Necla Kelek: Türkei sollte Islam „entstaatlichen“

Nicht der Islam an sich ist der Grund, warum viele gegen einen EU-Beitritt der Türkei sind, sondern die türkische Ablehnung, Religion und Staat voneinander zu trennen. Diese Meinung vertritt die Soziologin Necla Kelek in einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Cicero".
Von PRO

Unter der Überschrift „Die Türkei ist nicht reif für die EU“ kritisiert Kelek, dass der türkische Ministerpräsident Tayip Recep Erdogan gerne von einem „Prozess der europäischen Einigung“ mit der EU spreche. Das sei jedoch falsch. „Der Vertrag, der 1963 zwischen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der kemalistischen Regierung geschlossen wurde, verspricht nur, dass ‚die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritts prüfen‘ werden. Mehr nicht“, so Kelek.

Sie zitiert die Historiker Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler, die Zweifel am Sinn eines Türkei-Beitritts geäußert haben: „Nach geografischer Lage, historischer Vergangenheit, Religion, Mentalität ist die Türkei kein Teil Europas“, schrieben sie. Kelek fügt hinzu: „Und das sind keine Einzelstimmen.“

„Hoher Brautpreis“

Die Forscherin, die 1957 in Istanbul geboren wurde und im Alter von zehn Jahren nach Deutschland kam, nennt vor allem politische und wirtschaftliche Gründe gegen einen EU-Beitritt ihres Heimatlandes. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei“ vergleicht sie mit dem „Mokkatrinken“ vor einer türkischen Hochzeit: „Beim Mokka wird Brautwerbung betrieben, vor allem der Brautpreis ausgehandelt. Dass er hoch ist, wissen die EU-Mitglieder, und auch aus diesem Grund ist die Skepsis bei vielen Europäern groß.“

Zudem sei die „antiamerikanische Stimmung“ in der Türkei weit verbreitet. Ein besonders gutes Bündnis, wie es sich die USA erhofften, könnte daher ein Trugbild sein. „Die Türkei braucht die EU“ – wegen des internationalen Kapitals, das die türkische Wirtschaft zu einem großen Teil finanziere. Doch die Wachstumsraten der vergangenen Jahre signalisierten keine Prdoktivitätsfortschritte, so Kelek.

Kelek fordert Trennung von Religion und Staat

Die Soziologin fordert von der Türkei, dass der Islam „entstaatlicht“ und „orthodoxen, katholischen, evangelischen Konfessionen des Christentums und anderen Glaubensrichtungen Religionsfreiheit gewährt wird“. Erdogan spreche oft von der EU als „Christenclub“, der einem muslimischen Land die Aufnahme verweigere. Kelek: „Nicht weil die Türkei ein muslimisches Land ist, erfüllt sie bisher nicht die Bedingungen, sondern weil sie Staat und Religion nicht trennt: weil sie die Rechte der Frauen nicht respektiert, keine religiöse Toleranz gewährt und weil die politische Lage in der Türkei jene Stabilität vermissen lässt, die sie zu einem zuverlässigen Partner macht.“

Necla Kelek studierte Volkswirtschaft und Soziologie. Sie ist ständiges Mitglied in der von der Bundesregierung berufenen Islam-Konferenz. Ihr neues Buch „Bittersüße Heimat – Bericht aus dem Inneren der Türkei“, aus dem der „Cicero“-Auszug stammt, erscheint demnächst im Verlag Kiepenheuer & Witsch. (PRO)

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