Luther hat bei seiner Bibelübersetzung bekanntermaßen „dem Volk aufs Maul geschaut“. Er bemühte sich, die hebräischen, griechischen und lateinischen Vorlagen so zu übersetzen, dass der durchschnittliche Deutsche den Inhalt der Bibel verstand. Noch heute sind in der deutschen Sprache Redewendungen und Wörter nur deswegen noch in Gebrauch, weil sie in der Lutherbibel stehen. So hat sich der Effekt mittlerweile fast schon umgekehrt: Nicht nur Luther schrieb, wie die Deutschen sprachen, sondern die Deutschen sprechen heute so, wie Luther schrieb.
Unsere Sprache ist tief geprägt von der christlichen Religion. Unsere Gesellschaft mag immer weniger christlich werden, aber unsere Sprache ist noch immer voll von religiösem und kirchlichem Wortschatz. „O mein Gott“ oder „Ach herrjemine“ entfährt es auch einem ungläubigen Menschen, so wie ein „Gott sei Dank!“ Viele haben aus dem amerikanischen Englisch das erstaunte „Jesus!“ („Dschiesses“!) übernommen. Christliche Kraftausdrücke sind so alt wie das Deutsche. Vor allem in Dialekten gibt es daher viel linguistische Erbmasse. Ein „Herrgottsackra!“ oder „Herrgottssakaramentkreizkruzifixnoamol“ hört man in Bayern ebenso wie das „Jessesmaria!“ bei besonders großen Emotionen. Aber auch ein freundliches „Pfiati Gott“ oder kurz „Pfiati“ kommt von: „Behüt dich Gott“. In der Schweiz sagt man „Grüezi“ und meinte damit ursprünglich „Gott grüße dich“.
Aber nicht nur wenn wir staunen, schimpfen oder erschrecken, greifen wir auf religiöse Ausdrücke zurück. „Da ist der Teufel los“ sagen manche, wenn Tumult herrscht, das „Toi toi toi“ (Viel Glück) kommt vom Versuch, angebliche Dämonen abzuwehren – dann spuckte man dreimal aus. Manche vermuten auch, dass es auf die dreimalige, verkürzte Nennung des Teufels zurückgeht. Menschen sprechen von einer „höllischen Hitze“ und einer „gottverlassenen Gegend“. Ab dem achten Jahrhundert übersetzen in den Klöstern Mönche die Bibel ins Deutsche und verwendeten Lehnwörter direkt aus dem Griechischen oder Lateinischen: Kloster, Pfarrer oder Friedhof kommen daher, auch das Wort Bibel selbst. Das Wort „Ferien“ bezog sich ursprünglich nur auf kirchliche Feiertage. In Wörtern wie Opfer, Schöpfer oder Reue scheint die religiöse Herkunft zwar noch durch. Aber wir verwenden sie ganz selbstverständlich in profanen, nichtreligiösen Kontexten.
