Schweden versetzten Kirche und übertragen das Spektakel ins Internet

„Die Kirche im Dorf lassen” war für die Bewohner der nordschwedischen Stadt Kiruna keine Option: Wegen Bergbauaktivitäten wird die Kirche am 18. und 19. August an einen anderen Ort versetzt. Die Verantwortlichen machen daraus ein großes Event.
Von Jörn Schumacher

Einst wurde das schöne, tiefrote Bauwerk zum schönsten alten Gebäude Schwedens gewählt. Die 1912 eingeweihte Kiruna-Kirche aus Holz besitzt einen immensen kulturhistorischen Wert. Wegen Bergbauaktivitäten in hunderten Meter Tiefe wird die Region jedoch instabil, sagen Experten. Seit 20 Jahren laufen die Planungen für einen Umzug des Ortskerns. Nun ist die alte Kirche, die „Seele der Stadt“, dran. Die Verantwortlichen veranstalten rund um den Kirchen-Umzug ein großes Spektakel.

Schwedens nördlichste Stadt Kiruna liegt etwa 200 Kilometer nördlich des Polarkreises. Der 18.000 Einwohner zählende Ort ist geprägt vom Bergbau. Das Eisenerzbergwerk ist nicht nur das größte und tiefste der Welt, sondern auch der wichtigste Arbeitgeber der Region. Das schwedische Bergbauunternehmen „Luossavaara-Kiirunavaara Aktiebolag” (LKAB) muss jedoch Gebäude versetzen, um deren Einsturz nicht zu gefährden. Das 1890 gegründete Unternehmen ist seit den 1950er Jahren zu 100 Prozent in Staatsbesitz. Die LKAB finanziert den Umzug, 23 Kulturgebäude von Kiruna wurden bereits verlegt. Die Kirche von Kiruna ist das größte und bedeutsamste des Umzugs. Das Gotteshaus wurde schon bei seiner Errichtung vor 100 Jahren vom Grubenbetreiber finanziert.

Spezial-LKW mit 1 km/h

Die 600 Tonnen schwere Kirche ist 40 Meter breit und wird auf einem LKW-Anhänger in einem Stück um fünf Kilometer versetzt. Der Glockenturm, der nebenan steht, wiegt weitere 100 Tonnen. Der neue Standort liegt zwischen einem Friedhof und dem neuen Stadtzentrum mit einem modernen Rathaus. Bei dem historischen Ereignis, das am frühen Morgen des 19. August beginnt, wird ein Schwerlasttransporter mit einem Tempo von höchstens 0,5 bis einem km/h unterwegs sein und die Kirche etwa fünf Kilometer weit bringen. Eingeplant sind für den Umzug zwei Tage.

„Die Kirche ist einzigartig und bedeutet vielen Menschen sehr viel“, sagte Stefan Holmblad Johansson, der als Projektleiter den Umzug des Gebäudes seit 2017 minutiös geplant hat, laut LKAB. „An diesem Ort haben die Menschen seit Generationen wichtige Wegmarken in ihrem Leben begangen: Hochzeiten, Taufen, Konfirmationen, aber auch Trauerfeiern.” Die Pastorin der Kirchengemeinde, Lena Tjärnberg, spricht von einem „Nachhausekommen“, die Kirche finde wieder ihren Platz mitten im Alltag der Menschen. „Das ist ein großartiges und schönes Gefühl.“

Die rote Holzkirche mit dem Glockenturm (Schwedisch: Kiruna kyrka) ist in ganz Schweden bekannt. Im Jahr 2001 wurde sie in einer nationalen Abstimmung zum „Besten Gebäude aller Zeiten, erbaut vor 1950“ gewählt. Auch deswegen machen die Verantwortlichen aus dem Umzug ein großes Happening mit viel Medienaufmerksamkeit.

