„Pro Reli“: „Grau des Atheismus hat Farbtupfer bekommen“

Das Volksbegehren für die Wiedereinführung des Reglionsunterrichts als ordentliches Schulfach an Berliner Schulen ist gescheitert. Zu wenige Bürger der Hauptstadt stimmten am Sonntag für den Vorschlag der Initiative "Pro Reli". Freilich ist die Enttäuschung unter den Unterstützern des Volksbegehrens groß – doch die verpasste Mehrheit muss keine grundsätzliche Niederlage sein.
Von PRO

Am Ende hat es nicht gereicht, dem Berliner Atheismus in Gesellschaft und im Rot-Roten Senat eine Niederlage zuzufügen. Zu mächtig sind die Politiker um den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und seine Genossen aus der PDS, die mit ihm die Hauptstadt seit 2002 regieren. Sie haben 2006 den Religionsunterricht durch das Fach Ethik ersetzt – und in den vergangenen Monaten und Jahren alles daran gesetzt, dass die Initiative „Pro Reli“ diese Entscheidung nicht durch den am Sonntag abgehaltenen Volksentscheid überstimmt. Zuletzt war etwa die Festlegung des Datums für den Volksentscheid ein Beleg für die Ablehnung der Berliner Koalition gegen eine religiöse Bildung von Kindern und Jugendlichen in den Schulen.

Vertreter von „Pro Reli“ hatten Wowereit im Vorfeld aufgefordert, den Termin für den Volksentscheid auf den 7. Juni zu legen, den Tag der Europawahl. Die Initiatoren begründeten ihre Forderung mit einem Verweis auf die 2006 von allen Parteien beschlossene Verfassungsänderung zu Volksentscheiden. Darin hatten sich die Parteien geeinigt, diese möglichst gleichzeitig mit anderen Wahlen stattfinden zu lassen. Begründung: Dies sei kostenschonend, bürgerfreundlicher und verspreche eine höhere Wahlbeteiligung. Doch genau das wollte der Rot-Rote Senat verhindern – und setzte den Tag des Volksentscheids auf den 26. April. Verfassungsrechtlich wäre der spätere Abstimmungstermin möglich gewesen.

All diese taktischen Manöver haben ausgereicht, um den Volksentscheid von vornherein zum Scheitern zu verurteilen. Freilich, die Initiative „Pro Reli“ hat alles daran gesetzt, um die notwendige Mehrheit von 25 Prozent der Berliner Wahlberechtigten zu einem „Ja“ zum Religionsunterricht an Berliner Schulen zu bewegen. Die beiden Kirchen, Verbände und christliche Organisationen, aber auch Prominente wie der Fernsehmoderator Günther Jauch haben für die Initiative getrommelt. Ganz Berlin wurde plakatiert.

Zu wenig: Rund 345.000 Berliner für den Religionsunterricht

Doch alle Werbung, alle Aufrufe, alle Fürsprecher haben nichts geholfen. Am Sonntagabend versammelten sich viele von ihnen in der Katholischen Akademie in Berlin. Auf Flachbildschirmen im großen Saal wurden die Ergebnisse der Volksabstimmung über den Berliner Religionsunterricht angezeigt. Geschätzte 400 Unterstützer von „Pro Reli“ waren zur „Wahlparty“ gekommen – und wurden eiskalt überrascht. Zwar hatten viele mit einer Niederlage gerechnet – doch dass am Ende 365.000 Berliner gegen das Volksbegehren und nur 345.000 dafür abstimmten, war nicht nur an dem Abend eine herbe Enttäuschung. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Mobilisierung für Pro Ethik genau so groß war wie für Pro Reli“, sagte der evangelische Generalsuperintendent Ralf Meister nach Bekanntgabe des Ergebnisses.

