Alles was Recht ist

Als am 10. Dezember 1948 die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von der Generalversammlung der Vereinten Nationen deklariert wurde, war den Völkern der weltumspannende Krieg noch vor Augen und in den Knochen. Hatten bereits nach dem Ersten Weltkrieg Pazifisten eine neue Weltfriedensordnung gefordert, so wurde drei Jahre nach dem Kriegsende und unter dem Eindruck von rassistisch motivierten Völkermorden in Europa und Asien die Frage nach dem Menschsein und Menschenrechten erneut bedacht. Ein Kommentar von Egmond Prill
Von PRO
Am 10. Dezember vor 69 Jahren wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet

So atmet vor allem die Präambel den Geist des Aufbruchs der Nationen nach Tyrannei und Terror, wo es u.a. heißt:

„Da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, dass einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt, …da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung von Mann und Frau erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen in größerer Freiheit zu fördern,…verkündet die Generalversammlung diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal.“

Und so verabschiedete die Vollversammlung in 30 Artikeln Sätze zum allgemeinen Völkerrecht und individueller Menschenrechte.

Aufbruch der Menschenrechte

Die Geschichte der Menschenrechte reicht zurück in die Zeit des anderen großen europäischen Krieges, der als Dreißigjähriger Krieg bei den Überlebenden grundsätzliche Fragen nach Recht und Unrecht aufwarf. Hugo Grotius (Huig de Groot) gilt als Vater des Völkerrechtes. 1625 veröffentlichte er seine Schrift „Das Recht des Krieges und des Friedens“. Vor dem Hintergrund der konfessionellen Kriege, der zumindest konfessionell begründeten Feldzüge, emanzipierte sich das Recht von den religiösen Bindungen. Unabhängig von kirchlichen Autoritäten wurde Recht formuliert. Die Humanisten wagten ein neues Denken jenseits der Religion. Dessen ungeachtet knüpften sie an scholastische Lehren an und nahmen vor allem calvinistische Anschauungen auf und entwickelten sich im anglikanischen Bereich weiter. So wurden Holland, England und später Frankreich zu Geburtsstuben für modernes Völkerrecht und allgemeine Menschenrechte.

Nicht zu vergessen ist Preußen, wo ein jeder „nach seiner Façon“ selig werden sollte und vor allem die konfessionellen Schranken weitgehend überwunden wurden. Hugenotten, Salzburger und Juden fanden nicht nur Aufnahme, sondern erhielten zeitweise Steuerfreiheit und dauerhaft Land- und Bürgerrechte. Die Aufklärung und Kant formulierten Wege in eine Gesellschaft freier Bürger. Im Philosophischen öffnete sich jedoch zunehmend eine Kluft zwischen englischem und deutschem Verständnis der Menschenrechte und vor allem des Staatsverständnisses. In der Neuzeit sind Staaten die Garanten des Rechts. Die Herausbildung der Gewaltenteilung, die Entwicklung der Demokratie und nicht zuletzt das Entstehen des Kapitalismus sind mit der Ausprägung der Menschenrechte verbunden. Die „Bill of Rights“ des „Volkes von Virginia“ vom 12. Juni 1776 markiert erstmals verbindlich die individuellen Bürgerrechte: „Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewissen angeborene Rechte…den Genuss des Lebens und der Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben…“

Christliche Wurzeln der Menschenrechte

Doch genau hier setzte kirchliche Kritik an, wurde doch vor allem von der katholischen Kirche ein Dammbruch gesehen. Nicht zuletzt im Zuge der französischen Revolution von 1789 und dem folgenden Terror sei doch sichtbar, wohin die Menschheit taumelt, wenn sich die hergebrachte christliche Weltordnung auflöst. Wer die Traditionen und die Deutungshoheit der Kirche aufkündige, öffne Gottlosigkeit und Zügellosigkeit Tür und Tor. Auch die Orthodoxen in Russland und die Lutherischen in Deutschland sahen mit Entsetzen auf die „westliche“ Forderung nach Menschenrechten unter dem Dreiklang von “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Die innereuropäischen Brüche zwischen Osten und Westen sind bis heute sichtbar. Unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten geht ziemlich präzise an Kirchen und Konfessionsgrenzen entlang. Nur angemerkt sei die Differenz zwischen der islamischen Welt und dem Westen und die noch andere Differenz zwischen der konfuzianisch-kommunistischen Weltsicht der Chinesen und Europa samt US-Amerika. Altkanzler Schmidt hat die andere Sicht Chinas auf die Menschenrechte wiederholt erklärt und verteidigt.

