„Ich habe meinen Glauben nie als Monstranz vor mir hergetragen“, sagt Nahles gegenüber der FAS. Dennoch bestimme ihr Glaube wichtige Entscheidungen in ihrer Politik mit. „Die Entscheidung, aktive Christin zu werden, habe ich einige Jahre vor dem Entschluss getroffen, in der SPD aktiv zu sein.“ Mit neun Jahren sei sie Messdienerin geworden, mit 14 in eine ökumenische Jugendgruppe gegangen. „Das waren frühe Prägungen, sie haben meinen Wertekodex bestimmt. Und daraus leite ich mein politisches Engagement ab.“
Themen wie Spätabtreibung christlich gesehen
Die SPD habe „immer eine Tradition, Leute aus den Kirchen und deren Positionen zu integrieren“, so Nahles. Gerade bei Themen wie Embryonenschutz und Spätabtreibung habe sie als Christin „Stellung beziehen“ wollen. „Deshalb habe ich jetzt meine Karten auf den Tisch gelegt.“ Abtreibung an sich halte sie nicht für eine Sünde. „Aber ihr muss eine gründliche Gewissensentscheidung vorausgehen.“ In dieser Woche entscheidet der Bundestag über eine Neuregelung von Spätabtreibungen. Zum Unterschied zwischen einer normalen Abtreibung und einer Spätabtreibung sagt Nahles: „Im Streit über den Paragraphen 218 ging es um den Umgang mit ungewollten Schwangerschaften. Bei den Spätabtreibungen handelt es sich immer um eine gewollte Schwangerschaft. Die werdende Mutter erfährt also durch eine Diagnose, dass das Kind behindert sein wird. Das ist ein Schock für alle. Abgewogen werden muss der Wert behinderten Lebens auf der einen Seite und auf der anderen die Sorge der werdenden Mutter, das Leben mit einem nicht gesunden Kind überhaupt bewältigen zu können.“
Sie unterstütze einen Antrag von CDU/CSU, der FDP und einer Gruppe von Sozialdemokraten, der eine bessere psychosoziale Beratung von Schwangeren fordert, die mit der Diagnose „schwer behindertes Kind“ konfrontiert werden. „Außerdem wollen wir eine Frist von drei Tagen festschreiben, die zwischen der Diagnose einer Behinderung und einer Spätabtreibung liegen muss. 40 Prozent der Spätabtreibungen finden in den ersten drei Tagen nach der Diagnose einer Behinderung statt.“ Heutzutage werde die Aussicht auf die Geburt eines behinderten Kindes so negativ gesehen, dass Druck auf die Mütter ausgeübt werde, es abzutreiben. „Manche Frauen, die ihre Schwangerschaft haben abbrechen lassen, erzählen mir später, sie hätten sich mit weniger Druck vielleicht anders entschieden. Viele Frauen fühlen sich überhaupt nicht genügend beraten.“
Die Reporter der FAS stellen fest: „In der Union machen nur drei Prozent der Bundestagsabgeordneten keine Angaben zu ihrer Konfession, in der SPD 42 Prozent.“ Nahles meint: „Wenn Abgeordnete keine Angaben zur Religion machen, dann ist das ihr gutes Recht. Ich bin kein Missionar. Viele Leute wollen heute nicht mehr Mitglied einer Kirche sein. Ich erwarte allerdings, dass das religiöse Bekenntnis und das aktive Leben des Glaubens akzeptiert werden.“ Sie ist überzeugt: „Christsein kann nie folgenlos bleiben, nicht privat und nicht politisch. Ich wäre nie in der SPD gelandet, wenn ich nicht zuvor eine christliche Prägung erfahren hätte. Ich habe mich in der SPD eher in der Gefolgschaft von Jesus Christus wiedergefunden, und zwar wegen dem Parteiprogramm und dem, was die SPD verkörpert. Christsein ist nicht das Ritual, sonntags in die Kirche zu gehen.“
Ihr Lieblingskirchenlied sei „O Jesu, all mein Leben bist Du“. „Ein altes, trauriges Lied, das mir schon als Kind sehr zu Herzen gegangen ist.“ (PRO)