Werbeverbot für Abtreibungen: Ist die Abschaffung verfassungskonform?

Die Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen ist eines der ersten Wahlversprechen, das die Ampel-Koalition einlösen will. Ist die Abschaffung verfassungsgemäß? Und geht es vielleicht auch bald Paragraf 218 an den Kragen?
Von PRO
Ärztin Kristina Hänel mit anderen Frauen auf einer Demonstration gegen Paragraf 219a

Der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch stellt Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. Darunter fällt aktuell auch, dass Ärzte auf ihrer Website die bei ihnen angebotenen Methoden beschreiben. Die Forderung nach seiner Abschaffung war vor allem nach mehreren Urteilen gegen Kristina Hänel laut geworden. Die Allgemeinärztin war zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website angab, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und zusätzlich Informationen über den Ablauf des Eingriffs bereitstellte. Das Gericht sah darin einen Verstoß gegen Paragraf 219a.

Anfang dieses Monats hat das Bundeskabinett nun die Streichung des umstrittenen Paragrafen beschlossen. Der Gesetzentwurf liegt momentan dem Bundesrat vor. Dieser wird in den nächsten Wochen darüber beraten und hat die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben. Erst danach geht der Entwurf zur Beratung und Abstimmung in den Bundestag.

Paragraf als Teil eines Lebensschutzkonzeptes

Thomas Traub, Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und engagiert im Vorstand der Vereinigung „Christ und Jurist“, erklärt gegenüber PRO, dass der Paragraf 219a Teil eines umfassenden Schutzkonzeptes des ungeborenen Lebens sei. Damit werde ein Kompromiss gefunden zwischen den Rechten der schwangeren Frau und dem Grundrecht auf Leben. Dieses Grundrecht spreche der Staat auch schon explizit dem ungeborenen Leben zu.

Matthias Friehe, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Wiesbaden, führt aus, Paragraf 219a schütze das ungeborene Leben dadurch, dass er den Eindruck verhindere, der Schwangerschaftsabbruch sei eine normale medizinische Dienstleistung. Wichtig ist ihm auch klarzustellen, dass es nicht generell verboten sei, sachliche Informationen über den Schwangerschaftsabbruch zu verbreiten – auch Ärzten nicht. Das Verbot gelte nur dann, wenn die Informationen letztendlich auch darauf abzielen könnten, Patienten zu gewinnen.

Als man den Paragrafen einführte, hatte der Gesetzgeber vermutlich offensive Werbung und Anpreisungen im Blick, mutmaßt Traub. Die Formulierung des Paragrafen machte es jedoch möglich, dass Gerichte in den vergangenen Jahren Ärzte verurteilten, die lediglich über Abtreibungen als Teil des Angebotsspektrums in ihrer Praxis informierten.

Ziel: bessere Informationslage für Frauen

Die Bundesregierung begründet ihr Vorhaben damit, dass das Werbeverbot den Zugang zu fachgerechter medizinischer Versorgung sowie die freie Arztwahl behindere. Zusätzlich beeinträchtige es das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung der Frau. Das Ziel sei es, eine bessere Informationslage für Frauen im Schwangerschaftskonflikt zu schaffen. Paragraf 219a sei kein tragender Bestandteil des Lebensschutzes. Deswegen könne er gestrichen werden. Darin sieht die Regierung keine Verletzung der Schutzpflicht des ungeborenen Lebens.

Das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, mit dem die Regierung argumentiert, sieht Thomas Traub im Artikel 2 des Grundgesetzes verankert. Der stelle sicher, dass zunächst einmal jedes Handeln freiheitlich geschützt ist. Das bedeute konkret, dass nicht der Handelnde sein Tun vor dem Staat rechtfertigen müsse, sondern der Staat jedes Verbot zu rechtfertigen habe.

Der Staat könne die Handlungsfreiheit der Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen möchte, also legitim einschränken. Er müsse es nur rechtfertigen können. Diese Rechtfertigung finde sich, so Traub, in der Verpflichtung des Staates, ungeborenes Leben zu schützen.

Paragraf 219a schränke die Handlungsfreiheit der Frau jedoch nicht ein. Er greife lediglich in die Rechte von Ärzten ein – zum Beispiel in die Meinungsfreiheit. Denn: „Information und die Darstellung der eigenen Dienstleistung – das alles zählt zur Meinung.“ Aber auch diese Einschränkung sieht Traub durch den Lebensschutz gerechtfertigt.

Anstößige Werbung bleibt verboten

Marco Buschmann (FDP), Bundesminister der Justiz, betonte hinsichtlich des geplanten Gesetzes: „Gegen anpreisende und anstößige Werbung für Schwangerschaftsabbrüche bleiben andere Rechtsnormen in Kraft.“ Dafür wird das Heilmittelwerbegesetz (HWG) parallel zur Streichung von Paragraf 219a entsprechend geändert.

