Gemeinsame Erfahrungen statt Medienkonsum

Wenn Eltern ihren Kindern zeigen, wie schön das reale Leben sein kann, ist dies die wirksamste Medienpädagogik. Davon ist der Hirnforscher Gerald Hüther überzeugt.
Von PRO

In einem Interview mit der Onlineausgabe der "Süddeutschen Zeitung" erklärte er, Kinder sollten moderne Medien als wunderbare Werkzeuge begreifen, ähnlich wie Hammer und Schraubenzieher, die dazu dienen, "ein Werk zu vollbringen".

In der Medienerziehung könne es nicht allein darum gehen, das Kind darüber zu belehren, was gute und was schlechte Sendungen sind und wie viele Stunden am Tag man vor der Flimmerkiste verbringen soll. "Das bringt alles nichts und das wissen wir inzwischen nur zu gut", sagt Hüther. Normalerweise wollten Kinder bis zum Alter von drei, vier Jahren ohnehin von sich aus gar nicht fernsehen. Sie wollen viel lieber bei allem selbst mitmachen – und an diesem Punkt sei das Fernsehen uninteressant.

Fernsehen sieht Hüther als "Wissensvermittlungsmedium". Allerdings sei Wissen bekanntermaßen nicht das Einzige und auch nicht das Wichtigste, worauf es im Leben ankomme, so der Hirnforscher. Dinge, die Kinder im Fernsehen anschauen, hätten nicht die gleiche Qualität wie am eigenen Leib gemachte Erfahrungen. Daher sieht Hüther es als sehr wichtig an, dass Erwachsene den Kindern Gelegenheit geben, eigene Erfahrungen zu machen. Bereits im Kindergarten zeige sich aber deutlich, dass viele Eltern unsicher sind in Bezug auf den Umgang mit Medien.

Zurzeit sei die Nachfrage nach Medienpädagogik in Kindertagesstätten größer denn je. Hüther wertet das als Zeichen, "dass man hier nicht wirklich vorangekommen ist". Der Hirnforscher und Autor zahlreicher Erziehungsratgeber diagnostiziert außerdem immer mehr Verhaltensstörungen bei Kindern bis hin zur Medienabhängigkeit bei Jugendlichen.

Gemeinsame Erfahrungen geben Halt

In einem Interview mit pro erläuterte Hüther, wie wichtig gemeinsame Erlebnisse für die Entwicklung seien. Kinder bräuchten die Erfahrung, dass sie mit den Eltern gemeinsam etwas erleben, sich um etwas kümmerten. Früher hätten Eltern und Kinder beispielsweise gemeinsam Gemüse angebaut und geerntet oder die Tiere gefüttert. "Shared attention" nennt der Hirnforscher diese "geteilte Aufmerksamkeit". Diese Erfahrung sei notwendig für Kinder, damit sie sich später in der Gemeinschaft zurechtfinden könnten. Wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf etwas richteten, entstehe engste Verbundenheit – das könne auch beim Bilderbuchangucken, beim Singen, beim Turmbauen sein.

Leider führen laut Hüther Zeitmangel in den Familien und andere Faktoren heute dazu, dass Kinder diese "shared attention" kaum noch erleben. Zusammen mit dem Einfluss eines massiven Medienkonsums führe dies zur Bildung von zwei Gruppen. Die einen wollten mit der Gemeinschaft gar nichts mehr zu tun haben, die anderen "hängen in klebrigen Beziehungen fest und müssen den ganzen Tag chatten, SMS schicken und auf Facebook sein". Beide Gruppen könnten sich später als Erwachsene nur schwer über gemeinsame Interessen und Ziele verbunden fühlen und ihre Aufmerksamkeit darauf fokussieren.

Hüthers Fazit lautete daher: Eltern leisten einen guten Beitrag zur Medienerziehung, wenn sie ihren Kindern vielfältige Erfahrungen ermöglichen, möglichst zusammen mit anderen. Vor dem Fernseher finde dagegen keine geteilte Aufmerksamkeit statt.

Gerald Hüther ist Neurobiologe und Hirnforscher. Er hat unter anderem die Bücher "Computersüchtig – Kinder im Sog der modernen Medien" und "Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden" geschrieben. (pro)

http://www.sueddeutsche.de/medien/602/500864/text/
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