Filmkritik

Leibniz, Gott und die Welt

Endlich! Ein Film über Gottfried Wilhelm Leibniz. Darin kommt der große Denker ins Philosophieren über Gott und die Welt. Das ist erstaunlich tiefgründig und kommt dem gläubigen Philosophen erfreulich nah.
Von Jörn Schumacher
Edgar Selge als Leibniz

England hat Isaac Newton, Frankreich hat René Descartes, doch das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz scheint im Vergleich dazu hierzulande ein fast stiefmütterliches Dasein zu fristen. Den meisten fällt beim Namen Leibniz als Erstes der Keks ein. Dabei hat Leibniz auf so vielen Gebieten so viel geleistet, erdacht, erfunden, dass er in der Tat etwas schwierig zu fassen ist – erst recht in einem Spielfilm. Das Wagnis ist der Regisseur Edgar Reitz eingegangen, und er hat ein wunderbares Werk erschaffen, das prima als filmisches Denkmal dienen kann.

Philosophie, Mathematik, Technik, Physik, Geschichte, Sprachwissenschaft, und ja, auch Theologie. Für Leibniz gab es keine Fächergrenzen. „Wenn ich morgens aufwache, habe ich so viele Ideen im Kopf, dass der Tag nicht ausreicht, um sie niederzuschreiben“, soll Leibniz einmal gesagt haben. Vielleicht auch deswegen bleibt dieser Denker vielen Deutschen fremd. Er ist nicht sehr populär, weil sein Werk es nicht ist.

Gottfried Wilhelm Leibniz Foto: Public Domain

Gottfried Wilhelm Leibniz

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) war einer der wichtigsten Philosophen und Universalgelehrten seiner Zeit und ein Vordenker der Aufklärung. Er wuchs in Leipzig auf, ab 1676 wirkte er am Hof von Johann Friedrich, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, in Hannover und blieb dort bis zu seinem Lebensende. Leibniz hat nie geheiratet und hatte keine Nachkommen.

Die „Monadologie“ erscheint dem heutigen Leser, gelinde gesagt, verworren. Dabei ist sie nicht weniger als der Versuch, der noch immer riesigen ungelösten Frage nach dem freien Willen des Menschen auf die Schliche zu kommen. Irgendwie muss doch dieser „Geist“ im Inneren auf die Materie im Äußeren einwirken können! Leibniz’ Ansatz waren kleine Teilchen, denen diese Verbindung immanent ist. Vereinfacht ausgedrückt, wären Monaden für den Geist, was Atome für die Materie sind.

„Gott rechnet mit uns“

Leibniz war ein Einzelgänger, er war nie verheiratet und hatte keine engeren Freunde, die Mahlzeiten nahm er meistens allein auf seinem Zimmer ein. Doch er schrieb in seinem Leben über 15.000 Briefe an 1.100 Partnern in 16 Ländern. Mit Sophie Charlotte, der hochgebildeten Frau des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., verband ihn eine enge Freundschaft.

Mehr als vier Jahrzehnte tüftelte er an einer mechanischen Rechenmaschine. Bekannt wurde er auch für die Entwicklung der Differential- und Integralrechnung. Jahrelang stritten sich Leibniz und Newton darum, wer sie zuerst entworfen hatte. Bis heute benutzen Mathematiker auf der ganzen Welt die Zeichen und Begriffe, die Leibniz erfand.

Für Leibniz war die Logik das alles bestimmende Prinzip, mit der die Natur entschlüsselt werden kann. Eigentlich wäre Streit so völlig überflüssig: Anstatt zu streiten, müssten die Menschen einfach nur gemeinsam die logisch richtigen Schlüsse „ausrechnen“. Zu dieser Logik gehörte wie selbstverständlich auch der Glaube an Gott. Das Bild des Uhrwerks für eine Welt, die sich ein intelligenter Schöpfer ausgedacht hatte, war für Leibniz fundamental. „Indem Gott rechnet und seinen Gedanken ausführt, entsteht die Welt“, schrieb  Leibniz. „Gott rechnet mit uns“, ist daher seine logische Konsequenz. Wir alle sind Nullen und Einsen im großen Computer, der sich Kosmos nennt.

„Gott ist der erste Grund der Dinge.“

Gottfried Wilhelm Leibniz

Leibniz baute darauf eine ganze Theologie auf. Die 1 steht für Existenz, die 0 für das Nichts. Gott ist symbolisiert durch die 1, der die Welt aus dem Nichts (0) geschaffen hat. Leibniz war so fest davon überzeugt, mit dieser „Formel“ Gott erklären zu können, dass er vorschlug, damit in die fernen Länder zu den Heiden zu reisen, um sie zu Gott zu bekehren.

Weiter ist Leibniz bekannt für seine Theorie der „besten aller Welten“. Der Philosoph glaubte, dass Gott allwissend, allmächtig und vollkommen gut sei. Daher hätte er gar keine schlechte Welt erschaffen können. Voltaire, der den Gedanken hinter der philosophischen Betrachtung missverstand, machte sich darüber sowie über religiösen Fanatismus in seinem Buch „Candide“ lustig.

Und ja, entgegen weit verbreiteter Meinung hat der Keks übrigens tatsächlich etwas mit Leibniz zu tun: Die Fabrik Bahlsen suchte 1891 einen ähnlichen Kassenschlager wie die Mozartkugeln, und, in Hannover ansässig, bediente sie sich des großen Denkers, der eng mit der Stadt verbunden war.

