Was Glaube aus psychologischer Sicht bedeutet

Menschen suchen nach Sinn, Geborgenheit und Verbindung mit etwas Höherem. Der Religionspsychologe Sebastian Murken erklärt, wie Religion diese menschlichen Urbedürfnisse stillt.
Von Norbert Schäfer

Der Religionspsychologe Sebastian Murken erklärt im Interview mit „Psychologie heute compact“ psychologisch relevante Bestandteile von Glauben. Dazu greift Murken in dem Interview zurück auf zwei englische Wörter für Glaube. „Belief“ ist demnach das kognitive Fürwahrhalten bestimmter religiöser Inhalte. Etwa, daran zu glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden sei. „Faith“ beschreibt dem gegenüber das emotionale Erleben von Vertrauen, Geborgenheit und Gehaltensein.

Beide Komponenten erfüllen nach Murkens Angaben zentrale Funktionen. „Belief ist ein zentrales menschliches Bedürfnis, uns und unsere Welt zu verstehen“, erklärt er. Gerade dort, wo Menschen mit Leid, Unsicherheit oder dem Tod konfrontiert seien. Religion biete psychologische Plausibilität in einer chaotischen Welt.

„Faith“ wiederum spreche unser tiefes Bedürfnis nach Verbindung mit etwas Höherem an: „Die zentrale Antwort der Religionen auf ein menschliches Urbedürfnis ist, sich in Verbindung zu bringen zu dem, was jenseits der eigenen Wahrnehmungsgrenze liegt.“

Sehnsucht nach Verbundenheit

Auch wenn viele Menschen sich von Kirchen oder traditionellen Gottesbildern abwenden, verschwinden diese Bedürfnisse nicht. Das Bedürfnis, sich mit etwas wohlwollend Transzendentem zu verbinden, bleibe bestehen.

Dieses zeigt sich in moderner Spiritualität – etwa wenn Menschen Wünsche an das Universum senden oder beim Engelglauben. Dabei geht es nicht mehr um Gehorsam oder religiöse Regeln, sondern um Selbstverwirklichung und psychische Entlastung. „Engel fordern nicht, sondern müssen um ihr Wirken gebeten werden.“ Bedürfniserfüllung und Selbstverwirklichung fänden im Engelglauben zusammen.

Murken betont, dass moderne Menschen zwar auf Autonomie und Selbstbestimmung pochen, psychologisch aber auch ein starkes Bedürfnis nach „wohlwollender Abhängigkeit“ hätten. „Wir wollen autonom sein, sehnen uns aber zugleich danach, dass da draußen jemand oder etwas ist, der oder das uns sieht, uns führt und wohlwollend-fürsorglich begleitet“, sagt Murken.

Wenn der Glaube an einen personalen Gott schwinde, suchten Menschen Ersatz in individuell gestalteten spirituellen Konzepten – von Engeln bis zum „Universum“ – um das gleiche Grundbedürfnis zu erfüllen: sich verbunden, getragen und nicht allein zu fühlen.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen