Cybermobbing: Prävention schon im Kindergarten nötig

Wer im Netz gemobbt wird, kann schwer krank werden. Das haben Experten bei einer internationalen Tagung in Berlin erklärt. Als Gegenmittel empfahlen sie gezielte Prävention schon im Kindergartenalter – und rieten von Computerverboten als Erziehungsmaßnahme ab.

Von PRO

Wissenschaftler gehen davon aus, dass rund jeder fünfte Schüler in Deutschland schon einmal online gemobbt worden ist. Das zumindest hat die jüngste und größte Befragung zum Thema Cybermobbing des „Bündnisses gegen Cybermobbing” ergeben, die im Mai in Köln vorgestellt wurde. Immer wieder werden Fälle von Jugendlichen bekannt, die sich, ausgelöst durch Mobbing im Netz, das Leben nehmen. Das Problem ist drängend, findet auch Justin Patchin, Co-Direktor des amerikanischen „Cyberbullying Research Centers”. Bei einer Tagung am Mittwoch, ebenfalls ausgerichtet vom Verein „Bündnis gegen Cybermobbing”, stellte er aber klar, dass Computer, Handys und Co. nicht die Wurzel des Problems seien: „Mobbing hat es schon gegeben, lange bevor die Technologie existierte.” Dennoch stellten sich durch die Verlagerung der Übergriffe ins Netz neue Probleme. Was dort geschehe, sei schlechter zu überwachen, die Täter seien anonym und erreichten mehr Menschen, wenn ihre Attacken viral würden. Jugendliche fänden sogar zu Hause keinen Schutz und Mobber seien online oft brutaler. Einen Vorteil bringe diese neue Art des Aufhetzens aber: Es gebe immer Beweise für die Taten, etwa in Form von SMS oder Facebook-Nachrichten.

Schulklima ist entscheidend

Trotz der alarmierenden Fakten hält Patchin es nicht für ein geeignetes Gegenmittel, wenn Eltern ihren Kindern Computer und Smartphones verbieten. „Die häufigste Todesursache unter Jugendlichen in den USA sind Autounfälle – aber wir nehmen ihnen auch nicht das Auto weg”, sagte er. Stattdessen setzt Patchin auf Prävention: Der Professor verwies auf Studien, nach denen 17 Prozent der Schüler in den USA andere bereits online gemobbt hätten. Als Gründe geben sie an, zuerst tyrannisiert worden zu sein oder, dass es ihnen schlicht Spaß mache. Mädchen seien ebenso häufig Mobber wie Jungs, Schüler mit guten Noten nur geringfügig seltener involviert als solche mit schlechten. Mobbing ist ein Phänomen, das quer durch die Gesellschaft reicht und im Kindesalter beginnt. „Wir lernen daraus, dass wir sehr früh mit der Prävention beginnen müssen”, erklärte Patchin. Einen Hinweis darauf, wie besonders Lehrer ihre Schüler beim Kampf gegen Cybermobbing unterstützen können, gibt eine weitere Erhebung. Laut dieser ist Mobbing unter jungen Menschen seltener, je besser das Schulklima ist, also je positiver das Verhältnis der Schüler zu ihren Lehrern.

80 Prozent der Kinder, die online gemobbt wurden, hätten in Umfragen angegeben, auch außerhalb des Netzes bedrängt zu werden, sagte Donna Cross, Professorin für Kinder- und Jugendheilkunde in Australien. Die Folgen des Cybermobbings könnten aber weit extremer sein, weil es rund um die Uhr geschehe und nahezu keine Grenzen habe. Depressionen und sogar Selbstmordversuche könnten vorkommen. „Cybermobbing ist ein ernstes Gesundheitsproblem” sagte die Expertin. Das beste Mittel, um dem entgegenzuwirken, ist ihrer Meinung nach, junge Menschen zu Zivilcourage im Netz zu ermutigen und ihnen beizubringen, dass sie Freunde, die online gemobbt werden, unterstützen müssen.

Eltern und Lehrer sind keine Vertrauenspersonen

„Es bedarf einer Kultur des Hinsehens”, forderte die Pädagogin Melanie Wegel aus der Schweiz. Bildungseinrichtungen und Eltern seien gefragt. „Schulen fordern zwar den Umgang mit Medien von den Kindern, fördern aber selten Medienkompetenz”, kritisierte sie die Lehrer und machte gleich bei den Eltern weiter: Diese kontrollierten der sogenannten Tübinger Schülerstudie zufolge bis zum neunten Lebensjahr mit steigender Tendenz die Onlineaktivitäten der Kinder, danach aber wieder seltener. Vertrauenspersonen seien Eltern, Lehrer oder die Polizei in Härtefällen kaum. Fast die Hälfte der Kinder wende sich im Notfall an Freunde, nur ein Zehntel an Schulsozialarbeiter und verschwindend wenige an die Polizei. Mona O’Moore, Direktorin des „Anti-Bullying-Center” am Trinity College in Dublin, erklärte, dass Prävention schon im Kindergarten beginnen und die Lehrerausbildung in diesem Bereich massiv ausgebaut werden müsse. Zudem sei ein gesellschaftlicher Normenwandel nötig: „Wir müssen da hin kommen, dass Mobber als feige und als Menschen gesehen werden, mit denen man nichts zu tun haben möchte.”

Wie wirkungsvolle Prävention aussehen könnte, zeigte die Erziehungswissenschaftlerin Barbara Spears. Ihr Rezept: Junge Menschen gezielt an Projekten gegen Cybermobbing beteiligen. „Jugendliche sind die Experten”, sagte die Australierin. Sie nannte zwei Beispiele aus ihrem Heimatland. An einer Schule hatten Jugendliche eine Studie erarbeitet, die sich mit potenziellen Problemen der Einrichtung auseinandersetzte. Im Rahmen der Erhebung schufen sie den Charakter „Lara”, ein Abbild des Durchschnittsschülers, anhand dessen die Probleme und Präventionsmöglichkeiten sichtbar wurden. Außerdem präsentierte sie ein Online-Werkzeug, mit dessen Hilfe Freunde sich im Internet schön gestaltete Karten mit positiven und aufbauenden Botschaften schicken können, zum Beispiel mit dem Spruch „Thanks Bro!” (zu Deutsch: Danke, Kumpel!”). „Erwachsene haben keine persönlich Erfahrung mit dem Thema Cybermobbing. Wir können von jungen Menschen lernen!” (pro)

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