Zerbricht die Ehe, zerbricht eine Welt

Wenn sich Eltern trennen, bricht für viele Kinder eine Welt zusammen. Für das Paar ist dieser Schritt ebenfalls schmerzhaft – auch und gerade in christlichen Kreisen. Deswegen sollten Gemeinden in solchen Situationen unterstützen.
Von Johannes Blöcher-Weil
Wenn Beziehungen von Christen scheitern, helfen moralische Zeigefinger und fromme Plattitüden selten weiter

Jakob Lauber erinnert sich noch genau an den Moment, als die Mutter die drei Geschwister in die Küche rief und damit  konfrontierte: „Papa kommt nicht wieder. Wir haben uns getrennt.“ Für Lauber, der wie alle Protagonisten dieses Artikels eigentlich anders heißt, bricht eine Welt zusammen. In seinem Heimatdorf kennt jeder jeden und die Familie engagiert sich in der örtlichen Freikirche. Mit der Trennung und der neuen Frau im Leben seines Vaters ändert sich alles. Im Rückblick weiß Lauber, warum der Vater immer mal längere Zeit weg war. „Wir Geschwister haben uns Papa ins Gefängnis gewünscht. Schließlich war er schuld an der neuen Situation.“

Während der Vater zu seiner neuen Partnerin in ein anderes Bundesland zog, blieben die Kinder bei der Mutter. Die räumliche Distanz erleichterte es Lauber, die Situation zu ertragen und sich mit ihr anzufreunden. Damals half ihm auch die Predigt eines Jugendpastors der Nachbargemeinde. Jesus kenne schlimme Lebenssituationen, auch weil er selbst welche durchgestanden habe. Die neue Situation forderte die Familie auch finanziell heraus. Die Mutter musste die Familie fortan allein ernähren: „Sie hat uns trotz allem viel ermöglicht.“

Dass Lauber Verantwortung für die zwei Geschwister übernehmen musste, hat ihn unabhängiger gemacht. Für ihn wurden die Großeltern zum Anker, weil er dort einfach Kind sein durfte. Allerdings dauerte es sehr lange, bis die Wunden verheilt sind: „Diese Zeit sollte man sich nehmen.“ Als er die Trennung seiner Eltern akzeptieren konnte, besserte sich das Verhältnis zu seinem Vater und er konnte die Vater-Kind-Tage genießen. Doch es fällt ihm bis heute schwer, seinem Vater zu vergeben.

Wie mit Scheitern umgehen?

Simon Faber hat sich anders entschieden: Er ist bei seinem Vater geblieben. Auch seine Eltern engagierten sich in der örtlichen Gemeinde und im CVJM, waren gut vernetzt und hatten Leitungsfunktionen. Nach der Trennung beendete der Vater sein Ehrenamt und auch die Mutter gab ihre Stelle bei der Kirche auf. „Ohne die Trennung wäre meine Jugend vermutlich sorgenfreier gewesen“, betont Faber. Mehrere Jahre lieferten sich beide Parteien erbitterte juristische Auseinandersetzungen. Jede Seite sammelte akribisch Argumente gegen das Verhalten des anderen, um den Rechtsstreit für sich zu entscheiden. Unterstützung aus dem kirchlichen Umfeld bekam die Familie in dieser schwierigen Phase kaum. „Wirklich auf mich zugekommen ist niemand.“

Für Sandra Schreiber von der christlichen Beratungsstelle „Lebensraum“ in Gießen ist in solchen Fällen auch das geistliche Verständnis wichtig, das eine Gemeinde vom Scheitern hat: „Eine Trennung wird innerhalb einer Gemeinde schnell nach außen sichtbar. Schuld, Scham und Unsicherheit können bei den Betroffenen unangenehme Gefühle sein, mit denen sie sich zusätzlich auseinandersetzen müssen. Es ist nicht leicht, wenn sichtbar wird, dass man seine Wünsche und guten Ideen nicht umsetzen konnte.“ Für Gemeinden könne der Gedanke hilfreich sein, dass Versagen, Scheitern und Schuld „in dieser gefallenen Welt Realität sind. Auch in anderen Bereichen scheitern wir Christen. Wir sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen.“

Hinzu komme, dass Christen Gott und ihrem Partner Treue versprochen hätten und sie nun vor den Scherben vieler Ideen und Wünschen stünden. „Vielleicht blicken Gemeinden theologisch auf das Thema. Sich dem zu stellen, ist sicher kein einfacher Schritt, den man behutsam und mit Gottes Hilfe gehen kann.“ Wichtig sei auch, den Betroffenen Unterstützung anzubieten, indem man mit ihnen betet und den Zustand aushält, aber auch ganz praktisch, indem man die Kinder betreut oder beim Umzug hilft.

Als Faber in dieser Zeit versuchte, Gott stärker zu vertrauen, erlebte er kleine Wunder. Auf dem Höhepunkt der Konfrontation betete er dafür, dass sich seine Eltern einigten – was für eine gewisse Zeit anhielt. Er absolvierte selbst eine Seelsorge-Ausbildung, um anderen Menschen in dieser Lage zu helfen: „Vermutlich wäre meine Erfahrung mit Gott in guten Zeiten nicht so intensiv gewesen.“ Bei Fabers mussten Familienfeste wie Geburtstage und Weihnachten getrennt gefeiert werden: „Bei meiner Hochzeit war das nicht möglich.“ Bis zum Schluss hatten die älteren Familienmitglieder Probleme, einander zu verzeihen. Faber bedauert, dass bei Konflikten ganz oft nur aus Sicht der Erwachsenen, aber nicht aus der der Kinder geschaut werde.

„Ich habe ganz neu begriffen, was es bedeutet, mit leeren Händen vor Jesus zu stehen und Gnade zu empfangen.“

Trennung mit Erlaubnis des Pastors

Auch Peter Freund hat leidvolle Erfahrungen mit Trennung gemacht. Lange rang er mit sich, bevor er seine Frau verließ. Die Ehe mit professioneller Unterstützung zu retten, scheiterte. Ein christlicher Berater empfahl beiden in getrennten Gesprächen eine vorläufige Trennung: „Zum Wie sagte er nichts.“ Freunds Pastor riet ihm, sich zum eigenen Schutz Grenzen zu setzen. Doch die Konflikte verschlimmerten sich. Nach einem Umzug reichten die Auseinandersetzungen schließlich bis in die Gemeinde.  Wirksame Hilfe fand er bei einer freiberuflichen Therapeutin. Auch Freunds neuer Pastor „erlaubte“ ihm, sich zu trennen, wenn er keine Alternative sehe: „Das war befreiend!“

Die Gemeindeleitung gestattete ihm, weiter seine Dienste zu tun. Häufig hörte er in seinem christlichen Umfeld vorschnelle Urteile.  Nach seiner Sichtweise habe ihn kaum jemand gefragt. Seine Frau galt als Opfer, ihn stempelte man als „Täter“ ab. „Ich habe selten eine größere Kluft erlebt zwischen dem, was Christen sagen und dem, wie ich Gott erlebe.“ Ihn schmerzten die moralischen Zeigefinger derjenigen besonders, mit denen er gerne über Lösungen gesprochen hätte. Freund war sich dessen bewusst, dass sowohl die Gestaltung seiner Ehe als auch eine Scheidung nicht Gottes Willen entsprachen: „Aber die wenigsten Christen machen sich eine Trennung leicht.“ Gott habe ihn in dieser Zeit trotzdem getragen: „Ich habe ganz neu begriffen, was es bedeutet, mit leeren Händen vor Jesus zu stehen und Gnade zu empfangen.“

Als er ohne Zukunftsperspektive am Boden lag, hätten viele Christen ihn mit Vorwürfen überschüttet. Erst ein Atheist aus seinem Umfeld habe ihm zugehört und betont, dass es in der Bibel um Vergebung gehe. Jesus sei für die Schuld der Menschen gestorben. Das beinhalte sicher auch eine Scheidung. Für Freund ist klar, durch wen ihm der Charakter Gottes offenbar wurde. Es fällt ihm noch schwer, anderen Beteiligten zu vergeben. Auch eine Aussprache mit seiner Frau ist in weiter Ferne. Trotzdem wünscht er sich, dass Christen über das Thema reden: „Jeder von uns scheitert. Viele Gemeinden reden nicht darüber, weil sie denken, dass sich dann auch noch andere Paare trennen könnten.“ Heute arbeitet er wieder in der Gemeinde mit. Freund moderierte sogar einen Gottesdienst zum Thema Scheitern: „Mir tat es gut, mich vor der Gemeinde zu öffnen.“

