Kommentar

Die EKD rückt den Pazifismus an den Rand – ein Fehler

Die EKD formuliert in ihrer neuen Friedensdenkschrift, wann ihrer Meinung nach Gewalt geboten ist, um schlimmeres Leid zu verhindern. Dass sie sich auch vom Pazifismus verabschiedet, halten viele für einen Fortschritt. Ein Irrtum.
Von Nicolai Franz

Die evangelische Kirche hat am Montag eine neue Friedensdenkschrift veröffentlicht und hat dafür viel Lob geerntet. Verantwortlich und differenziert sei sie, heißt es, und erleichtert wird allerorten registriert, dass die Kirche endlich mit dem Pazifismus breche.

Ich habe mir die Schrift genauer angesehen. Und je weiter ich sie las, desto mulmiger wurde mir.

Zunächst: In der Tat liest sich „Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick“ wie eine ethisch reflektierte Handlungsanweisung für einen modernen liberalen Staat, wenn es um Anstrengungen für den Frieden und Anwendung von Gewalt geht.

Und genau das ist das Problem.

Um das zu verstehen, muss man 18 Jahre zurückgehen, zur 2007 erschienenen EKD-Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“. Das Dokument ist der aktuellen Fassung nicht nur intellektuell weit überlegen, sondern auch was ihre pastorale Weitsicht angeht.

Damals rangen in der EKD Koryphäen wie der damalige Ratsvorsitzende Wolfgang Huber und das Ratsmitglied Margot Käßmann um eine gesamtkirchliche Position zu Krieg und Frieden. Realpolitische (wie die von Huber) und radikalpazifistische (wie die von Käßmann) Stimmen prägten das Umfeld, in dem die Denkschrift entstand. Am Ende stimmte der gesamte Rat dem Dokument zu.

Es begründete das Konzept des „Gerechten Friedens“ als Antwort auf das Konzept des „Gerechten Krieges“ („bellum iustum“) des Kirchenvaters Augustinus. Die Denkschrift von 2007 erkennt an, dass in der evangelischen Kirche sowohl Soldaten ihren Platz haben als auch die, die Gewalt aus Glaubensgründen in jeglicher Situation ablehnen – und lässt sie stehen, ohne sie abzuurteilen.

Von der Bibel her argumentieren die Autoren für Gewaltfreiheit, aber auch für strikt begrenzte „rechtserhaltende Gewalt“, die im äußersten Notfall angewendet werden kann. Dazu gehören der „Schutz vor Gewalt“, die „Förderung der Freiheit“, der „Abbau von Not“ und die „Anerkennung kultureller Verschiedenheit“. 2008 schuf die EKD das Amt des „Friedensbeauftragten“, das dann zunächst der Pazifist Renke Brahms inne hatte. Seine Aufgabe war es, die Anliegen der Denkschrift zu kommunizieren und zwischen EKD und kirchlicher Friedensbewegung zu vermitteln.

Abschied vom Pazifismus

Die neue Denkschrift baut auf ihrer Vorgängerin auf, übernimmt auch zentrale Begriffe – betont aber deutlich den „Schutz vor Gewalt“ als grundlegende und wichtigste Form rechtserhaltender Gewalt. Sie nimmt sich viel Platz, um auch den Pazifismus, der die Kirche der Nachkriegszeit stark geprägt hat, zu würdigen. Mit wenigen Sätzen zeigt sie aber, was sie wirklich von Pazifismus hält:

„Christlicher Pazifismus ist als allgemeine politische Theorie ethisch nicht zu begründen. Er ist aber als Ausdruck individueller Gewissensentscheidung zu würdigen. Christlicher Pazifismus ist Ausdruck gelebter Frömmigkeit. Und er ist politischer Impulsgeber, der das Leitbild des Friedens als Orientierung für staatliches Handeln wachhält.“

Mit anderen Worten: Es mag ein paar fromme Träumer geben, die meinen, Jesu Gebot des Gewaltverzichts und der Feindesliebe (z.B. Mt 5,39.44) gelte für alle Lebensbereiche, aber allzu ernst sollte man sie nicht nehmen. Mahnen dürfen sie immerhin noch. Die Denkschrift argumentiert gegen ein utopisches Verständnis von Frieden und setzt diesem ein eschatologisches entgegen: Am Ende der Zeiten werde es wirklich gerechten Frieden geben, aber bis dahin müssen wir der Realpolitik ins Auge schauen – und im Notfall eben Gewalt anwenden, wenn wir verantwortlich handeln wollen.

Diese Sichtweise kann man vertreten, und – vielleicht überrascht das Sie nach meiner Einleitung –ich teile diese Sichtweise, wenn es um den Einsatz von Gewalt geht, um schlimmeres Leid zu verhindern.

Einen ernsthaften, aus der Nachfolge Jesu begründeten Gewaltverzicht sollten Christen aber nicht zum Kitsch erklären, mit dem sich die Probleme dieser Welt angeblich nicht lösen lassen.

Ja, radikaler Gewaltverzicht folgt einer Utopie. Aber wenn jemand Raum für Utopie lassen muss, wer außer der Kirche sollte es denn sein? War Jesus etwa selbst ein frommer Träumer, der auf „rechtserhaltende Gewalt“ gegen die römischen Besatzer verzichtete und mit seiner Botschaft der Feindesliebe und seinem Tod am Kreuz eine weltweite Revolution auslöste, wie sie keine Armee der Welt je verursacht hat? Waren seine Jünger einer frommen Utopie erlegen, als sie in der Verfolgung nicht zuerst „Schutz vor Gewalt“ forderten, sondern mutig ihrem Herrn nachfolgten? Haben die Christen in der DDR durch gewaltfreien Widerstand und mit Vertrauen auf Gott und sein Wort etwa nicht entscheidend dazu beigetragen, dass das sozialistische Regime fiel?

Friedensbeauftragter schrieb nicht mit

Die EKD schiebt radikalen Gewaltverzicht an den Rand – und könnte damit sehr viele Mitglieder vor den Kopf stoßen. Dabei war das Miteinander von Realpolitik und Radikalpazifismus gerade das, was die Kirche in Fragen von Krieg und Frieden stark gemacht hat. Unzählige Male in der Geschichte hat sich die Kirche versündigt, als sie militärische Gewalt rechtfertigte (heute muss man nur nach Moskau schauen). Wohl noch nie hat sie sich aber versündigt, wenn sie zu Gewaltverzicht aufgerufen hat. Die Kirche täte gut daran, wenn sie diese Stimmen weiter würdigt.

Eine davon dürfte ausgerechnet die des heutigen Friedensbeauftragten Friedrich Kramer sein, wie sein Vorgänger ist er überzeugter Pazifist. Immerhin war er bei der Präsentation der Denkschrift am Montag auf der Bühne dabei. Zwar wurde Kramer im Entstehungsprozess der Denkschrift gehört, heißt es.

Am Text mitgearbeitet hat er nicht.

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