US-Präsident Donald Trump hat Nigeria mit Militärschlägen und wirtschaftlichen Sanktionen gedroht. Als Grund führt er an, dass islamistische Terroristen dort Christen töteten. Die USA seien bereit, die gesamte Christenheit auf der Welt zu retten. Der Leiter des christlichen Hilfswerks „Open Doors“, Markus Rode, ordnet diese Aussagen im PRO-Interview ein. „Open Doors“ führt umfangreiche Hilfsprojekte in Nigeria durch.
Wie stellt sich die politische Situation in Nigeria gerade dar?
Markus Rode: Nigeria ist eine Bundesrepublik mit 36 Bundesstaaten. In zwölf muslimisch dominierten Bundesstaaten im Norden wurde bereits die Scharia eingeführt, während in den südlichen Bundesstaaten überwiegend Christen leben. Nachdem bereits Millionen Menschen aus dem Norden geflohen sind, konzentriert sich die Gewalt gegen Christen zunehmend auf die Bundesstaaten im Mittelgürtel, wie den Plateau State, um auch diese zu islamisieren. Das Narrativ, dass es hierbei im Wesentlichen um den Kampf zwischen christlichen Bauern und muslimischen Viehhirten, den Fulani, um Land geht, wurde in weiten Teilen der säkularen Presse ungeprüft übernommen. Es kommt auch dem nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu gelegen. Er ist zwar um mehr Ausgleich zwischen den Glaubensgemeinschaften bemüht als sein ebenfalls muslimischer Vorgänger. Aber auch er bietet den Christen keinen wirksamen Schutz vor den anhaltenden Massakern.
Was bedeutet das für die Christen in dem Land?
Sie sind den islamistischen Gruppen wie Boko Haram und den mit modernen Waffen ausgestatteten Fulani schutzlos ausgeliefert. Manchmal werden Pastoren in christlichen Dörfern gewarnt, jegliche Gottesdienste sofort einzustellen, zum Islam überzutreten und die Kirche in eine Moschee umzuwidmen, andernfalls drohe ihnen der Tod. Viele Überfälle und Morde werden gezielt an christlichen Feiertagen verübt. Ein Pastor hat mir erzählt, dass sie die Christen zuerst mit Macheten töten und sich die „kostbaren“ Kugeln sparen für die, die fliehen. Häuser und Kirchen werden niedergebrannt und die Felder der Christen einverleibt. Das passiert nicht nur in Nigeria, sondern auch in anderen Ländern südlich der Sahara.
Die wiederkehrenden Überfälle auf christliche Ortschaften sind äußerst brutal.
OD-Leiter Markus Rode
Wie stark ist die Christenverfolgung in Nigeria insgesamt?
Nigeria nimmt auf dem aktuellen Weltverfolgungsindex Rang 7 ein. Nigerianische Christen sind also extremer Verfolgung ausgesetzt. Besonders ist das hohe Maß an Gewalt: 69 Prozent aller Christen, die im vergangenen Jahr weltweit wegen ihres Glaubens getötet wurden, kamen in Nigeria um. Die wiederkehrenden Überfälle auf christliche Ortschaften sind äußerst brutal. Viele der Überlebenden sind traumatisiert. Hunderttausende leben in Flüchtlingslagern. Ich habe selbst mit Menschen vor Ort gesprochen, die solche Angriffe überlebt haben und die verbrannten Körper ihrer Kinder und Ehepartner identifizieren mussten. Was sie durchlitten haben, ist unvorstellbar.
Was haben Sie gedacht, als Sie die Ankündigung der Trump-Administration gehört haben?
Ich war zuerst mal überrascht, dass sich Donald Trump so deutlich zur Situation in Nigeria äußert. Es ist ungewöhnlich, dass der Präsident eines Landes das Leid dieser Christen so unmissverständlich klar gegenüber dem verantwortlichen Präsidenten und zudem in aller Öffentlichkeit anspricht. Dass er sich dabei auf unsere gut recherchierten Zahlen bezüglich der ermordeten Christen beruft, war natürlich erfreulich. Wir müssen davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch viel höher liegt als 3.100 innerhalb eines Jahres. Unabhängig jeglicher politischer Einordnung hat Trump erreicht, dass die Welt auf Nigeria und die dort ausufernde Gewalt blickt. Ich würde mir wünschen, dass auch unsere Politiker das unvorstellbare Leid der nigerianischen Christen öffentlich thematisieren. Die Informationen dazu stellen wir aktuell zur Verfügung. Natürlich hat Donald Trump einen sehr eigenen Stil, zu kommunizieren. Sicher ist, dass die betroffenen Christen nicht um Vergeltung mit Waffengewalt bitten, sondern um Schutz und unsere Unterstützung als Christen. Sie haben alles verloren und dennoch ihren Glauben an Jesus behalten.