Eurovision-Bands und Live-Internetstream

Das wichtige Datum wird „Tag F“ genannt, was für „flytten“ steht, das schwedische Wort für Umzug. Bereits am Wochenende vor der eigentlichen Kirchversetzung gibt es Veranstaltungen.

Sportliche Besucher können die Wegstrecke bei einem Volkslauf selbst ablaufen. Unmittelbar vor Beginn des Transports, am frühen Morgen des 19. August, wird die zuständige Bischöfin aus Luleå sowohl die Kirche als auch die Straßen segnen. Eine Ausstellung mit Kunstwerken und einem gemeinsamen Fotobuch im Rathaus erinnert ab Montag, den 18. August, an die Kirche.

Bekannte Bands aus Schweden sorgen an den zwei Tagen für Partystimmung, ebenso ein Gospelchor. Der Schwerlastkonvoi wird live auf einer Großbildleinwand übertragen. Die schwedische Eurovision-Band KAJ wird am 19. August auftreten. Höhepunkt ist der Auftritt von Carola Häggkvist am Abend des 20. August, sobald die Kirche ihren neuen Bestimmungsort erreicht hat. Die Popsängerin hatte 1991 für Schweden den Eurovision Song Contest gewonnen.

Damit auch Menschen von außerhalb den Kirchen-Umzug live verfolgen können, haben die Verantwortlichen einen Internet-Stream ins Leben gerufen (hier geht’s zum Livestream). Der läuft unter dem Namen „Den stora kyrkvandringen“ (Die große Kirchenwanderung), der auf das in Schweden beliebte Slow-TV-Format „Den stora älgvandringen“ (Die große Elchwanderung) anspielt. Auf der Website des Events zählt bereits jetzt ein Countdown die Stunden bis zum großen Event.

„Das säkularste Land der Welt“

Am neuen Standort wird es für die 100 Jahre alte Kirche allerdings eine kleine Veränderung geben: Bisher war sie, wie es seit Jahrhunderten üblich ist, nach Osten hin ausgerichtet. Der Altar befand sich im Osten, nach Jerusalem hin orientiert. Am neuen Standort wird das Kirchengebäude aber um 180 gedreht sein, der Altar wird dann in Richtung Westen zeigen. Somit werden sich auch die Lichtverhältnisse ändern: Wenn die Sonne morgens im Osten aufgeht, wird sie ab sofort nicht mehr durch das Kirchenfenster direkt in den Chorraum scheinen.

Am bisherigen Standort sorgt das Bergbauunternehmen LKAB dafür, dass auch hier der alten Kirche gedacht wird. Wer sich hier beispielsweise an seine Hochzeit erinnern möchte, soll hier weiterhin einen Ort der Ruhe und Besinnung vorfinden, es soll ein öffentlicher Park entstehen.

Schweden gilt als „das säkularste Land der Welt“. Der Theologe Per Ewert hat vor drei Jahren in einem Buch mit dem Titel „Landet som glömde Gud“ („Das Land, das Gott vergaß: Wie Schweden im 20. Jahrhundert zum säkularsten individualistischen Land der Welt wurde“) diesen Prozess beschrieben. Ewert ist Direktor des „Clapham Institutes“, einem schwedischen christlichen Think Tank, Autor mehrerer Bücher über die Bibel, Apologetik, Beziehungen und die Rolle des Glaubens in der Gesellschaft. Ewert fragt in seinem Buch: „Wie konnte sich ein traditionelles Schweden, geprägt von kleinen Gemeinden und einer christlichen Kultur, in ein Land verwandeln, in dem individuelle Unabhängigkeit zum selbstverständlichen Grundprinzip unserer Zeit geworden ist?“

Im Jahr 2024 gaben 51,4 Prozent der Schweden an, der evangelisch-lutherischen Schwedischen Kirche anzugehören, die seit 1999 offiziell keine Staatskirche mehr ist. Seit 2000 ist die Mitgliederzahl deutlich rückläufig. In Kiruna liegt die Quote der Kirchenmitglieder noch bei rund 62 Prozent.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen