Kommentar

Verhinderte eine „rechte Hetzkampagne“ die Richterwahl?

Auch ohne die Lügen der vergangenen Tage ist klar: Die Position zur Menschenwürde von Frau Brosius-Gersdorf passt nicht zur Union. Kampagnenvorwürfe hin oder her: Das hätte die Unionsfraktionsführung erkennen müssen.
Von Nicolai Franz

Was für eine turbulente Woche – und das wegen einer einzigen Personalie. Frau Brosius-Gersdorf wurde vorerst als Verfassungsrichterin verhindert. Linke Politiker und einige Medien – etwa Kommentatoren des „Spiegel“ – wittern als Grund für das Scheitern eine Kampagne rechter Hetzer und „christlicher Fundamentalisten“. Mit Verlaub: Das ist Quatsch.

Doch Moment – denn in der Tat gab es um Brosius-Gersdorf Kampagnen. So, wie es sie bei allen polarisierenden Themen gibt. Es wurden Petitionen zusammengestellt, Massenmails verschickt, Social-Media-Einträge gepostet. Das ist Lobby-Arbeit, die es sowohl von Rechten als auch von Linken, von Umweltschützern über konservative Christen bis hin zu Liberalen gibt. Die bloße Existenz einer „Kampagne“ sagt noch nichts über deren Legitimität aus. Eine Kampagne kann Fakten präsentieren, aber auch Fake News verbreiten.

Im Fall von Brosius-Gersdorf wurde der Streit besonders heftig geführt – und auch unter schamloser Zuhilfenahme von Übertreibungen bis hin zu blanken Lügen. Die Unterstellung etwa, dass die Wissenschaftlerin für die straflose Abtreibung von Kindern bis zum neunten Monat sei, ist falsch. Das hat Brosius-Gersdorf nicht erst bei „Markus Lanz“ deutlich gemacht, sondern auch schon vorher in ihren Schriften. Dass eine Wissenschaftlerin verleumdet und sogar mit dem Tode bedroht wurde, ist furchtbar und zu verurteilen. Für Christen, egal ob liberal, evangelikal oder was auch immer muss das klar sein. Mir tut Frau Brosius-Gersdorf daher auch wirklich leid. Wie der katholische Bischof Bätzing in einem Interview sagte, sie habe es „nicht verdient, so beschädigt zu werden.“

Wann hat ein Mensch Menschenwürde?

Doch zurück zum Kampagnenvorwurf. Es ist offensichtlich, dass die angeblichen Plagiate für CDU-Fraktionschef Jens Spahn der rettende Strohhalm waren, nachdem er erst Frau Brosius-Gersdorf und dann seine eigene Fraktion falsch eingeschätzt hatte. Er trägt in allererster Linie dafür die Verantwortung, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist. Nicht die Abgeordneten mit Gewissensbissen, schon gar nicht die Kirchen, auch nicht Frau Brosius-Gersdorf. Spahn hätte von vornherein erkennen müssen, dass sie in der CDU/CSU-Fraktion nicht vermittelbar ist. So wie übrigens auch ihr Doktorvater Horst Dreier, der wegen desselben Vorwurfs vor Jahren von der Union als Verfassungsrichterkandidat abgelehnt worden war.

Und damit kommen wir zum Kern des Vorwurfes. Es geht gar nicht darum, dass Frau Brosius-Gersdorf sich mit der von der Ampel eingesetzten Kommission für eine Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen eingesetzt hat. Sondern um ihre fundamentale Neudeutung des Begriffs der Menschenwürde.

1993 hatte Karlsruhe noch geurteilt: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu.“ Frauke Brosius-Gersdorf schrieb hingegen in einer Festschrift für Horst Dreier, es gebe gute Gründe dafür, dass die „Menschenwürdegarantie“ erst ab Geburt gelte, und weiter: „Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.“

Wohlgemerkt gesteht sie dem Embryo Lebensrecht zu, will es aber je nach Phase zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren herabstufen.

Diese Argumentation rührt am Kern des „C“ in CDU und CSU. Demnach gilt die Ebenbildlichkeit und damit die Würde des Menschen immer – schon ab der Zeugung. Dieser Wert steht am Anfang aller Überlegungen, daraus muss sich alles ableiten. Frau Brosius-Gersdorf scheint andersherum zu argumentieren: Schwangerschaftsabbrüche müssten in bestimmten Fällen möglich sein, dafür brauchen wir aber eine Begründung. Eine solche Denkweise ist leider nicht die Ausnahme in unserer Gesellschaft, sondern eher die Regel. Trotzdem verstehe ich jeden Unions-Abgeordneten, der es trotz Koalitionsdisziplin nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könnte, einen Richter oder eine Richterin zu wählen, der oder die eine solche Position vertritt.

Diese Überlegungen als Ergebnis einer rechten Hetzkampagne darzustellen, ist infam und nimmt die Bedenken in dieser sensiblen Thematik nicht ernst. Die Art, wie die Debatte in den vergangenen Tagen von verschiedenen Seiten geführt wurde, macht zudem deutlich: Paragraf 218 im Strafgesetzbuch muss bleiben, auch wenn dieser Kompromiss nur mit beiderseitigem Zähneknirschen akzeptiert wurde. Ansonsten drohen uns für die nächsten Jahre kulturelle Grabenkämpfe mit wechselnden Mehrheiten, wie wir sie aus den USA kennen. Sogar im Bundesverfassungsgericht. Und das kann niemand wollen.

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