Die Worte der Politiker vor Ort hören sich ganz anders an …
Für die nigerianische Regierung ist die Situation natürlich sehr unangenehm. Solche Massaker werden gerne vertuscht, da sie der öffentlichen Reputation des Präsidenten schaden. Auf der einen Seite ist es fraglos eine riesige Herausforderung, die Bevölkerung vor der ausufernden Gewalt zu schützen. Andererseits gab es in den letzten Jahren aber immer wieder Anzeichen dafür, dass es am Willen dazu fehlt – besonders wenn es um die Christen geht. Sicherheitsbehörden haben bei vielen Angriffen nur sehr verhalten oder gar nicht reagiert. Mehrfach haben Christen berichtet, dass die Angreifer besser bewaffnet waren als die Sicherheitskräfte, die sie ja eigentlich schützen sollten. In einigen Fällen kamen nahe an den Orten der Massaker stationierte Militäreinheiten erst verspätet, nachdem die Christen getötet und die Dörfer bereits zerstört waren. Vor allem aber sind die mangelnde Strafverfolgung und Korruption ein riesiges Problem in Nigeria.
Wie hilfreich ist so eine Ansage für die Menschen vor Ort?
Das hängt stark davon ab, wie die nigerianische Regierung darauf reagiert und welche der angedrohten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Sollten die USA ihre Hilfen für Nigeria stoppen, könnte dies sicher ein großer Ansporn sein, dem Schutz der Christen einen deutlich höheren Stellenwert einzuräumen.
Ich bete dafür, dass die Christen in Deutschland ihre Augen nicht vor dem unsäglichen Leid verschließen.
OD-Leiter Markus Rode
Was bedeutet das für Ihre eigene Arbeit?
Für unsere Arbeit ist vor allem wichtig, dass verfolgte Christen gesehen, gehört, unterstützt und im Gebet getragen werden. Das ist ja der sehnlichste Wunsch der Christen in Nigeria. Genau wie andere, ebenfalls hart verfolgte Glaubensgeschwister südlich der Sahara wollen sie nicht alleine gelassen werden. Sie wünschen sich Menschen, die sich an ihre Seite stellen. Davon hängt ab, was wir vor Ort bewirken können, sei es die praktischen Hilfsprojekte, die Arbeit mit Traumatisierten oder die Versorgung der zahlreichen christlichen Flüchtlinge.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein Wunsch orientiert sich an den Bedürfnissen unserer verfolgten Glaubensgeschwister. Das erste ist natürlich ein Ende der Gewalt. Dann geht es um den Aufbau der zerstörten Häuser und Kirchen sowie die Rückkehr in ihre Dörfer. Ich verbinde das mit der Zuversicht, dass sie zukünftig vor den Attacken der Islamisten besser geschützt werden und ihren Glauben frei leben und weitergeben dürfen. Ich bete dafür, dass die Christen in Deutschland ihre Augen nicht vor dem unsäglichen Leid verschließen. Schließlich sind wir ein Leib Christi. Angesichts der Hilferufe der Christen haben wir eine weltweite Kampagne mit dem Titel „Arise Africa“ („Steh auf, Afrika“) gestartet. Sie richtet sich auch an alle Christen und Gemeinden in Deutschland. Hier können Menschen traumatisierten Christen mit kurzen Botschaften ermutigen, eine Petition unterzeichnen, die Traumahilfe unterstützen und natürlich dringende Nothilfe ermöglichen. Es ist mein größter Wunsch, dass wir das gemeinsam tun.
Vielen Dank für das Gespräch.
Nigeria ist mit 220 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Besonders in Zentralnigeria kommt es seit Jahrzehnten zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Ethnien. Dabei geht es natürlich auch um Land und Wasser in der Region. Die führenden Politiker Nigerias betonten, dass das Land religiöse Verfolgung ablehne.