10 Jahre Ethikrat: Nach bestem Wissen und Gewissen

Für die einen gilt er als das "Gewissen der Nation", der Bayerische Rundfunk (BR) resümierte, dass er sich von Anfang an gegen den Verdacht zur Wehr setzen musste, "ethisches Feigenblatt für eine forschungsfreundliche Politik zu sein". Die Rede ist vom Ethikrat der Bundesregierung, der in diesen Tagen auf sein zehnjähriges Bestehen zurückblicken kann.
Von PRO

2001 wurde er von der rot-grünen Bundesregierung unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder zunächst als "Nationaler Ethikrat" eingesetzt. Der Ethikrat sollte ursprünglich die embryonale Stammzellforschung bewerten, von der sich viele neuartige Therapien versprachen. 2008 wurden die Arbeit der 26 Wissenschaftler im "Deutschen Ethikrat" auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und als Beratungsforum für die Bundesregierung zusammengerufen. Ihre Mitglieder werden von Parlament und Regierung vorgeschlagen. Naturwissenschaftler, Mediziner, Theologen, Philosophen und Ethiker haben sich in den vergangenen zehn Jahren mit schwierigen gesellschaftspolitischen Fragen auseinander gesetzt.



Unterschiedliche ethische Ansätze und ein vielfältiges Meinungsspektrum



Das Ethikrat-Gesetz verlangt eine pluralistische Besetzung des Gremiums, die das Meinungsspektrum der Gesellschaft möglichst abbilden soll. Die Unabhängigkeit soll durch das Verbot der Mitgliedschaft in Parlament und Regierung sichergestellt werden. Bundesforschungsministerin Schavan nennt den Deutschen Ethikrat ein "unverzichtbares Instrument in einer verantwortungsbewussten Gesellschaft". Aus Sicht von BR-Redakteurin Eva Schindele schärft seine Arbeit "die Urteilskraft für die bioethischen Debatten unserer Zeit".



In der Öffentlichkeit wird die Arbeit und Relevanz des Gremiums dagegen kritisch und umstritten gesehen. In den letzten Jahren standen Stellungnahmen zur Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik, Organspenden oder Babyklappen auf der Agenda. Anfang 2011 stand der Rat vor ähnlichen Aufgaben wie in seiner Anfangszeit: Erneut befasst er sich mit dem Umgang mit den im Labor erzeugten Embryonen im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik (PID). Im März veröffentlichte der Ethikrat eine Stellungnahme zur PID, der auch die persönlichen, sozialen und rechtlichen Folgen des Verfahrens beleuchtete. Das Bild innerhalb des Ethikrates zu dieser komplexen Thematik war gespalten. Zehn Mitglieder stimmten gegen eine PID-Zulassung, 15 Mitglieder des Ethikrates votierten dafür.



"Moralische Probleme, über die wir uns nicht einigen können"



Den Soziologen Wolfgang van den Daele, der selbst sechs Jahre Mitglied des Ethikrates war, verwundert das Ergebnis nicht: "Es gibt eben moralische Probleme in der Gesellschaft, über die wir uns nicht einigen können", sagt der Soziologe in dem BR-Beitrag. Die Crux liege darin begründet, dass man über Moral nicht verhandeln könne, da sie durch tiefe persönliche Überzeugungen und Erfahrungen beeinflusst sei. In der praktischen Arbeit würden alle Argumente ernst genommen und an den Positionen des Gegenübers überprüft.



"Unsere Aufgabe ist Grenzen aufzuzeigen, Probleme zu unterstreichen und damit den Entscheidungsprozess sachlicher und verständlicher zu machen", bilanziert der Frankfurter Jurist und Ratsmitglied. Spiros Simitis. Für den Berliner Philosophie-Professor Volker Gerhardt, der zu den Mitbegründern des Rates gehört, kommt den "Ethik-Kommissionen eine eminente Beratungsaufgabe" zu. Im Interview mit "Zeit online" erläutert Gerhardt, dass vor allem die Fragen nach dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens ihn am meisten beschäftigt haben: "Im Keim zu neuem menschlichen Leben lediglich einen ‚Zellhaufen‘ zu sehen, mit dem man nach Willkür verfahren kann, ist daher so dumm wie unmenschlich. Ob aber der Embryo bereits, wie der geborene Mensch, einen unbedingten Wert hat, ist eine andere Frage. Hier zu einer die verschiedenen legitimen Ansprüche berücksichtigenden Lösung zu finden, ist eine große Herausforderung."



"Wir suchen das Gespräch – auch mit der Bevölkerung"



Zur Entscheidungsfindung holen sich die Mitglieder Ratschläge von Experten und Betroffenen ein, um die Empfehlungen vorzubereiten. "Und wir suchen das Gespräch mit der Bevölkerung, um Ansichten und Stimmungen einschätzen zu können", ergänzt Gerhardt. So könne zwischen dem Beginn einer Beratung und einer Empfehlung oft mehrere Monate bis Jahre liegen: "Wir versuchen Empfehlungen zu geben, die sich möglichst alle zu Eigen machen können." Die wichtigste Aufgabe bestehe darin, Sachverhalte zu klären und Gründe zu geben.



Streng genommen könne es in der Ethik auch keine Kompromisse geben. Die Politik hingegen sei der Raum der Verhandlungen und der Kompromisse, in dem es, so Gerhardt, darum gehe, "Lösungen zu suchen, die Mehrheiten finden können". Dass die Arbeit nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet, zeigt die Internetseite des Ethikrates. Die Gutachten des Gremiums, die jeder im Internet herunterladen und einsehen kann, können durchaus zur Urteilsbildung bei Themen, wie Organspende, Rationierung im Gesundheitswesen, Klonen, Biobanken und der Selbstbestimmung am Lebensende beitragen. (pro)

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