Ein Glücksfall für die deutsche Sprache
Luther liebte klangvolle Alliterationen wie „Schmach und Schande“, „Leib und Leben“, „fressendes Feuer“. Wir benutzen sie noch heute, selten in Gedenken an die Bibel. Wörter wie Nächstenliebe, Herzenslust, Ebenbild, Morgenland, Feuertaufe, Judaslohn, Machtwort, Lückenbüßer, Lockvogel, Lästermaul, Gewissensbisse machte Luther unsterblich ebenso wie „für immer und ewig“ und „Ein Herz und eine Seele“. Wo viele denken, es mit dem „Volksmund“ zu tun zu haben, sprechen sie eigentlich Bibelworte aus: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ ist ebenso biblisch wie „Hochmut kommt vor dem Fall“ und „Den Seinen gibtʼs der Herr im Schlaf“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nannte Luther einmal „den genialsten Sprachschöpfer aller Zeiten“: „Luther war ein Glücksfall für die deutsche Sprache, dieser altmodische Neuerer, fromme Rebell und aufmüpfige Gläubige.“
Zur Zeit Luthers herrschte in Deutschland ein buntes Nebeneinander von Dialekten. Wer nur einige Kilometer weit reiste, hatte oft schon Schwierigkeiten, sich mit seinen Mitmenschen zu unterhalten. „Die Leute können in 30 Meilen Weges einander nicht wol verstehen“, stellte der Sprachforscher und -sucher Luther selbst 1538 fest. Bei alledem spielt es eine wichtige Rolle, wo Luther selbst aufwuchs: Seine Eltern kamen aus Thüringen, Luther selbst wuchs in Sachsen auf, er ging nach Erfurt und Wittenberg. Eine nicht nur geographische, sondern auch sprachgeographische Mittellage zwischen Nord und Süd, wie der Bonner Germanist Werner Besch feststellte. „Luther in Kiel oder in Konstanz hätte sich sprachlich schwergetan, wäre wahrscheinlich gescheitert.“
Luther erfand keine neue Sprache, er bediente sich vielmehr einer im Behördenalltag verwendeten Sprachform, die ihm vertraut war: die sogenannte sächsische Kanzleisprache. Sie wurde in den Schreibstuben und Kanzleien der herrschenden Fürsten im Raum um Erfurt, Meißen, Leipzig verwendet, für Rechtssatzungen und kaiserliche Erlasse. Luther begriff schnell, dass diese Sprache eine Zukunft hatte. Die erste Auflage des Neuen Testaments in Luthers Übersetzung – 3.000 Exemplare – war sofort ausverkauft. Bis zu Luthers Tod gab es 400 Neuauflagen. Jeder dritte oder vierte des Lesens mächtige Deutsche hatte wohl eine Lutherbibel zu Hause, hat man berechnet. „Mit ihr lernte man buchstabieren, lesen und schreiben, die Lutherbibel ist das Buch der deutschen Nation geworden und geblieben“, sagt Germanist Besch.
Dass Luther die heute verwendete Sprache maßgeblich mitgeprägt hat, sei aber mittlerweile „im linguistischen Mainstream“ angekommen, sagt Alexander Lasch, Professor für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte am Institut für Germanistik der Technischen Universität Dresden. Sehr viel Innovatives sei da wissenschaftlich nicht mehr zu entdecken. Doch dass die Schnittmenge aus Sprache und Religion interessante Forschungsschwerpunkte birgt, zeigt der Arbeitskreis „Sprache und Religion“, dem neben Lasch verschiedene Sprachforscher deutscher Universitäten angehören. Vor kurzem hat Lasch gemeinsam mit Wolf-Andreas Liebert von der Universität Koblenz das Lehrbuch „Religion und Sprache“ (Nomos Verlag) veröffentlicht. Gegenüber PRO sagt Lasch: „Das religiöse Wissen beansprucht einen Geltungsbereich jenseits der materiellen Welt und der sinnlichen Wahrnehmung, auf die sie sich dennoch mit ihren Ansprüchen bezieht und die sie einordnet.“
Wenn ein falsches Wort die Taufe gefährdet
