Wie kam er dazu? Was prägte ihn? Was trieb ihn an? Was erhoffte er sich? Diese Fragen eröffnen die Nationale Sonderausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ im Wittenberger Augusteum. Ein trefflich gewählter Ort für diese Fragen, denn das Augusteum ist der Ausgangspunkt von Luthers Wirken: Es gehört zu der Universität, an der er einst studierte und auf deren Gelände er lebte und arbeitete.

Anhand von „95 Schätzen“ – Objekten, „die Luther gesehen, gehört, berührt oder benutzt haben mag“ – zeichnet der erste Teil Luthers Entwicklung zum Reformator nach. Zu sehen sind etwa Gemälde, die das Leben und das Denken zur Zeit Luthers charakterisieren, Gegner und Weggefährten zeigen; Dokumente und Schriften, Luthers Thesen und sein persönliches Testament; eine Laute – die Luther selbst spielen konnte; des Reformators Schreibkasten, sein Reiselöffel, den er an seinen Mitstreiter Caspar Aquila verschenkte, die Taschenuhr seines Freundes Philipp Melanchthon – und einen mittelalterlichen hölzernen Toilettensitz, denn wie aus seinen Tischreden überliefert ist, kam ihm seine wegweisende theologische Erkenntnis offenbar beim Klogang: „Diese Kunst hat mir der Heilige Geist auf dieser Cloaca auf dem Turm gegeben.“

Historischer Toilettensitz: Martin Luther soll an chronischer Verstopfung gelitten und daher viel Zeit auf der Toilette zugebracht haben. Dabei kam ihm wohl auch so mancher Einfall. Foto: Tim Hufnagl
Historischer Toilettensitz: Martin Luther soll an chronischer Verstopfung gelitten und daher viel Zeit auf der Toilette zugebracht haben. Dabei kam ihm wohl auch so mancher Einfall.

Bibel ist Luthers wichtigster Bezugspunkt

Die Exponate als „Schätze“ auf dem Weg Luthers zu bezeichnen, wirkt etwas hochgestochen. Denn sie sind insgesamt weder besondere Stücke aus dessen Nachlass, noch haben sie alle unmittelbar mit dem Mann zu tun. Vielmehr dokumentieren sie seine Zeit und seine Entwicklung. Dabei wird eindrücklich deutlich, was der Kern der Reformation war: Luthers von Angst getriebene Suche nach einem gnädigen Gott. Und seine Erkenntnis, dass die Menschen keine Angst vor Gott und seiner Strafe haben müssen – wie es die Kirche damals propagierte –, sondern durch den Glauben aus Gnade selig werden. Das sei für ihn so befreiend und frohmachend gewesen, dass Luther möglichst viele Menschen das habe wissen lassen wollen. Aspekte, die beim Reformationsgedenken sonst eher eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen.

Die Zeit Luthers war von großen Entdeckungen geprägt, wie die Installation zeigt: Als Luther neun Jahre alt war, segelte Christoph Kolumbus erstmals nach Amerika. Nikolaus Kopernikus, zehn Jahre älter als der Reformator, stellte fest, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Foto: Thomas Bruns
Die Zeit Luthers war von großen Entdeckungen geprägt, wie die Installation zeigt: Als Luther neun Jahre alt war, segelte Christoph Kolumbus erstmals nach Amerika. Nikolaus Kopernikus, zehn Jahre älter als der Reformator, stellte fest, dass sich die Erde um die Sonne dreht.

Aufschlussreich ist auch eine multimediale Installation, die Luthers Lebenshorizont ausleuchtet, sein Verhältnis zu neuen wisenschaftlichen Entdeckungen, zu Fremdem beschreibt. Ein weltläufiger „Kosmopolit“ war Luther demnach nicht. Er war vor allem in Mitteldeutschland verhaftet. Er interessierte sich offenbar vielseitig, aber stand dem Drang nach neuem Wissen auch skeptisch gegenüber. Die Bibel war die Hauptquelle seines Wissens und der wichtigste Bezugspunkt seines Denkens, heißt es. Indem die Austtellung Luther in den Kontext seiner Zeit setzt und das vorherrschende Denken aufzeigt, bekommt der Besucher einen Eindruck davon, wie politisch und gesellschaftlich brisant und persönlich riskant die reformatorischen Thesen und Umwälzungen waren.

