Studie: Jeder zweite Deutsche sieht Islam als Bedrohung

Etwa jeder zweite Deutsche (51 Prozent) empfindet den Islam als Bedrohung. Das hat eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zum religiösen Leben in Deutschland und weltweit ergeben. Vermittlung von Werten findet demnach meist "jenseits der religiösen Gemeinschaft" statt.
Von PRO

Die Hälfte der Deutschen sei der Auffassung, dass der Islam nicht nach Deutschland passt, heißt es in einem „Religionsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung, über den die Zeitung Welt am Sonntag vorab berichtet. Diese Ansicht vertreten auch 18 Prozent der Muslime in Deutschland. In der Türkei stimmte jeder Vierte dieser Auffassung zu.

Die Deutschen sind mit ihrer Meinung zum Islam nicht allein: Den Islam als Bedrohung empfinden auch 76 Prozent der Israelis, 60 Prozent der Spanier, 50 Prozent der Schweizer und 42 Prozent der US-Amerikaner, ergab die in 13 Ländern unter 14.000 Menschen durchgeführte Umfrage zum Stellenwert der Religionen.

Schneider: Viele haben Zerrbild vom Islam

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sieht die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Es gebe in Deutschland „einen strukturellen islamfeindlichen Boden“, sagte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Seit Jahren werde nicht ausreichend zwischen Islam und Extremismus unterschieden, kritisierte er. „Das führt zu Beklommenheit, die wiederum zu Angst
und Fremdheit gegenüber der Religion führt, in einer Gesellschaft, die längst – und das deutet ja auch die Umfrage an – multi-kulturell und interreligiös ausgerichtet ist.“

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sieht in dem Votum vor allem Unkenntnis in Bezug auf den Islam: „Die Studie nährt den Eindruck, dass vielen Menschen in Deutschland ein verzerrtes Bild vom Islam in unserem Land haben“, sagte er der Zeitung Welt (Montag). Vielfach würden Muslime in Deutschland mit „Phänomenen des muslimischen Extremismus aus anderen Weltgegenden oder mit der kleinen Minderheit der Salafisten und ihrer
Sympathisanten“ identifiziert. Dagegen helfe nur beharrliche Überzeugungsarbeit, sagte Schneider.

Atheismus und Judentum ebenfalls „Bedrohung“

Auch den Atheismus halten viele Deutsche für gefährlich, im Westen sind es 36 Prozent, im Osten 16 Prozent. Das Judentum empfinden 19 Prozent der 2.000 Befragten in Deutschland als Bedrohung.

Zugleich sagen aber 85 Prozent, dass man allen Religionen gegenüber offen sein sollte. 60 Prozent der Befragten empfinden die wachsende religiöse Vielfalt als Bereicherung. Allerdings erkennen fast zwei Drittel (64 Prozent) in der Vielfalt auch eine Ursache für Konflikte.

Leben ohne Religion erscheint selbstverständlich

Die Studie zeigte auch, dass Religion einen geringen Stellenwert in der deutschen Bevölkerung einnimmt: Religion halten 54 Prozent der Westdeutschen für wichtig, 27 Prozent der Ostdeutschen. Einen höheren Stellenwert haben etwa Familie, Freunde und die Freizeit, gefolgt von Beruf und Politik. Im Westen gaben 25 Prozent an, nie zu beten, im Osten waren dies 66 Prozent. Andererseits gaben 24 Prozent an, täglich zu beten, im Osten liegt dieser Anteil bei 12 Prozent.

Eine Hauptursache ist der Studie zufolge den "teilweise dramatischen Veränderungen der religiösen Sozialisation" geschuldet: In beiden Landesteilen gibt es einen "Abbruch bei der Weitergabe religiöser Tradition". "Fehlende religiöse Erfahrung und nicht mehr vorhandenes religiöses Wissen führen demnach ganz offensichtlich dazu, dass viele Menschen ein Leben ohne Religion als ganz selbstverständlich erscheint."

Familie vermittelt Werte

Wie steht es um den Zusammenhang von Werten und Religion? Die Studie kommt zum Ergebnis, dass dieser "nicht mehr selbstverständlich" sei. Vielen Menschen erschienen Prinzipien wie Nächstenliebe nicht mehr religiös fundiert, sondern als "allgemeine", "humanistische" Werte. Als Ort der Wertevermittlung sind religiöse Gemeinschaften nachrangig, wichtiger ist dafür die Familie, gefolgt von der Schule und vom Freundeskreis.

Bei konkreten ethisch-moralischen Fragestellungen gibt es der Studie zufolge einen Graben zwischen der christlich oder säkular geprägten, "liberal" eingestellten Mehrheitsbevölkerung und Muslimen. So sprechen sich Muslime oft deutlicher gegen Schwangerschaftsabbruch, Homo-Ehe oder Sterbehilfe aus. Die Studie spricht allgemein von "Evangelen" oder "evangelisch", unterscheidet in diesem Bereich also nicht weiter.

Die Studie fragte außerdem, ob "nur Politiker, die an Gott glauben, geeignet sind für ein öffentliches Amt". Dem stimmte etwa ein Zehntel der Bevölkerung zu. Die Frage ist allerdings eng gefasst. Eine andere Frage wäre, ob es den Deutschen wichtig ist, dass Politiker gläubig sind. Überraschend ist das Ergebnis der Frage, ob führende Vertreter der Religionen Einfluss auf die Regierung nehmen sollten: Mit Ja beantworteten dies 20 Prozent der Westdeutschen und 27 Prozent der Ostdeutschen. (dpa / pro)

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