Gibt es überhaupt so etwas wie eine speziell religiöse Kommunikation? Sprachforscher Lasch befasste sich intensiv mit den Beerdigungspredigten in der Herrnhuter Brüdergemeine. „Am Grab ist die geglaubte Auferstehung Christi zentraler Gegenstand christlicher Hoffnung“, erklärt er. Jesus Christus bezeuge, dass der Tod nicht das Ende des Lebens in christlicher Vorstellungs- und Glaubenswelt ist. Hier wachse die Person Jesu über einen bloß charismatischen Propheten hinaus; somit bezeuge eine Leichenpredigt bei den Herrnhutern immer auch eine Hoffnung auf das ewige Leben. Lasch erklärt: „In Leichenpredigten der Herrnhuter war es üblich, zu sagen: ‚Er ist durch die Zeit gegangen.‘ Das impliziert, dass er vor der Zeit und nach der Zeit schon da war. Mehr oder weniger hatte er dann als Mitglied der Brüdergemeine per se das Anrecht auf das ewige Leben.“ In protestantischen Leichenpredigten sagte man indessen: „Er ging aus der Zeit.“ Lasch: „Nur ein kleiner Unterschied, aber es ist einer.“
Einen Religionslinguisten wie Lasch interessieren auch sogenannte „performative Sprechakte“, wenn mit dem Aussprechen eines Wortes eine Handlung vollzogen wird. Ein Beispiel ist die Wandlung in der römisch-katholischen Messe. (Die tradierte Meinung, das Wort „Hokuspokus“ sei abgeleitet vom Lateinischen „Hoc est enim corpus meum“ – Dies ist mein Leib – nennt Lasch übrigens einen Mythos.) Gegenüber PRO verdeutlicht Lasch, welch weitreichende Bedeutung religiöse Sprache in diesem Zusammenhang hat: „In Nordamerika hat ein Priester namens Andres Arango vor einigen Jahren über lange Zeit Menschen getauft mit den Worten ‚Wir taufen dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.‘ Er hat es gut gemeint, aber falsch ausgesprochen. Es muss nämlich Singular sein: ‚Ich taufe dich…‘ Nicht die Katholische Kirche tauft hier, sondern der Priester als Stellvertreter Christi.“ Damit seien mehrere Tausend Taufen „ungültig“, und damit auch alle daran anschließenden Sakramente wie Eheschließungen. Arango trat 2022 von seinem Amt zurück. Wegen eines einzigen Wortes.
Wer beansprucht das „gelobte Land“?
Sprichworte, oder wie Linguisten sagen: „Verfestigte Mehrworteinheiten“ sind ebenfalls immer wieder Gegenstand linguistischer Forschung, besonders wenn sie als Zitate im politischen Kontext auftauchen. Da wird sehr gerne die Bibel bemüht, sagt Lasch. Als Beispiel nennt der Linguist die Landverheißungen aus dem Alten Testament. „Wer behauptet eigentlich, von wem welches ‚gelobte Land‘ in Anspruch nehmen zu dürfen?“, so Lasch. „Da wird es im Bereich von Ermächtigungshandlungen im Sinne von Landeroberung, die man mit Landeroberungen des Alten Testamentes rechtfertigt, teilweise kritisch; das hatten wir zuletzt in der Ukraine. Das passierte aber auch bei der Besiedelung Nordamerikas vor 400 Jahren. Wir sehen es jetzt wieder in den USA mit der Maga-Bewegung und den Evangelikalen hinter Trump.“
Doch warum werden christlich-religiöse Begriffe gerade beim Fluchen so häufig ausgesprochen? „Das lässt sich über Tabubrüche erklären“, so der Linguist. „In tabubesetzten Kommunikationen, in denen es härter zugehen kann, kommt es zur Verwendung von Wortschatz, den man sonst vermeidet.“ Dazu gehörten Fäkalsprache, Verwünschungen und eben auch Verfluchungen. Dass dahinter in einem religiösen Verständnis eine geistliche Wirklichkeit steht, dürfte den wenigsten bewusst sein, die sich einer solchen Sprache bedienen.
Dieser Text erschien zuerst im Christlichen Medienmagazin PRO, Ausgabe 4/2025. Sie können das Heft hier abonnieren oder online lesen.
* „Grüß Gott“ ist vor allem in Bayern und Österreich ein verbreiteter Gruß. Als Aufforderung, Grüße an Gott zu schicken, ist er nicht zu verstehen. Im Gegenteil: Es ist die Kurzform von „grüß dich Gott“, was zugleich ein Segenswusch ist: Gott sei dir gnädig, er segne dich. Schon im Mittelhochdeutschen ist der Gruß in diesem Sinne belegt.