Gericht: Künast muss Beschimpfungen hinnehmen

Die Politikerin Renate Künast hat wegen wüster anonymer Beschimpfungen im Internet ein Gericht angerufen. Sie fordert vom Diensteanbieter, die Autoren offenzulegen. Das Landgericht Berlin sieht in den Kommentaren zulässige Meinungsäußerungen und hat die Klage abgewiesen.
Von Norbert Schäfer
Renate Künast wehrt sich gerichtlich gegen vulgäre Beleidigung im Internet

Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) wehrt sich vor Gericht gegen Hass und Hetze im Internet. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Politikerin in ihrem Bemühen, Autoren von Hasskommentaren in die Schranken zu weisen, eine Schlappe hinnehmen musste. Die Grünen-Politikerin hatte auf gerichtlichen Weg durchsetzen wollen, dass ein Internetdiensteanbieter ihr Auskunft über die Verfasser anonymer Hasskommentare geben muss. Dem erteilte das Gericht eine Absage.

Künast war aufgrund eines unrichtigen Beitrages eines mutmaßlich rechten Netzaktivisten in einem sozialen Netzwerk mit Hasskommentaren, Beleidigungen und Drohungen überschüttet worden. Das ihr zugeschriebene, verfälschte Zitat bezog sich auf missverständliche Äußerungen, die auf eine Debatte über Pädophilie aus den 1980er Jahren im Berliner Abgeordnetenhaus zurückgehen. Künast hatte die Unterstellungen aus dem Vorfall längst als Missverständnis zurückgewiesen. Die aktuellen Beleidigungen mochte die Politikerin nicht hinnehmen und wollte vom Betreiber des Netzwerkes wissen, wer hinter den Kommentaren steckt.

Das Landgericht Berlin sieht in den Äußerungen keine Schmähung und hat in seinem Urteil (Az.: 27 AR 17/19) vom 9. September befunden, dass Künast Äußerungen wie „altes grünes Drecksschwein“, „Geisteskrank“, „kranke Frau“, „Schlampe“, „Gehirn Amputiert“, „Drecks F*tze“ und „Sondermüll“ hinnehmen muss und beschieden, dass „der Antrag auf Anordnung der Zulässigkeit der Auskunftserteilung“ zurückgewiesen wird. Das Gericht begründet sein Urteil damit, dass die „angeführten Äußerungen sich sämtlich als Meinungsäußerungen“ darstellen. In der Urteilsbegründung lautet es unter anderen: „Da alle Kommentare einen Sachbezug haben, stellen sie keine Diffamierungen der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen nach § 185 StGB dar.“

„Katastrophales Zeichen“

Künast bezeichnete das Urteil als ein „katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen“ und will dagegen vorgehen. Diese Ansicht teilt HateAid, eine Oraganistation die sich eigenen Angaben zufolge für die Rechte von Betroffenen von Hassrede und Digitaler Gewalt im Internet einsetzt. HateAid erklärte auf Anfrage, dass man von der Entscheidung des Gerichtes „mehr als irritiert“ sei und sie nicht nachvollziehen könne. Für Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Organisation, wurden mit dem Urteil „die Grenzen der Meinungsfreiheit hier weit überschritten“. Von Hodenberg: „Die Entscheidung setzt ein fatales Zeichen für alle, die sich in unserem Land für Demokratie und einen zivilisierten Umgang im Netz einsetzen.” Durch Hass und Hetze würden Menschen aus dem öffentlichen Raum herausgedrängt und zum Schweigen gebracht. Das ist nach Ansicht von Hodenbergs mittlerweile Realität.

Eigenen Angaben zufolge finanziert HateAid den Prozess im Fall Künast und will auch das nun folgende gerichtliche Beschwerdeverfahren finanziell und juristisch unterstützen. In einer Pressemeldung vom Freitag verweist HateAid auf eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft. Derzufolge trauen sich mittlerweile 54 Prozent der Internetnutzer „oft nicht mehr, ihre politische Meinung offen zu sagen – aus Angst, selbst Opfer einer Hasskampagne zu werden“.

Wenig Verständnis für das Urteil in den Medien

Das Urteil des Landgerichtes Berlin war Donnerstag und Freitag Thema in nahezu allen Medien. Die Berliner Morgenpost listet unter dem Titel „Warum das Gericht diese zehn Beschimpfungen zulässig findet“ zehn Erklärungen aus der schriftlichen Urteilsbegründung des Gerichts auf. Reinhard Müller befürchtet in einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass sich verbale Rohheit fortpflanzt und sich „auch in körperlicher Gewalt entladen kann“. Für Andreas Kolesch vom Westfalen-Blatt ist das Urteil „unerträglich“, er vertritt die Meinung, dass die Auffassung des Gerichts „hanebüchen“ sei, „dass Künast, da es nun einmal um Sex gegangen sei, sich nun auch auf sexueller Basis beleidigen lassen müsse“. In einem „Briefwechsel“ auf Lokalo24.de schreibt Chefredakteur Rainer Hahne, dass das Internet immer mehr zu einer „Jauchegrube“ verkomme. Seiner Meinung nach sei mit dem Urteil „zu dem ekelerregenden Böhmermann-Gedicht, in dem der türkische Präsident Erdogan als ‚Ziegenficker‘ beschimpft wurde“, Hetzern und Hassern im Internet der Weg geebnet worden.

Das Gerichtsurteil aus Berlin stößt auch bei den österreichischen Nachbarn auf Unverständnis. Christina Böck hält das Urteil für aus der Zeit gefallen. Die Zeiten hätten sich geändert, die Wertung des Gerichts sei nicht mehr angemessen. In der Wiener Zeitung schreibt Böck: „Ein solches Urteil hat Vorbildwirkung: Wenn man Politikerinnen ungestraft so beschimpfen kann, warum sollte man nicht auch andere so beschimpfen. Es ist fahrlässig, wie mit so einer Entscheidung der Hemmungslosigkeit Tür und Tor noch weiter geöffnet wird.“

In einem Kommentar in der Neuen Osnabrücker Zeitung zu dem Urteil warnt Katharina Ritzer davor, die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit in der Debatte über das Berliner Urteil in Frage zu stellen. Ritzer schreibt: „Wer also die Gerichte moralisch verurteilt und so infrage stellt, schwächt die Demokratie. Renate Künast kann in die nächste Instanz gehen, dort gehört der Fall hin und nicht auf den Marktplatz der allgemeinen Moraldebatte.“

Von: Norbert Schäfer

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