Bisher gilt das HWG nur für medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche – solche also, die notwendig sind, um die Gesundheit oder das Leben der Schwangeren zu schützen. Der Entwurf sieht jedoch vor, Schwangerschaftsabbrüche allgemein darin aufzuführen – also auch die Abtreibungen, die nach der Fristenregelung vorgenommen werden. Das HWG verbietet irreführende Werbung und macht diese strafbar. Diese Ausweitung auf alle Schwangerschaftsabbrüche trage laut Regierung der Schutzpflicht des Gesetzgebers für das ungeborene Leben weiterhin Rechnung.

Streichung kein eindeutiger Verfassungsverstoß

Dass Paragraf 219a verfassungswidrig sei, argumentiert Frauke Brosius-Gersdorf, Professorin für öffentliches Recht in Potsdam, in einem Rechtsgutachten von 2020. Dies erstellte sie in Bezug auf den Fall der Kristina Hänel. Sie legt in dem Gutachten unter anderem dar, dass der Paragraf mitunter in die Berufsausübungsfreiheit von Ärzten eingreife. Diese sei in Artikel 12 des Grundgesetzes festgelegt. Sie sehe keine Möglichkeit, den Paragrafen 219a verfassungskonform auszulegen.

Das sieht Matthias Friehe anders. Der Paragraf 219a sei in seiner aktuellen Version verfassungsgemäß. Dass es den Paragrafen juristisch geben muss, sieht er aber nicht. Traub bestätigt das: Der Gesetzgeber habe da einen politischen Spielraum. Die Schutzpflicht sei in erster Linie auch nicht in diesem Paragrafen erfüllt.

Friehe sieht die Berufsausübungsfreiheit der Ärzte durch Paragraf 219a nicht eingeschränkt. Seiner Meinung nach schließe diese nicht die Freiheit mit ein, menschliches Leben zu töten. Das sei „keine normale berufliche Tätigkeit“. Wenn das Verfassungsgericht an die bisherige Rechtsprechung zu diesem Thema anknüpfe, würde es auch keine Grundrechtsverletzung der betroffenen Ärzte sehen, vermutet Friehe. Denn bisher habe es dem ungeborenen Leben immer einen sehr hohen Wert beigemessen.

Informationen keine Gefahr für das ungeborene Leben

Brosius-Gersdorf stellt in ihrem Gutachten außerdem fest, dass das Verbot sachlicher Informationen über den Schwangerschaftsabbruch nicht zum Schutz des Lebens beitrage. Der Gesetzgeber lege nämlich an keiner Stelle fest, dass Informationen über das „Wie“ des Schwangerschaftsabbruchs das ungeborene Leben gefährdeten. Sie sieht in der Verfügbarkeit von Informationen über Vor- und Nachbehandlung, Nebenwirkungen und Komplikationen, keine Gefahr, dass sich mehr Frauen für einen Abbruch entscheiden.

Im Gegenteil: Aufklärung darüber komme „dem Schutz der Gesundheit der schwangeren Frau sowie weiteren Grundrechten der Frau“ zugute. Ob die entsprechenden Informationen von einer neutralen Stelle oder von Ärzten veröffentlicht würden, mache für den Lebensschutz keinen Unterschied.

Abtreibungen werde Unrechtscharakter genommen

Rainer Beckmann, Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Universität Heidelberg und stellvertretender Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V., beurteilt das anders: „Jeder Teil, den man vom Schutzkonzept wegnimmt, macht Abtreibungen einfacher und nimmt ihnen den Unrechtscharakter, den sie eigentlich haben sollten.“

Ein Werbeverbot mache klar, dass die Handlung, die dem Werbeverbot unterliegt, als Unrecht gekennzeichnet sei. Dieser Charakter von Abtreibungen, komme im sonstigen Recht nur noch sehr versteckt zum Ausdruck.

Aufhalten lässt sich die Streichung nur noch durch das Bundesverfassungsgericht, falls die anderen Organe zustimmen. Traub bezweifelt, dass das passieren werde. Wenn überhaupt, könnte ein Bundesland oder beispielsweise die Opposition des deutschen Bundestages damit zum Verfassungsgericht gehen. Verfassungsbeschwerde könne sonst nur eine betroffene Person einlegen, erklärt Friehe. Betroffen sei in diesem Fall aber das ungeborene menschliche Leben.

Und auch wenn das Verfassungsgericht bisher eher zugunsten des ungeborenen Lebens entschieden habe, müsse man damit rechnen, dass es seinen Kurs vielleicht doch ändert. Das könne aufgrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen oder der anderen Zusammensetzung des Gerichts der Fall sein, sagt Friehe.

Zukünftig nicht mehr Abtreibungen vermutet

Die praktischen Auswirkungen der Streichung von Paragraf 219a werden eher gering sein, glaubt Traub. Anpreisende Werbung werde es wegen anderer Rechtsnormen weiterhin nicht geben. Und die Zahl der Abbrüche sei eher davon abhängig, wie das sonstige Schutzkonzept ausgestaltet sei.