Kein Verständnis für fromme Sprüche

Die Trennung verhindern konnte auch Sabine Krell nicht. Ihr Mann eröffnete ihr nach mehr als 30 Jahren Ehe, dass er am Wochenende ausziehen werde. „Ich wollte das nicht wahrhaben. Ich wollte kämpfen, auch weil ich ihm vor Gott lebenslange Treue versprochen hatte.“ Eine Beratung wäre in ihren Augen eine gute Möglichkeit gewesen, manches neu zu justieren. Aber sie hatte keine Chance mit ihrem Wunsch danach. Als besonders schmerzhaft empfand sie die Frage des Anwalts bei der Scheidung, ob sie ihre Ehe als gescheitert ansehe. Krell hatte dazu eine andere Meinung als ihr Mann: Für sie war ihre Ehe nicht gescheitert.

In der Beratung geht es für Schreiber und ihr Team darum, Menschen in ihrer Krise zu stärken und gute Lösungen zu finden: „Vielen hilft, wenn sie sich in ihrer Gemeinde einer Person anvertrauen können, die das Thema sensibel und seelsorgerisch begleitet.“ Wichtig sei, dass die Betroffenen selbst aus einer verantwortlichen Haltung heraus entscheiden: „Wir wollen dafür Räume bieten.“ Schreiber berichtet von einer wissenschaftlichen Studie, derzufolge es fünf bis sieben Jahre dauert, bis sich ein Paar oder einer der beiden mit dem Thema einer möglichen Trennung beschäftigt. Hier könnte innerhalb dieser vielen Jahre des Abwägens Paarberatungen hilfreich sein. Bei geistlichen Fragen zum Thema Trennung verweisen die Beraterinnen auf Theologen. In den Beratungsgesprächen geht es meistens darum, sich mit dem eigenen Scheitern auseinanderzusetzen und damit, wie beide weiterhin gute Eltern bleiben können. Schreiber warnt davor, in solchen Krisen biblische Ratschläge zu erteilen oder Schuldzuweisungen zu machen. Sie frage gerne nach, ob es Bibelverse gibt, die den Klienten eine Hilfe sein können.

Krells Trennung entzweit die Familie bis heute. Selbst die Kinder, die eigentlich neutral bleiben wollten, hätten sich positioniert. „Mir haben prominente Scheidungsfälle wie Margot Käßmann und der unseres Pastor geholfen, weil sie mir gezeigt haben, dass auch fromme Menschen scheitern.“ Ihrer Gemeinde macht sie keine Vorwürfe: „Ich habe mich ja selbst zurückgezogen und wollte nicht gefragt werden.“ Kein Verständnis hat sie, wenn sie Bibelsprüche oder fromme Plattitüden hört. Ihr Vertrauen in die Männerwelt ist jedenfalls erschüttert. Schließlich gibt es zu große Narben. Auch das Kapitel Vergebung ist noch nicht abgeschlossen. Das hat sie Gott ehrlich gesagt: „Ich bin mir sicher, dass er mich hält. Das sieht man oft erst in der Rückschau. Vorwürfe gemacht habe ich ihm trotzdem.“

Jakob Lauber, von dem dieser Text am Anfang handelte, pflegt mittlerweile ein harmonisches Verhältnis zu seinem Vater. Es liegt ihm fern, über das Scheitern anderer Ehen zu urteilen: „Ich wünsch jedem, dass seine Ehe Bestand hat. Und ich hoffe, dass dies bei meiner eigenen Beziehung auch gelingt.“ Besonders, wenn Kinder involviert  sind. Denn die sind die Hauptleidtragenden, wie Lauber am eigenen Leib erfahren musste.

Der Artikel ist erstmals in der Ausgabe 5/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Das Heft können Sie hier kostenlos bestellen.

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