Und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, sieht das Ergebnis ebenfalls mit großer Enttäuschung. Durch die Stadt Berlin gehe schlichtweg ein „Riss“, sagt Huber, der als Ratsvorsitzender seit vielen Jahren für ein Wahlpflichtfach Religion eintritt. Und doch kann er der Initiative für den Religionsunterricht positive Aspekte abgewinnen. „Wenn jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass die Situation des Religionsunterrichts an den Berliner Schulen Thema einer solchen Debatte sein würde, hätte er nur ungläubiges Kopfschütteln hervorgerufen“, meint Huber. Enttäuscht vom „statistischen Ergebnis“ zeigte sich auch Georg Kardinal Sterzinsky, katholische Erzbischof von Berlin. Doch das Engagement der vielen hundert Ehrenamtlichen für den Volksentscheid und zuvor für das Volksbegehren zeige, dass der Religionsunterricht in Zukunft „auf einen anderen Resonanzboden als bisher“ fallen werde. Will sagen: Das Fach Religion könnte aus seinem Schattendasein an Schulen heraustreten. Zumindest in Berlin kann die Initiative „Pro Reli“ genau das als Erfolg verbuchen.

Viele in Ostberlin gegen Religionsunterricht

Für einen Erfolg von „Pro Reli“ hätten mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten für das Volksbegehren stimmen müssen. Zugleich hätte das die einfache Mehrheit aller Teilnehmer des Volksbegehrens sein müssen. Doch bezogen auf die rund 2,4 Millionen wahlberechtigten Berliner erreichte Pro Reli gerade einmal 14,2 Prozent an Ja-Stimmen. Und bezogen auf die Teilnehmer des Volksbegehrens waren 48,5 Prozent für „Pro Reli“, 51,3 Prozent stimmten mit „Nein“. Besonders deutlich zeigte sich jedoch die Spaltung der Hauptstadt, die schon Bischof Huber am Wahlabend angesprochen hatte. Vor allem in den Berliner Ost-Bezirken gab es eine deutliche Mehrheit gegen das Wahlpflichtmodell: In Lichtenberg etwa stimmten mehr als 78 Prozent aller Teilnehmer der Volksabstimmung mit „Nein“, in Marzahn-Hellersdorf waren es 77 Prozent, in Pankow fast 71  Prozent. Eine Mehrheit für „Pro Reli“ gab es nur im Westen, etwa in Spandau oder Reinickendorf. Und auch im multireligiösen Problembezirk Neukölln.

Am Wahlabend in der Katholischen Akademie wurde besonders der Rechtsanwalt und Initiator von „Pro Reli“, Christoph Lehmann, mit lang anhaltendem Applaus bedacht. Der engagierte Katholik und Vater von vier Kindern hat sich unermüdlich für sein Anliegen eingesetzt, an Berliner Schulen den Religionsunterricht zum ordentlichen Schulfach werden zu lassen. Und Lehmann nutzte auch die Niederlage am Sonntag, um dennoch Hoffnung zu verbreiten. Der Mensch sei „nicht die letzte Instanz“, ist Lehmann überzeugt. Die zahlreichen Helfer des Volksbegehrens hätten dieses Zeugnis durch ihre Präsenz an Infoständen und Werbeaktionen in der Stadt verbreitet. „Das Grau des Atheismus hat Farbtupfer bekommen“, meine Lehmann. Und betonte: „Wir haben gezeigt, dass wir in einer Stadt leben wollen, die die Gläubigen ernst nimmt.“

Und die Gegenseite? Die Anhänger von „Pro Ethik“, dem vom rot-roten Berliner Senat gegründeten Gegenbündnis zu „Pro Reli“, feierten am Sonntag ihren Erfolg. Nach dem versuchten Volksentscheid über die Schließung des Flughafens Tempelhof hat der Regierende Bürgermeister Wowereit zum zweiten Mal gegen die bürgerliche Minderheit gewonnen. Das Ergebnis der Volksabstimmung sei ein eindeutiges Votum, das den Ethikunterricht bestätige, meinte Wowereit, der dennoch seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Kirchen beim bestehenden Angebot des Religionsunterricht signalisierte. Weitaus schärfere Töne kamen allerdings aus der Linkspartei. Schon am Samstag hatte deren Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Gregor Gysi, in einem Zeitungsinterview angekündigt, im Fall eines Scheiterns von „Pro Reli“ über die Einführung von Ethik auch in anderen Bundesländern nachdenken zu wollen. Im atheistischen „Humanistischen Verband“ haben die „Linken“ bereitwillige Unterstützer.  

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