Für immer jung?

Uralt werden, topfit bleiben und dabei makellos aussehen. Oder sogar ewig leben? „Longevity“-Anhänger tun alles, um aus ihren Körpern das Optimum herauszuholen. Klingt gut, aber ist das auch sinnvoll?
Von Swanhild Brenneke
Eine Frau in schwarzer Leggings macht Gymnastik-Übungen

Wenn Anastasia Rastorguev ihren Kühlschrank öffnet, fällt der Blick auf jede Menge Tabletten und Pulver. Sie holt ein Döschen mit Kapseln hervor: „Ganz wichtig, Resveratrol. Davon nehme ich jeden Morgen ein Gramm.“ Dann gibt es noch ein Pulver namens „NMN“, ein Molekül, das für die Zellgesundheit und den Energiestoffwechsel wichtig ist, und Kapseln mit der Aminosäure Trimethylglycin, um nur drei der vielen Mittel zu nennen. Die kommen auch in natürlichen Lebensmitteln vor, aber als Nahrungsergänzungsmittel sind sie höher konzentriert.

Anastasia ist Anfang 40, findet aber, sie sieht aus wie 20. Das erklärt sie auf ihrem Instagram-Kanal „laengerleben_mitanastasia“. Dort teilt sie auch, warum sie auf Zucker verzichtet. „Zucker essen ist Selbstsabotage. Iss nur natürliche Wholefoods aus dem Biomarkt“, empfiehlt sie. Aber süßes Obst isst sie gern. Vor allem teure Drachenfrüchte. In Berlin bekomme sie schon acht Stück für 30 Euro. „Ich esse nur Dinge, die meine Zellen verjüngen“, sagt sie.

Lukas Bossert, 35 Jahre alt, war mal Model. Jetzt betreibt er ein Unternehmen namens „Daluma“, ein Online-Shop für Nahrungsergänzungsmittel. „Visionäre 360-Grad-Selbstfürsorge“ lautet der Werbespruch. Bossert findet: „Jeder muss Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung priorisieren. Das muss an erster Stelle stehen. Danach kommen Familie, Freundschaften, Beruf.“ Sein Alltag ist minutiös durchgetaktet: Schlaf, Meditation, Sport und Ernährung. „Wenn jemand sagt ‚Ich kann nicht täglich Sport machen, weil ich Kinder habe‘, sage ich: ‚Du priorisierst dein Leben falsch‘“, erklärt er. Bossert ist zum Zeitpunkt der ARD-Doku, aus der diese Zitate stammen, übrigens Single und kinderlos, genauso wie Rastorguev.

Foto: Youtube/Y-Kollektiv, Screenshot PRO
In Anastasia Rastorguevs Kühlschrank stehen diverse Mittel, die das Altern verlangsamen sollen

Beide sind Anhänger des Longevity-Lifestyles. Die ARD-Dokumentation „Y-Kollektiv“ hat sie porträtiert. „Longevity“ bedeutet „Langlebigkeit“. Es geht dabei nicht um klassisches Anti-Aging mithilfe von Kosmetik oder chirurgischen Eingriffen. Anhänger der Bewegung richten ihr ganzes Leben darauf aus, möglichst wenig zu altern. Nur jung und gesund zu sein, ist wertvoll, so scheint es. Mit sogenanntem Biohacking soll das Optimum aus dem Körper herausgeholt werden.

Es geht um die Analyse von Blutwerten und des Mikrobioms im Darm, das Aufzeichnen von Schlafdaten, bis hin zu Implantaten und speziellen Geräten, die Funktionen im Körper messen. Der Trend flutet nicht nur die sozialen Medien. Wer besonders viel Geld übrig hat, kann beispielsweise in der Longevity-Klinik „Ayun“ in Zürich einen „Longevity-Check-up“ buchen. Kosten: zwischen 2.700 bis 7.800 Euro, je nach Umfang. Oder man kauft sich in der nächsten Buchhandlung einen der zahlreichen Ratgeber mit vielversprechenden Titeln wie „Der Longevity-Kompass“, „Projekt Lebensverlängerung“ oder „Neustart für die Zellen“.

Ziel: Gar nicht erst sterben

Besonders beliebt ist Zellverjüngung. Man glaubt: Wenn die Zellen sich verjüngen, dann altert der Körper langsamer. Das biologische Alter soll zurückgesetzt werden – nicht nur mithilfe von Nahrungsergänzungsmitteln oder speziellen Lebensmitteln. Wer es richtig ernst meint, greift zu Medikamenten wie Rapamycin oder Wirkstoffen wie Senolytika. Beides ist eigentlich für Krebspatienten oder Organtransplantierte gedacht.

Auf die Spitze treibt das alles der Milliardär Bryan Johnson. Er will nicht nur langsamer altern, sondern gar nicht mehr. Johnson möchte ewig leben. Seinen Körper nutzt er als Versuchsobjekt für diverse Behandlungen, die oft nur an Tieren erprobt wurden. Dass er sich das Blut seines Sohnes injizieren ließ, ist noch das Harmloseste. Der Streaming-Dienst „Netflix“ widmete dem Milliardär, der den Tod überwinden möchte, sogar eine Doku.

Das Streben nach Unsterblichkeit und ewiger Jugend ist alt. Schon der erste Kaiser Chinas, Qin Shi Huang, der bis 210 vor Christus regierte, soll Untertanen entsandt haben, um ein Elixier des ewigen Lebens zu finden. Bereits in der Antike suchten die Menschen nach dem Jungbrunnen. Und nicht zuletzt sang die Band „Alphaville“ in den 80ern, dass sie gern „forever young“ bleiben würden.

Ist „Longevity“ erstrebenswert? Was ist, wenn man krank wird und nicht gesund altern kann? Ist ein langes Leben mehr wert als ein kurzes?

Foto: iStock, PeopleImages
Pflanzenbetonte Kost und Getränke, die die Zellgesundheit fördern und Entzündungen hemmen, sind für Longevity-Anhänger unverzichtbar

Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie, sieht den Trend kritisch. Zum einen richte er sich automatisch an Gutverdiener. „Longevity muss man sich leisten können“, erklärt Dabrock im Deutschlandfunk-Podcast „Streitkultur“ zu dem Thema. Der Theologe und Ethiker meint nicht nur die Kosten für spezielle Behandlungen oder Nahrungsergänzungsmittel. Auch den zeitlichen Aufwand für Sport, gesunde Ernährung und viel Schlaf könnten sich nicht alle Menschen leisten. Zum anderen nähmen Longevity-Verfechter die Gesundheit oft als selbstverständlich hin. Das sei sie aber nicht. Ein gutes Leben könne es auch geben, wenn man krank sei oder es einem aufgrund von anderen Umständen nicht gut gehe, sagte der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.

Trost in der Endlichkeit des Lebens

„Ich würde immer die Sinnfrage und die Frage nach einem guten Leben in den Vordergrund stellen“, betont Dabrock. Auch in einem kürzeren oder vermeintlich nicht so gesunden Leben ließen sich Begegnungen und Teilhabe gut gestalten. Dem Theologen geht es vor allem darum, dass der Mensch sich nicht nur um sich selbst drehen sollte. Eigene Gesundheit, Sport und gute Ernährung sieht er eher als Hilfsmittel, um in der Lage zu sein, sich auch um den Nächsten und die Gesellschaft zu kümmern. „Ich möchte anderen Menschen, denen es nicht so gut geht, beiseite stehen“, sagt er.

Weiterhin gibt Dabrock zu bedenken: „In einem länger werdenden Leben kommen immer mehr Einschläge dazu.“ Er meint damit äußere Umstände, wie zum Beispiel Unfälle mit Todesfolge bei geliebten Menschen oder Erkrankungen. Je älter man werde, desto mehr häufe sich das in einem einzelnen Leben. Zwar wolle auch er selbst gerne gesund alt werden und lange leben. Aber: „Ich kann in der Endlichkeit auch etwas Tröstliches finden.“

Alle Bemühungen um ein langes, gesundes Leben würden zudem nicht helfen, wenn die Perspektive fehle, warum man das alles tue. Er beobachte bei einigen jungen Menschen eine Resignation angesichts der Zukunft. „Im Sinne von: Wir können sowieso nichts mehr ändern.“ Der Ethiker nennt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer als Vorbild, die sich bis zu ihrem Tod als Zeitzeugin für andere engagierte. Dabrock wünscht sich, dass sich mehr Menschen die Frage stellen: „Was macht das Leben auch für andere gut, in einer nachhaltigen Welt, im gemeinschaftlichen Miteinander?“

Krank, alt und trotzdem glücklich

Martin Peters ist leitender Oberarzt in der Klinik für Geriatrie, also Altersheilkunde, am katholischen St. Laurentius-Stift in Waltrop. Seine Patienten befinden sich in ihrem letzten Lebensabschnitt. Auf Longevity hätten die ihn noch nie angesprochen. Stattdessen ist für sie ein ganz anderes Thema wichtig: Ob sie ihr Leben als gut und erfüllt empfinden, machen fast alle von Peters’ Patienten an gelungenen Beziehungen fest. „Ich habe noch nie gehört, dass jemand über ein verlorenes Haus geklagt hat oder über materielle Verluste“, sagt er im PRO-Interview. „Wenn Patienten am Ende ihres Lebens verbittert und verzweifelt sind, dann hauptsächlich deswegen, weil Beziehungen zerbrochen sind oder nicht geklärt wurden.“

Ob Menschen im Alter zufrieden sind, hänge natürlich auch von ihrer Gesundheit ab. Chronische Krankheiten könnten eine lange Leidenszeit mit sich bringen. Es sei deshalb sinnvoll, schon in jungen Jahren gesund zu leben. Peters empfiehlt aber die Klassiker statt Experimente: nicht rauchen, viel Bewegung, guter Schlaf und gesunde Ernährung. Er nennt es „die risikoarmen Methoden“. Die mentale Gesundheit spiele eine besonders wichtige Rolle – nicht nur im Alter. Gesellschaft mit anderen zu suchen und nicht zu vereinsamen, sei ganz wichtig.

Die mentale Gesundheit könne nämlich auch dann helfen, wenn gesund alt werden eben nicht möglich ist – aufgrund chronischer Krankheiten oder wegen anderer schwerer Diagnosen. Die meisten Patienten in der Geriatrie litten unter mehreren Krankheiten gleichzeitig, von denen sich viele „niemals hier auf der Erde erholen“ werden. Um das Leben dann trotzdem noch als lebenswert zu empfinden, rät Peters seinen Patienten, sich auf die noch bestehenden Fähigkeiten zu konzentrieren. Wer sich nur auf seine Verluste fokussiere, werde oft depressiv. „Das Wichtigste ist, die positiven Ressourcen hervorzuholen und zu feiern“, sagt Peters.

Perspektive Ewigkeit

Den Extremfall, das Streben nach Unsterblichkeit, hält der Arzt, der in einer freikirchlichen Gemeinde aktiv ist, für Selbstüberschätzung. Und stressig sei es noch dazu: „Ich weiß nicht, ob Bryan Johnson überhaupt lebt. Oder ob er nur dafür lebt, lange zu existieren.“ Generell ist Peters’ Meinung zu Longevity: „Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch erstrebenswert.“

Der Longevity-Trend zeigt für ihn auch noch etwas anderes: Die Angst vor dem Tod und das Verdrängen des Sterbens. Wenn bei seinen Patienten diese Angst aufkommt, kann Peters auf Jesus hinweisen. Im St.-Laurentius-Stift hängt in jedem Zimmer ein Kreuz, immer mit einem Loch in der Mitte. Das Loch steht für das leere Grab und Jesu Auferstehung. Es kommt öfters vor, dass er mit seinen Patienten darüber spricht. Die ältere Generation sei mit dem Thema Glaube zumindest aus der Kindheit noch vertraut. „Für manche bedeutet so eine Wiederauffrischung von dem, was sie früher mal geglaubt haben, dass sie mit Hoffnung weitergehen können. Auch wenn der Körper verfällt.“

Im St. Laurentius-Stift hängen Kreuze mit einem Loch in der Mitte an den Wänden. Ein Zeichen für das leere Grab Christi. Foto: privat
Im St. Laurentius-Stift hängen Kreuze mit einem Loch in der Mitte an den Wänden. Ein Zeichen für das leere Grab Christi.

Auch Longevity-Influencer wie Anastasia Rastorguev und Lukas Bossert werden früher oder später alt – selbst wenn sie alles dafür tun, das so lange wie möglich hinauszuzögern. Bei ihren ganzen Bemühungen, gesund und fit zu bleiben, scheinen sie etwas Wesentliches aus dem Blick zu verlieren: Das Leben ist endlich. Zumindest gibt es bisher noch kein Mittel, das das verhindern könnte. Die Endlichkeit des Lebens macht gleichzeitig aber auch dessen Wert aus. Es ist nicht verfügbar, sondern etwas Gegebenes  – im christlichen Verständnis von Gott – und wird dadurch umso kostbarer.

In Psalm 90 heißt es: „Lehre uns zu bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Wer sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst ist und das Leben als Geschenk ansieht, der möchte es sinnvoll und eben klug gestalten – für sich und für andere. Und das bedeutet wahrscheinlich nicht, sich ausschließlich der Optimierung des eigenen Körpers zu widmen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 6/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können das Magazin hier kostenlos abonnieren.

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