Kindererziehung: Hast Du etwas Zeit für mich?

Nur Eltern, denen es gut geht, können die Bedürfnisse ihres Kindes in angemessener Weise erfüllen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Broschüre der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Sie nimmt die Diskrepanz zwischen pädagogischen Ansprüchen an Erziehung und der Alltagswelt von Kindern und Eltern in den Fokus.
Von PRO
Zwölf Milliarden Euro Kaufkraft befinden sich in den Händen von Kindern zwischen
sechs und dreizehn Jahren. Eltern hätten häufig Gewissensbisse, weil sie arbeiten, weil sie nicht genug verdienen, weil sie sich scheiden lassen oder weil sie nicht genug Zeit und Geduld aufbringen, fasst eine Studie der KAS zusammen. Deswegen fänden Eltern es nur logisch, für ihre Kinder viel Geld auszugeben. Die Kinder gerieten aber auch früh ins Visier der Marktforschung, weil sie sehr leicht manipulierbar seien. Sie wüssten zwar, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen. Den Eltern empfehlen die Autoren, offensiv zu agieren und Wünsche auch abzulehnen.

Auf einem Niveau mit den Erwachsenen?


Viele Jugendliche lägen, was ihre elektronische Ausstattung betrifft, schon auf dem Niveau der meisten Erwachsenen. Verbunden sei das mit erheblichem Kontrollverlust. Dadurch gebe es viele mit erziehende Instanzen. Durch einen eigenen Fernseher, Computer oder Handy komme es zu Konflikten über deren Nutzung zwischen Kindern und Eltern.

Gewandelt habe sich auch das Bildungsleben der jungen Generation. Durch längere Lern- und Ausbildungszeiten würden folgenschwere Entscheidungen erst spät von ihnen erwartet. Während die strenge Erziehung der vorherigen Generation ein Indikator für den Transfer von Werten und Verhaltensweisen
 war, sehen die Autoren hier eine deutliche Verschiebung.

Inszenierte Kindheit

Heutzutage werde Kindheit häufig zu einem Event gemacht. Viele Kinder seien unfähig, Langeweile auszuhalten. "Die Eventisierung ihrer Kindheit bürdet Kindern eine Verantwortung auf, die sie nicht tragen können." Kinder, schreiben die Autoren der Studie, brauchten aber Freiräume jenseits konfektionierter Angebote und der Überwachung von Erwachsenen. In der Erziehung entscheide mittlerweile oft die Nervenstärke in der Argumentation zwischen Eltern und Kindern. Unter diesen Umständen werde es für Eltern immer schwieriger, "nein" zu sagen. "Seit den achtziger Jahren machen die Eltern mehr oder weniger, was die Kinder wollen. Es ist doch kein großes Wunder, dass sich die Kinder halbstark benehmen, wenn auch ihre Eltern halbstark sind", sagt der Forscher Ingo Barlovic.

Der Alltag junger Menschen sei heute ohne Medienkonsum undenkbar, wobei die Lebenswelt sich je nach gesellschaftlicher Schicht sehr unterschiedlich darstelle. Manfred Spitzer, einer der größten Kritiker der Mediengesellschaft, sieht die Auswirkungen des Medienkonsums auf die Gesundheit kritisch. Seit 2008 werde im britischen Fernsehen bei Kindern deswegen nicht mehr für Junk-Food geworben. Bereits eine tägliche TV-Nutzung von mehr als drei Stunden wird als risikoreich eingestuft. Ein weiteres Problem erhöhter Mediennutzung sei die Rufschädigung oder Verleumdung mittels elektronischer Medien, das so genannte Cybermobbing.

Ein Plädoyer für die Vereinsarbeit

Die Vielzahl neuer Medien spaltet die Elternschaft. Sie sehen auf der einen Seite den Nutzen des Computers für die Schule und das spätere Leben. Kritisch ist aber auch die leichte Verfügbarkeit pornographischer Inhalte. Die Generation heute werde mit einer solchen Fülle an Medienangeboten rund um die Uhr überschwemmt. Dies führe auch zum Versinken in virtuellen Scheinwelten, was die geistige und seelische Entwicklung sowie die Leistungsfähigkeit der Kinder beeinträchtige. Junge Menschen, die sich sozial oder sportlich engagierten, erlebten dagegen Teamgeist und Kameradschaft und seien besser gefeit vor realen und virtuellen Verführungen.

Fatal werde es für Kinder, wenn Eltern die Elternrolle verweigerten. Wo Mama und Papa in Wechselschichten arbeiteten und Oma und Opa weit weg wohnten, könne "das vertraute Stammpersonal einer Daily-Soap zeitweise zur virtuellen Ersatzfamilie werden" Ein neuer Raum der Sozialisation der Jugendlichen erschließe sich in den sozialen Netzwerken: Zum Erwachsenwerden sei nicht nur die Clique und der Kleidungsstil wichtig, "sondern auch wie man sich und seine Aspekte der Persönlichkeit im Netz präsentiert".

Erziehung nur noch als Schadensfall diskutiert

Die Autoren kritisieren, dass die Erziehung seit Jahren in Deutschland "nur noch als Schadensfall diskutiert, als Angelegenheit, an der das Gros der Eltern täglich mehrmals scheitert". Die Autoren der Broschüre bilanzieren: Nur Eltern, denen es gut geht, können die Bedürfnisse ihres Kindes in angemessener Weise erfüllen. Der Zürcher Pädagoge Jürgen Oelkers hat das Phänomen des Buches wie folgt beschrieben: "Der hauptsächliche Wandel der Kindheit im 20. Jahrhundert ist nicht der zur Reformpädagogik, sondern der zur kommerziellen Kindheit". Dieser trage zu einer großen Verunsicherung bei. Auch wenn sich einige Informationen in den Kapiteln doppeln, ist die Lektüre des Buches sehr zu empfehlen. (pro)
http://www.kas.de/wf/de/33.33293/
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