Leibniz kann nicht stillhalten

All dies in einen Film zu packen, ist nahezu unmöglich. Was der Regiemeister Edgar Reitz (bekannt etwa durch die Filmreihe „Heimat“) mit seinem 104-minütigen Spielfilm „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ geschafft hat, kann sich aber sehen lassen. Vor allem, wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, akademische Philosophie auf die Leinwand zu bringen. Häufig schon griff sich ein Regisseur gerne einen einzigen bekannten Satz oder eine besondere Schrulle eines Genies heraus und formte seine vermeintliche Filmbiografie darum; einfach, weil sich ihm der Rest des Werkes nicht erschlossen hatte.

Trailer zu „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“

Bei Reitz wünscht sich die preußische Königin Sophie Charlotte ein Bildnis von ihrem verehrten Philosophen Leibniz. Sie hatte viele glückliche Jahre in Hannover verbracht, und Leibniz war ihr Lehrer, mehr noch: ihr Seelsorger.

Erst versucht sich der französische Maler Pierre-Albert Delalandre (gespielt von Lars Eidinger) an der Aufgabe. Doch Leibniz kann weder mit dem Körper still halten, noch mit dem Geist. Permanent philosophiert er auf den Maler ein, über Identität und Abbild sowie Fragen, die erst Jahrhunderte später für den Existentialismus zentral werden. Der Maler gibt auf. „Ihr seid kein Freund der Kunst!“, ist er erbost. Und Leibniz: „Aber der beste Freund der Wahrheit!“

Daraufhin nimmt sich die niederländische Malerin Aaltje van de Meer der Aufgabe an. Sie lässt sich wirklich auf Leibniz und seine Theologie ein, es entspinnen sich über mehrere Sitzungen hinweg Gespräche, die dem Zuschauer Leibniz und sein Denken näherbringen.

Antonia Bill in „Leibniz“ Foto: if... Productions, ERF - Edgar Reitz Filmproduktion
Königin Sophie Charlotte von Preußen (Antonia Bill) wünscht sich ein Gemälde ihres Lehrers Leibniz

Leibniz erklärt der neugierigen Malerin: „Gott kann gar nicht Schlechteres geschaffen haben, denn seine Vollkommenheit schließt sowohl Versagen aus, als auch den Irrtum, als auch den bösen Willen.“ Selbst das Übel in der Welt gehöre dazu, denn sonst müssten Menschen nicht zwischen Gut und Böse wählen. „Dass wir uns aber entscheiden können, das macht unsere Freiheit aus!“ Dann fragt er: „Warum ist eigentlich etwas, und nicht vielmehr nichts?“, und er fährt fort: „Es muss einen Grund für alles und jedes gegeben haben, für das es vorher einen ursächlichen Grund gegeben hat, außer sich selbst. Der zureichende Grund.“ Das sei Gott. „Der größte Künstler.“

Leibniz, Kunst, Philosophie und Theologe in nur einem Film

Der Film schafft es, sowohl Leibniz’ Theologie als auch einige seiner unzähligen Erfindungen zu würdigen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Dazu gehören ein U-Boot, ein Segelschlitten, eine Brandschutzversicherung, eine Luftmatratze, ein Campingstuhl. Sogar die Rechenmaschine, die Leibniz erfand, kommt hier zur Geltung. Er arbeite aber längst an einer „viel besseren Maschine“, sagt der Denker: „Die funktioniert ausschließlich im Kopf und arbeitet nur mit der Null und der Eins.“ Was Leibniz als „Dyadik“ bezeichnete, war im Grunde der Grundstein des heutigen Computerzeitalters.

Auch den Streit zwischen dem Materialismus (demzufolge alles, auch der Mensch, nur aus Atomen besteht und ohne Grund entstand und ohne Sinn wieder verschwindet), und dem Dualismus (demzufolge der Mensch aus Geist und Materie besteht) spricht der Film gekonnt an. „Was passiert mit der Seele nach dem Tod?“, will etwa die todkranke Charlotte von ihrem Lehrer wissen.

„Die Seele kann Gott allein zerstören“, sagt der, durch und durch Dualist. „Der erschuf die Seele. Sie bewahrt für immer Spuren von allem, was ihr je widerfuhr. Die Seele ist ein Spiegel des Universums. Sie ist ein besonderer Ausdruck des göttlichen Allwissens und folglich ist sie unsterblich. Der ganze Kosmos ist der Körper Gottes.“

Foto: if... Productions, ERF Filmproduktion
Die niederländische Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz) lässt sich auf Leibniz und seine Theologie ein

Dieses anderthalb Stunden lange Kammerspiel fasziniert durch eine unterhaltsame Verbindung von Kunst, Philosophie, Theologie und langweilt dabei mit keiner Minute. Außerdem brillieren die Schauspieler; Edgar Selge ist als Gottfried Wilhelm Leibniz ein sehr entspannter, zwar nachdenklicher, aber gar nicht verbissener Gelehrter.

Die Zeitung „Die Welt“ berichtete anlässlich der Filmankündigung, dass die Stadt Hannover bereits 2008 an Reitz herangetreten sei, weil sie im wiederaufgebauten Stadtschloss einige Räume dem Philosophen widmen wollte. Reitz hatte Szenen für zehn verschiedene Kurzfilme geschrieben, jede für einen anderen Aspekt des Universalgelehrten. Nach zwei Jahren artete das Projekt aus und war irgendwann nicht mehr finanzierbar.

Leibniz ist vielleicht einfach zu groß. Nun gibt es dafür dieses fantastische, längst überfällige filmische Denkmal für einen deutschen Philosophen, der auf so vielen Gebieten so viel leistete, eben auch für die Theologie.

„Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“, Regie: Edgar Reitz, 102 Minuten, FSK: ab 6 Jahren, Kinostart: 18. September 2025

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