Die jüdisch-christlichen Wurzeln, konsequent biblische Vorstellungen von der Einzigartigkeit des Lebens und der Gottebenbildlichkeit des Menschen führten bei Jesuiten, Dominikanern und Reformierten angesichts der außereuropäischen Begegnungen mit den Ureinwohnern in Amerika, Afrika und Asien zur Forderung nach Menschenrechten. Waren diese Lebewesen mit menschlichem Antlitz unabhängig von Hautfarbe, Heidentum und Herkunft auch Menschen? So gab es den wachsenden Einspruch von Christen gegen Sklaverei und Apartheid. Welche Rechte haben Frauen? Heute sind Christen gleich an mehreren Fragestellungen gefordert: Was bedeuten Menschenrechte angesichts von Abtreibung, Eugenik und Sterbehilfe? Welchen Tod beschreibt der für die Organentnahme erklärte Hirntod? Wie sieht humanes Sterben aus? Welche Folgen hat Gentechnik? Was bedeutet Religionsfreiheit? Wohin entwickelt sich das Völkerrecht?

Menschenrechte im Umbruch

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und erst recht nach dem 11. September 2001 hat sich eine Weltinnenpolitik entwickelt. Im Namen der Menschenrechte marschieren mit mehr oder weniger UN-Mandat vor allem „westliche“ Soldaten in souveräne Staaten ein. Gerade die Friedensbewegten fordern immer öfter militärischen Einsatz zur Wahrung der Menschenrechte: Libanon, Libyen, Syrien. In den Jahrzehnten des kalten Krieges galt die staatliche Souveränität selbst für Diktaturen. Alles andere wäre „Einmischung in innere Angelegenheiten“ gewesen. Von dieser Haltung bestimmt war es undenkbar, dass die Volksaufstände 1953 in Ostberlin, 1956 in Budapest oder 1968 in Prag von US-Soldaten unterstützt werden. Selbst der Mauerbau in Berlin ließ 1961 die US-Panzer brav vor der weißen Linie am Checkpoint Charlie stoppen.

Heute gehören Forderungen nach der Einhaltung der Menschenrechte zum Ritual politischer Gespräche in Russland, China und Ägypten. Interessant ist: Weniger laut sind diese Forderungen gegenüber Saudi-Arabien und Indonesien. Besonders laut und nahezu einig ist sich die Welt im Einsatz für die Rechte der Palästinenser gegenüber Israel.

Die Ausgestaltung der individuellen Menschenrechte hat zum Sozialstaat europäischer Art geführt. Der freilich inzwischen vor der Frage steht: Wohin geht die Reise? Wie lange halten europäische Sozialsysteme die Einwanderung in dieselben noch aus? In Südosteuropa sind geschätzte vierzig Millionen Menschen im Aufbruch. In Afrika warten vermutlich hunderte Millionen auf die Reise übers Mittelmeer.

Erste Gerichtsurteile hierzulande bescheinigen Flüchtlingen die finanziellen Zuwendungen in Höhe von Hartz-IV. Klar, wenn Hartz-IV das Existenzminimum beschreibt, wie kann es dann sein, dass Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes weniger bekommen?! Da kommen tiefgreifende Fragen an die Oberfläche. Als erstes die Frage nach dem Rahmen. Gelten die sozialstaatlich ausgeformten Menschenrechte Deutschlands für alle Menschen der Erde? Wo werden die roten Linien gezogen? Und ist das dann menschenrechtsverletzende Diskriminierung?

Heute stehen wir vor neuen Fragen der Rechtsetzung. In europäischen Initiativen werden „Menschenrechte“ für Primaten eingefordert, also für die Tiere, die früher „Menschenaffen“ genannt wurden. Persönlichkeitsrechte für Wale und Delfine sind im Gespräch. Tierschutz findet den Weg in verfassungsrechtliche Bestimmungen, danach werden Lebewesen nicht länger nur als Sachen behandelt.

Die Entwicklung der Menschenrechte und des damit verbundenen Völkerrechts ist mit der „Allgemeinen Erklärung“ von 1948 nicht zu Ende, sondern markiert einen Anfang weltumspannenden Nachdenkens und Lernens. So stehen aktuell Fragen nach einem Rahmen ihres Geltungsbereiches zur Diskussion – und am Ende die Frage nach der grundsätzlichen Herleitung und Verankerung der Rechte eines jeden Menschen.

Von: Egmond Prill

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