Alles andere als perfekt

Er spricht vor Parlamenten, Managern und Schulklassen. Seine Vorträge und Videos berühren Millionen von Menschen. Viele berichten davon, dass sich ihr Leben durch seinen Einfluss verändert hat. Nick Vujicic ist ohne Arme und Beine zur Welt gekommen. Das hindert den 28-Jährigen jedoch nicht daran, sein Publikum nachhaltig zu ermutigen.
Von PRO

Erstaunlich ruhig und diszipliniert sind die etwa 200 Schüler der Abschlussklassen der Johannes Gutenberg-Gesamtschule. Möglicherweise hängt es mit ihrer Neugier und der gespannten Erwartung zusammen. Fast alle haben die Videos von Nick Vujicic gesehen, wissen also um seine Behinderung. Aber es ist doch ein Unterschied, wenn dieser YouTube-Star in ihr mittelhessisches Ehringshausen kommt und gleich live zu ihnen sprechen wird. Natürlich geht er nicht selbst auf die Bühne, sein Assistent trägt ihn. Auf dem Weg nach vorne lächelt er die Schüler freundlich an, ruft fröhlich "Halloho". Das Eis ist gebrochen, die Teenager erwidern den Gruß. Und dann steht er da, auf einem Tisch, auf seinem Torso. In den Gesichtern der Schüler spiegelt sich eine Mischung aus Neugier, Faszination, Erschütterung und Mitleid. Aber der junge Mann mit dem gewinnenden Lächeln da vorne braucht kein Mitleid. Es geht ihm offensichtlich gut.

Nick Vujicic kommt im Dezember 1982 in Australien zur Welt. Als sein Vater ihn zum ersten Mal sieht, wird ihm übel. Seine Mutter ist so schockiert, dass es vier Monate dauert, bis sie ihn in den Arm nehmen kann. Doch dann bemühen sich seine gläubigen Eltern, ihren ers­ten Sohn so normal wie möglich zu erziehen. Trotzdem hat er eine harte Kindheit. Er wird in der Schule gehänselt. Mit zehn Jahren versucht er, sich in der Badewanne zu ertränken. Er bricht den Selbstmordversuch ab, weil er seiner Familie den Kummer ersparen will. Die Pubertät wird zur Qual. Als er 15 Jahre alt ist, verändert ein Bibeltext sein Leben. Anhand der Geschichte vom Blindgeborenen wird ihm klar: "Ich bin so, wie ich bin, damit Gottes Kraft in mir sichtbar wird." In seinem Buch "Leben ohne Limits" berichtet er: "Meine neue Erkenntnis gab mir Lebensfreude und das Gefühl von Kraft. Der Blinde wurde übrigens geheilt, um seiner neuen Bestimmung zu folgen. Bei mir blieb die Heilung zwar aus, aber ich schöpfte neuen Mut. Meine Aufgabe würde sich schon irgendwann auftun."

Das Talent, andere aufzubauen

Die tut sich auf, als er mit seinen Klassenkameraden über seine Behinderung spricht. Vujicic bemerkt, dass seine Geschichte anderen helfen kann: "Mir wurde klar, dass die Leute bereit waren, mir zuzuhören", schreibt er. "Sie mussten mich ja nur ansehen und wussten sofort, dass ich einiges durchgemacht und überwunden hatte. Ich brauchte nicht um Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Meine Zuhörer merkten instinktiv, dass ich vielleicht etwas zur Lösung ihrer eigenen Probleme beitragen konnte." So habe er sein Talent entdeckt, andere aufzubauen und ihnen Mut zu machen.

