Amerika, der „religiöse Supermarkt“

Viele Christen in Amerika wechseln mindestens ein Mal im Laufe ihres Lebens die Kirche und wissen dabei wenig über die Lehrinhalte ihres Glaubens – besonders Katholiken sind schlecht informiert. Darauf hat der Theologe Uwe Siemon-Netto in einem Beitrag in der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" hingewiesen.
Von PRO

"Das Problem vieler Amerikaner ist, dass sie zwar glauben, aber nicht wissen, was sie glauben", zitiert Siemon-Netto den lutherischen Superintendenten Daniel Harmelink aus Kalifornien. Amerikaner neigten dazu, sich ihre eigene Religion wie in einem Supermarkt zusammenzustellen und dabei von Kirche zu Kirche zu wechseln – 44 Prozent aller US-Christen machten dies mindestens einmal im Leben. Dabei schrumpften besonders die eher liberalen protestantischen Traditionskirchen ("Mainline-Kirchen"), während ein "ungestümes Wachstum evangelikaler und charismatischer Großgemeinden" (so genannter "Megachurches") zu beobachten ist. Insgesamt, schreibt Siemon-Netto, gehören rund 100 Millionen Amerikaner der evangelikalen Bewegung an und stellen ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

Auch die katholische Kirche in den USA wächst – vor allem dank der zahlreichen Einwanderer aus Lateinamerika. Der Religionswissenschaftler Gerald R. McDermott vom "Roanoke College" in Virginia bemerkt dazu: "Die katholische Kirche leidet in den USA unter ihrem eigenen Erfolg". Der Grund: Sie habe nicht genügend Priester, um die steigende Zahl von Anhängern zu betreuen. Der katholische Bischof von Dallas, Kevin Farrell, spricht von "Kulturkatholiken", die sich aufgrund ihrer Familientradition für katholisch halten, aber wenig über die Dogmen der Kirche wissen.

51 Prozent der Katholiken für Abtreibung

Die Katholiken seien laut einer Studie des "Pew Forum on Religion and Public Life" die Gruppe mit den größten Defiziten beim religiösen Wissen. 41 Prozent wussten bei der Umfrage nicht, dass ihre Kirche die Lehre vertritt, Brot und Wein seien buchstäblich Jesu Leib und Blut. Gerade viele "Kulturkatholiken" würden auch in ethischen Fragen kaum anders denken als die Anhänger der liberalen "Mainline"-Kirchen: So befürworten 51 Prozent der amerikanischen Katholiken das Recht auf Abtreibung, 42 Prozent unterstützen auch "gleichgeschlechtliche Ehen".

Laut der "Pew"-Studie weisen jedoch auch andere Glaubensgemeinschaften deutliche Wissenslücken auf. Über die Hälfte der Protestanten wusste demnach nicht, dass Martin Luther der Vater der Reformation war. 40 Prozent aller Juden hätten nicht gewusst, "dass Moses Maimonides (1135-1204) der vielleicht bedeutendste jüdische Philosoph war". Weniger als die Hälfte aller US-Christen sei in der Lage, die Autoren der vier Evangelien aufzuzählen, 75 Prozent der Evangelikalen meinen, das Sprichwort "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott" sei in der Heiligen Schrift zu finden.

Neben den "Megachurches", schreibt Uwe Siemon-Netto, blühen auch "kleine, strenggläubige reformierte, anglikanische und lutherische Glaubensgemeinschaften, die sorgsam auf ihre konfessionellen Konturen achten", auf. Gespräche mit Konvertiten hätten als Grund dafür ein neues Bewusstsein für die "Erbsünde" ergeben: "Ein ausgeprägtes Sündenbewusstsein hat sich unter nachdenklichen post-modernen Amerikanern breitgemacht". Gerade in politisch und wirtschaftlich schweren Zeiten würden sich diese Menschen dann den traditionellen Gemeinden zuwenden.

Der Journalist und Theologe Uwe Siemon-Netto ist Gründer des "Center for Lutheran Theology and Public Life" in St. Louis, das zum "Concordia Seminary", einem Seminar für protestantische Theologie, gehört. Journalistisch war er unter anderem für die "Associated Press", den Axel-Springer-Verlag, den "stern" und als Kolumnist für das Christliche Medienmagazin pro tätig. (pro) 

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