Von Gustav II. Adolf bis Steve Jobs

Wer die Tür zum zweiten Teil der Schau, „95 Menschen“, öffnet, hört zuerst die Filmmusik zu „Winnetou“ und läuft dann geradewegs auf dessen legendäres Gewehr, die Silberbüchse, zu. Sind wir noch in der richtigen Ausstellung? Durchaus. Während im ersten Teil der Fokus darauf lag, was Luther prägte, steht nun im Mittelpunkt, wen er prägte. Nicht nur mit seiner Theologie der Rechtfertigung aus Gnade, sondern auch mit seinem Verständnis von Arbeit, Gemeinschaft, von Bekenntnis, Nächstenliebe, der Sprache und mit anderen Themen. So sei Luthers Ziel von Kirche die Gemeinschaft von Gläubigen gewesen – nicht eine starre Institution. Der Schriftsteller Karl May, Schöpfer des Apachen-Häuptling Winnetous, griff diesen Gedanken auf: Winnetou stirbt in den Romanen nach dem Zeugnis seines Blutsbruders Old Shatterhand als Christ – Glaube als völkerverbindendes Element.

95 Persönlichkeiten werden hier präsentiert, von Schwedenkönig Gustav II. Adolf, der im Dreißigjährigen Krieg auf Seiten der Protestanten kämpfte und fiel, bis zum Gründer des Technologieunternehmens Apple, Steve Jobs, der in der lutherisch geprägten Mittelschicht aufgewachsen ist.

Diesen Mantel soll der schwedisch König Gustav II. Adolf getragen haben, als er im Dreißigjährigen Krieg für die protestantischen Truppen kämpfte und starb. Womöglich durch den Schuss, der auf der rechten Seite ein Loch hinterließ. Foto: Photo The Royal Armoury, Stockholm
Diesen Mantel soll der schwedisch König Gustav II. Adolf getragen haben, als er im Dreißigjährigen Krieg für die protestantischen Truppen kämpfte und starb. Womöglich durch den Schuss, der auf der rechten Seite ein Loch hinterließ.
Etwa dreihundert Jahre später bettete seine Landsfrau Astrid Lindgren die Geschichten ihrer Kinderbücher in ein evangelisch geprägtes Umfeld ein Foto: akg images/AP
Etwa dreihundert Jahre später bettete seine Landsfrau Astrid Lindgren die Geschichten ihrer Kinderbücher in ein evangelisch geprägtes Umfeld ein
Der afro-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King benannte sich nach dem Wittenberger Reformator Foto: akg images/AP
Der afro-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King benannte sich nach dem Wittenberger Reformator

Sie beziehen sich alle – mehr oder weniger direkt – auf Ideen Luthers. Für die Sozialwissenschaftlerin und Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann, Erfinderin der Theorie von der Schweigespirale, war Luther ein Vorbild, weil er als Einzelner gegen die öffentliche Meinung standhielt. Der Philosoph Friedrich Nietzsche kritisierte an Luther, dass er die Kirche rettete, bevor sie unterging, schätzte aber seine Leistungen für die deutsche Sprache. Der Schriftsteller Thomas Mann fühlte sich wiederum von Luthers Leidenschaft und mitunter groben Sprache abgestoßen.

Ein weiter Horizont

Astrid Lindgren, Sophie Scholl, Joseph Ratzinger – die Bandbreite der Personen, die von Luther inspiriert waren und sind, oder die sich an ihm reiben, ist groß, das legt die Schau nahe – und die Palette der Themen ist es auch. Es bleibt an einzelnen Punkten manchmal etwas unklar, wie unmittelbar sich die präsentierten Personen auf Luther beziehen; oder ob sie schlicht Ansichten vertraten, die bei dem Reformator auch vorkommen.

Da am Anfang der Ausstellung vor allem dessen Glaube und seine Theologie erklärt und hergeleitet werden, überrascht es zunächst, dass die Fortführung so viele verschiedene Positionen des Reformators thematisiert, die vorher zum Teil nicht vorkamen. Das zeigt jedoch auch, wie vielfältig der Wirkungskreis des Wittenberger Mönchs ist. Perspektivisch schließt diese Zusammenstellung somit direkt an die „95 Schätze“ an und weitet den Horizont für das, was von der kursächsischen Residenzstadt ausging.

„Gott schenkt dir seine Liebe“

Für Kinder gibt es auf einem weiteren Stockwerk die Mitmach-Ausstellung „Der Mönch war’s“. Dabei erklärt Luthers Hund Tölpel, wie das Leben zur Zeit der Reformation in Wittenberg zuging und was Luther den Menschen mitteilen wollte: „In der Bibel steht, dass Gott dir seine Liebe schenkt – einfach so.“ Die jungen Besucher können eigene Thesen stempeln, Luthers Thesen per Post verschicken, in der Kutsche des Kurfürsten Platz nehmen oder einer Vorlesung an der Uni lauschen.

Die Ausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“ ist eine von drei Nationalen Sonderausstellungen, die sich in diesem Jahr mit dem Leben und Wirken des Reformators beschäftigen. Die anderen sind auf der Wartburg in Eisenach sowie im Deutschen Historischen Museum Berlin zu besichtigen. Sie laufen noch bis November. (pro)

Von: jst

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