Und das tut er auch in der Gutenberg-Schule, immerhin die erste Schule, die er in Deutschland besucht. Er beginnt seinen Vortrag mit witzigen Geschichten über seine Behinderung. Etwa, wie er einmal in einer Pilotenuniform Fluggäste persönlich mit den Worten "Guten Tag, ich bin Ihr Kapitän" begrüßt hatte. Gegenüber pro sagt er später, dass Humor ein wichtiges Instrument sei, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, Herzen vorzubereiten und empfänglich zu machen. Stimmt. Die Schüler in Ehringshausen widmen ihm eine Aufmerksamkeit, von der ihre Lehrer nur träumen können. Vujcic zeigt einen kleinen Fuß, der an seiner Hüfte gewachsen ist. Mit seinen zwei kleinen Zehen kann er auf dem Computer 43 Wörter pro Minute schreiben, erstaunlich geschickt sein Smartphone bedienen und vieles mehr. Den Teenagern erzählt er, wie er sich beim Fußballspielen den Fuß verstaucht hat und ihn zeitweise nicht mehr benutzen konnte. Sein Resümee: "Wir ärgern uns zu oft über das, was uns fehlt, anstatt dankbar zu sein für das, was wir haben."

Zuhause wartet ein Paar Schuhe

Weil sie von Herzen kommen, gehen Vujicics Worte zu Herzen: Die Jungs versuchen krampfhaft cool zu bleiben, bei den Mädchen fließen Tränen. "Es gibt immer Hoffnung, solange ihr nicht aufgegeben habt", sagt er – und verrät, dass er zu Hause ein Paar Schuhe im Schrank hat, "nur für den Fall, dass Gott mir Beine gibt".

Vujicic spricht sehr zurückhaltend über seinen Glauben. Gegenüber pro erklärt er: "Immer, wenn ich in der Öffentlichkeit rede, zum Beispiel in einer öffentlichen Schule, bitte ich Gott, mir die richtige Balance zu geben." Die fand er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er Ende Januar neben der französischen Wirtschafts- und Finanzministerin Chris­tine Lagarde auf dem Podium saß und kurz über seinen Glauben Auskunft gab. Bei christlichen Veranstaltungen und in seinen Interviews, die er mittlerweile auch vielen deutschen Medien gegeben hat, ist er deutlicher und direkter. So sagte er dem "Focus": "Gott hat mein Leben verändert – von einem Leben mit Behinderung zu einem ohne Hindernisse." Den Besuchern des Jugendevents "JesusHouse" machte er Anfang April deutlich: "Du weißt nicht, was Gott mit den Bruchstücken deines Lebens machen kann, solange du ihm diese Bruchstücke nicht gibst."

Vujicic nimmt man so etwas ab. Er ist authentisch. Das verleiht seiner Botschaft einen so starken Einfluss. Er spricht offen über seine Höhen und Tiefen: "Ich bin kein Super-Held. Ich bin manchmal müde und niedergeschlagen wie jeder andere auch."

Wenn man sich eine Weile mit Nick Vujicic unterhält, fällt einem nicht mehr auf, dass er keine Arme und Beine hat. Stärker als die Behinderung wirkt dann seine fröhliche, freundliche und ermutigende Ausstrahlung. Auch damit erreicht der Hochschulabsolvent in Rechnungswesen und Finanzplanung sein Publikum. Mittlerweile insgesamt vier Millionen Menschen, vor denen er nach eigenen Angaben in 1.500 Veranstaltungen und 37 Ländern aufgetreten ist. Sein größtes Publikum waren 110.000 Besucher einer Veranstaltung in Indien, seine angesehensten Zuhörer wahrscheinlich die sechs Präsidenten und fünf Parlamente, vor denen er sprechen durfte. Seine Youtube-Videos wurden millionenfach angeklickt. Vielleicht auch, weil er vorbildlich und überzeugend gelernt hat, sich so anzunehmen, wie er ist. "Obwohl ich alles andere als perfekt bin, bin ich trotzdem der perfekte Nick Vujicic", schreibt er in seinem Buch. Und: "Wir sind alle vollkommen unvollkommen." Diesen Gedanken vermittelt er auch den Teenagern in Ehringshausen – in einer Schulstunde, die ihr Leben möglicherweise mehr geprägt hat als die komplette Schulzeit. (pro)

Den vollständigen Bericht über Nick Vujicic sowie ein Interview mit dem 28-Jährigen zum Thema PID lesen Sie in der soeben erschienenen aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, die unter 06441/915-151 oder info@kep.de kostenlos angefordert werden kann.

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