Westfälische Kirche räumt Versagen ein

Ein Verdachtsfall sexualisierter Gewalt im Kirchenkreis Siegen hatte zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus geführt. Eine aktuelle Studie listet Fehler im Umgang mit dem Fall auf. Die Westfälische Kirche räumt ihr Versagen ein.
Von Johannes Blöcher-Weil
Die Theologin Annette Kurschus

Vertreter der Unternehmensberatung Deloitte haben am Dienstag die Ergebnisse der Untersuchung zu einem Verdachtsfall sexualisierter Gewalt im Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein vorgestellt. Der Fall ist deswegen so prominent, weil er zum Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus geführt hat.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass auf mehreren Ebenen Fehler gemacht wurden. Die Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen hatte diese im Januar beschlossen, um den Fall lückenlos aufzuklären. Kurschus, die bis zu ihrem Rücktritt auch Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen war, hatte die Beschlussfassung begrüßt.

Ein Kirchenmusiker des Kirchenkreises wurde beschuldigt, damals junge Orgelschüler sexuell bedrängt zu haben. Sieben Betroffene hatten Vorwürfe erhoben. Der Beschuldigte hatte sexuellen Kontakt zu zwei Betroffenen eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft Siegen stellte die strafrechtlichen Ermittlungen Ende April 2024 ein. Die mutmaßlichen Missbrauchsfälle waren entweder verjährt oder die Betroffenen damals nicht mehr minderjährig gewesen.

Nicht verlässlich und klar genug

Die aktuelle Studie wirft der Landeskirche vor, zu spät reagiert und damals zu unklare Strukturen gehabt zu haben. Dies räumte auch der theologische Vizepräsident, Ulf Schlüter, öffentlich ein. Das Verfahren sei nicht „verlässlich und klar genug“ gewesen und die Kommunikationsprozesse nicht „transparent und gut genug“.

Aus Schlüters Sicht dokumentiere die Studie die jahrelangen Grenzverletzungen und das Versagen der Kirche. Die Landeskirche möchte nun mögliche Pflichtverstöße Beteiligter prüfen und ihre Verfahren zur Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt verbessern: „Das Leid der Betroffenen ist nicht wiedergutzumachen“. Diese könnten aber Anerkennungsleistungen beantragen und gegebenenfalls ergänzende Hilfeleistungen in Anspruch nehmen.

Für die Aufarbeitung von Verdachtsfällen müssten klare, schnelle und effiziente Strukturen geschaffen werden, die den Betroffenen die Möglichkeit geben, zwischen einer seelsorgerischen Betreuung in ihrem Kirchenkreis oder aber durch die mit der Aufklärung befasste Stelle selbst zu wählen.

„Sehr passive Kommunikationsstrategie“

Deloitte kommt zu dem Ergebnis, dass sich Kurschus damals nicht falsch verhalten habe. Die Theologin hatte immer wieder beteuert, dass sie in ihrer Siegener Zeit lediglich Hinweise auf die Homosexualität des Beschuldigten gehabt habe, nicht aber auf sexuellen Missbrauch. Sie war eine enge Freundin der Ehefrau des Beschuldigten, befand sich aber in keinem Dienstverhältnis.

Kritisiert wird Kurschus für ihr Kommunikationsverhalten und das Landeskirchenamt für ihre „sehr passive Kommunikationsstrategie“. Kurschus wurde den Angaben zufolge erst im Oktober 2022 über die bestehenden Vorwürfe informiert. Dies habe zu einem Konflikt auf oberster Führungsebene der Landeskirche und zu einem gegenseitigen Vertrauensverlust geführt. Mangel an Transparenz, medialer Druck und fehlender Rückhalt der Gremien hätten zum Rücktritt geführt.

Um den Fall aufzuklären, hatte Deloitte 52 Gespräche geführt sowie 250 Dokumente und etwa 1.000 Seiten Aktenmaterial ausgewertet. Im Kern ging es darum herauszufinden, was zwischen den Betroffenen und dem Beschuldigten in der Vergangenheit vorgefallen ist, welche Maßnahmen die Landeskirche im Rahmen der Aufarbeitung der Vorwürfe getroffen hat und welche Verbesserungspotenziale sich aus heutiger Sicht ergeben.

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