Amoklauf: Rügen für die Presse

Wenn Medien über einen Amoklauf berichten, muss dabei der Schutz der Opfer im Vordergrund stehen. Bei der Berichterstattung über den Amoklauf in Winnenden hatten etliche Journalisten diesen Grundsatz nicht beachtet. Der Deutsche Presserat hat die entsprechenden Medien abgemahnt und zwei öffentliche Rügen ausgesprochen.
Von PRO
79 Leser hatten sich über die Berichterstattung über den Amoklauf beim Presserat beschwert. In 47 Fällen hatte der Deutsche Presserat Beschwerdeverfahren eingeleitet.  Besonders der Umgang der Medien mit den Opfern gab Anlass zu Beanstandung (pro berichtete). So wurde das Foto eines Holzkreuzes, auf dem der volle Namen einer der Verstorbenen zu lesen war, ebenso kritisiert wie die volle Namensnennung von Opfern mit Vor- und Nachnamen. Durch diese Praxis werden die Opfer für die Öffentlichkeit komplett identifizierbar. "Opfer von Unglücksfällen oder von Straftaten haben Anspruch auf besonderen Schutz ihres Namens", heißt es in den Richtlinien des Deutschen Presserates.

Nun griff der Presserat in einer gemeinsamen Sitzung mit Experten aus der Wissenschaft das brisante Thema nochmals auf. Bei der Sitzung in Berlin wurde über mögliche Folgen von Berichterstattungen über Amokläufe diskutiert. "Medienberichte dürfen nicht zu weiteren Opfern führen", so Rüdiger Wulf, Kriminologe und Viktimologe der Universität Tübingen. Gäste und Mitglieder des Presserates waren sich einig, dass der "Grat zwischen der Wahrnehmung des öffentlichen Auftrags der Medien und presseethischen Grenzverletzungen"  sehr schmal sei. Immerhin könne "eine gewisse Form der Berichterstattung" mögliche Nachahmungstäter bestärken.

Bei der Berichterstattung über den Täter forderte Professor Herbert Scheithauer, Entwicklungspsychologe und Wirkungsforscher von der Freien Universität Berlin, die Journalisten zu mehr Zurückhaltung auf: "Nicht den Täter und seine Motive in den Vordergrund rücken, sondern die Tat, keine Klischees fördern, keine Bilder vom Täter zeigen und keine Namen nennen."

Die Ethik-Experten kritisieren vor allem ein Video, das die Selbsttötung des Amokläufers auf einem Parkplatz zeigte. "Die Darstellung seiner Selbsttötung ist durch das öffentliche Interesse nicht mehr begründet, verletzt seine Menschenwürde und ist unangemessen sensationell", betonte Wassink. Die Filmsequenz hatte ein Passant per Handykamera aufgenommen. Eine Tageszeitung hatte das Video auf ihren Onlineseiten zur Verfügung gestellt, außerdem wurde die Filmsequenz im Fernsehen ausgestrahlt. Während der Deutsche Presserat für TV-Inhalte nicht zuständig ist, gelten die Regeln des Pressekodex grundsätzlich auch für Bewegtbilder, die in den Online-Ausgaben von Printmedien eingestellt und dort abrufbar sind. Die Heroisierung des Täters müsse tabu sein ebenso wie "der beinahe comicartig nachgespielte Hergang der Tat geht zu weit", so Wassink weiter.

Michael Jackson: "Bild"-Berichterstattung verletzte Menschenwürde

Weitere Rügen sprach der Presserat gegenüber "Bild" und dem Internetportal "Bild Online" wegen der Berichterstattung über den Tod von Michael Jackson aus. "Bild" hatte ausführlich über den Tod des Popstars sowie den mit der Todesnachricht einhergehenden Klatsch und Tratsch berichtet. In einer Ausgabe zeigte "Bild" ein Foto des aufgebahrten Stars auf der Titelseite, überschrieben mit den Worten: "Hier verliert er den Kampf um sein Leben". Diese Kombination aus Bild und Überschrift suggeriere den Lesern, sie könnten dem Popstar "beim Sterben zusehen", kritisierten die Presse-Experten. Eine solche Vorgehensweise verstoße gegen die Menschenwürde.

Auch das offensichtlich digital bearbeitete Foto bei "Bild Online", das den Toten entstellt und ohne Haare zeigte unter dem Titel: "So muss Michael Jackson bei der Obduktion ausgesehen haben", wurde gerügt. "Die Darstellung ist ein schwerwiegender Eingriff in die postmortalen Persönlichkeitsrechte", so der Presserat. Details über den Zustand der Leiche, die zudem auf Spekulationen beruhen, gehörten in die Privatsphäre des Verstorbenen.

Der Deutsche Presserat ist die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse und bearbeitet Beschwerden der Leser. Jede Person kann sich beim Presserat über Zeitungen, Zeitschriften und seit dem 1.Januar 2009 auch über journalistisch-redaktionelle Beiträge aus dem Internet beschweren, sofern es sich nicht um Rundfunk handelt. Die Beschwerde ist kostenlos.

http://www.presserat.info/beschwerde.0.html
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