Beckmann erwartet jedoch, dass wieder mehr Ärzte bereit sein werden, beruflich Abtreibungen vorzunehmen. Die Tendenz sei eindeutig: „Abtreibung wird stärker als bisher als normaler medizinischer Vorgang verstanden werden.“

Friehe hofft, dass durch die Abschaffung des Paragrafen die gesellschaftliche Diskussion um die generelle Kriminalisierung von Abtreibungen erst einmal befriedet wird. Seiner Beobachtung nach habe die Diskussion um Paragraf 219a die Fronten auf beiden Seiten eher verhärtet. Er hofft, dass es bei der Streichung dieses Paragrafen bleiben wird und nicht auch noch 218 wegfällt, wie im Wahlprogramm von SPD und Grünen vorgesehen.

Bestärkung für Gegner der Kriminalisierung

Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche selbst unter Strafe stellt, und Paragraf 218a, der regelt, unter welchen Bedingungen der Abbruch straffrei bleibt, sollen vorerst erhalten bleiben. Eine Streichung der Paragrafen erwartet Rainer Beckmann zunächst auch nicht. Aber er rechnet damit, dass sich politische Kräfte, die auch die Abschaffung von Paragraf 218 fordern, durch die Streichung von Paragraf 219a bestärkt fühlen werden.

Jenen, die sich für das Lebensrecht Ungeborener einsetzen, rät Thomas Traub: „Eher die Füße still halten und froh sein, dass es keine weitere Debatte gibt.“ Am Ende einer solchen erneuten Auseinandersetzung würde seiner Meinung nach eher eine noch liberalere Gesetzgebung stehen.

Von: Katharina Kraft

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3 Antworten

  1. Was hier ganz erschreckend deutlich wird: Wenn die Menschen nicht mehr die Mitmenschlichkeit und Menschenrechte im Herzen tragen, dann rettet uns auch das Grundgesetz nicht mehr.

    Denn das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht:
    „Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein (Bestätigung von BVerfGE 39, 1 (44))“
    und
    „Der Schutzauftrag verpflichtet den Staat ferner, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben.“
    https://groups.csail.mit.edu/mac/users/rauch/nvp/roe/bv088203_nonav.html?msclkid=acc0fde8af7311ecaa458fa183a23d96

    Wo aber der „Relativismus“ triumphiert, da gibt es keine (Menschen-)Rechte mehr. Denn der Stärkere (oder Mehrheit) kann ja „Recht“ jederzeit neu setzen, – und mit ausreichender Mehrheit sogar die Verfassung ändern.

    Es gibt nur diese eine Chance für Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe, Menschenrechte:
    „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns;
    so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“

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  2. Haben die Regierungen vergessen, dass die Gottlosigkeit der Menschen, die gegen die Ordnungen und Gebote Gottes verstoßen, in einem proportionalen Zusammenhang mit den Krisen unserer Zeit stehen. Die Menschen und die Nationen können zwischen Segen und Fluch wählen. Viele Christen reden von dem „lieben Gott“, der nichts mit all den Krisen unserer Tage zu tun hat – wirklich – Gottes Wort sagt etwas völlig anderes.
    Nachdenkliche Grüße Martin

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  3. Frankreich hat eine deutlich liberalere Gesetzgebung zu Abtreibungen und dadurch bei einem Viertel weniger Einwohnern mehr als die doppelte Anzahl von Abtreibungen, nämlich ca. 230.000. Über die letzten Jahre kamen jährlich ca. 10.000 dazu.
    Ich versteh nicht wie man sagen kann, es werden nicht mehr Abtreibungen erwartet. Wenn die Gesetze liberaler werden, werden die Zahlen steigen.
    Viele Abtreibungen in Frankreich sind „Komfort“ Abtreibungen. Das soll heißen das Frauen Abtreiben denen das Kind jetzt gerade nicht in Ihr Leben passt. Ein Beispiel: Ein paar möchte in ca. 2 Jahren Kinder und eine Familie gründen, sich aber vorher ein Haus oder eine Wohnung kaufen. Als die Frau schwanger wird, treibt sie ab, weil jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt ist.
    Die persönliche Freiheit ist wichtiger als das Leben des Kindes. Hier werden Kinder auf dem „Altar der persönlichen Freiheit“ geopfert.
    Wie lange wird der Herrgott noch zuschauen? Alle Zivilisationen die Menschenopfer betrieben sind über die Jahrhunderte ausgestorben. Die Götzendiener im Alten Testament, Kelten, Inka und die Maya sind alle verschwunden. Ich glaube dass da der Herrgott selber eingegriffen hat.
    Wann greift er in Europa ein um das Unrecht hier zu beseitigen?

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