„Homeschooling“: Hartes Urteil – milde Strafe

60 Tagessätze à 1 Euro lautet das Urteil des Landgerichts Kassel gegen Jürgen und Rosemarie Dudek. Die Christen unterrichten ihre Kinder seit elf Jahren zu Hause – in Deutschland eine Straftat. Auch wenn das Urteil milde anmutet, könnte es bei einem nächsten Prozess harte Folgen für die Familie haben. Leisten sie dem Recht nicht Folge, bedeutet das wohl Gefängnis.

Von PRO

Ein Tross von Journalisten schiebt sich durch die Gänge des Kasseler Landgerichts. Es sind keine Stars, die hier von Kameras, Fotoapparaten und Mikrophonen umringt werden – es ist ein unscheinbarer, hagerer Mann mit Brille und eine kleine, immer lächelnde Frau in Rock und mit Kopftuch. An diesem Mittwoch kämpfte das christliche Ehepaar Dudek aus dem hessischen Archfeld um das, was sie als ihr Recht ansehen: Sie wollen ihre Kinder zu Hause unterrichten, fernab von einer Schulwelt, in der Christus ihrer Meinung nach nichts bedeutet. "Unser Gewissenskonflikt besteht darin, dass wir gezwungen werden, unsere Kinder einem Schulsystem anzubefehlen, von dem wir genau wissen, dass es sich eben nicht zu ihrem Wohl und auch nicht zum Wohl unserer Familie auswirkt", hatte Jürgen Dudek am ersten Prozesstag dargelegt.

"Wir haben keine Wahl"

Eigentlich hätte das Ehepaar Dudek für ihr "Homeschoolen" bereits ins Gefängnis gehen müssen. Das entschied das Landgericht Kassel im Jahr 2008. Doch die Familie legte Einspruch ein. Beim Revisionsverfahren am Mittwoch kamen Dudeks wesentlich glimpflicher davon. 120 Euro und die Prozesskosten muss das Ehepaar zahlen. Was auf den ersten Blick wenig erscheinen mag, ist dennoch eine Strafe, die sich gewaschen hat. 60 Tagessätze zu je einem Euro sind es, die Jürgen und Rosemarie Dudek jeweils zahlen müssen. Zwar ist der eine Euro vergleichsweise wenig, die 60 Tagessätze sind es aber, auf die es ankommt. Das ist so viel, dass es bei der nächsten Verurteilung wohl zu einer Freiheitsstrafe kommen wird – denn wenn Personen mehrmals angeklagt werden, steigert sich die Strafe in der Regel von Prozess zu Prozess. Dass es für Dudeks nicht die letzte Gerichtsverhandlung war, machte der Familienvater bei seinem letzten Wort im Gerichtssaal klar: "Wir halten an Glauben und Gewissen fest. Wir haben keine Wahl." 

Schon in den Jahren zuvor standen Dudeks vor Gericht. Von ihren sieben Kindern sind fünf mittlerweile schulpflichtig. Seit elf Jahren unterrichten die Christen ihren Nachwuchs zu Hause. Vor vier Jahren bekamen sie dafür eine Geldstrafe – insgesamt 300 Euro musste das Paar zahlen. Die Familie bemühte sich, ihre Unterrichtsform als "Zwergschule" anerkennen zu lassen. Das ist in bestimmten Fällen in Deutschland möglich. Allerdings bedarf es dazu unter anderem ausgebildeter Lehrer, die nicht zur Familie gehören. Dudeks konnten die Formalia für eine Zwergschule nicht erfüllen, waren aber der Meinung, wenn sie sich um eine Lösung bemühten, werde ihnen das Gericht in Zukunft nicht zu nahe rücken. Es war vor allem dieser Irrtum, der Dudeks nun vor einer Haftstrafe bewahrte. So ging der vorsitzende Richter Jürgen Dreyer davon aus, dass die Angeklagten es nicht besser gewusst hätten – ein Irrtum, der sich in diesem Fall strafmildernd auswirkte. Das Urteil aus dem Jahr 2008 wurde aufgehoben.

Ungünstige Sozialprognose für Dudeks

Dabei hatte die Staatsanwaltschaft auf die Haftstrafe bestanden. Weil Dudeks ihre Kinder "dauernd der Schulpflicht entzogen" hatten, sei eine Haftstrafe ohne Bewährung zu verhängen, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Das sei nicht zuletzt notwendig, um dem Ehepaar klarzumachen, dass es so in Zukunft nicht weiter handeln dürfe. Diese "ungünstige Sozialprognose" bestätigte das Gericht auch in seinem Urteil. Es sei nicht davon auszugehen, dass Dudeks ihr Verhalten änderten, erklärte der Vorsitzende.

Der Verteidiger Jürgen Dudeks, Andreas Vogt, betonte hingegen, man dürfe in diesem Fall nicht auf dem reinen Gesetz beharren, sondern müsse sich fragen, wie tatsächliches Recht gesprochen werden könne. Dudeks verstößen nicht etwa gegen die Schulpflicht, sie unterrichteten ihre Kinder ja. Vielmehr missachteten sie eine "Schulgebäude-Anwesenheits-Pflicht" und hätten keineswegs ein "kriminelles Interesse". Für ihre "Bildungsambitionen" spreche etwa der Realschulabschluss des ältesten Sohnes Jonathan, der als Klassenbester mit der Note 1,1 bestand. Um einen staatlich anerkannten Abschluss zu erhalten, hatten ihn die Eltern 2008 vier Monate in eine öffentliche Schule gehen lassen. Der Junge absolvierte mit Bravour, macht nun eine Tischlerlehre.

Keine Bildungsdefizite bei den Kindern

Dass Dudeks – er Politologe, sie Musiklehrerin – durchaus in der Lage sind, ihre Kinder selbst zu unterrichten, sprach ihnen weder Gericht noch Staatsanwalt ab. "Was dort mit den Kindern veranstaltet wird, ist sicher gut", erklärte der Staatsanwalt, vonseiten des Gerichts hieß es, es bestehe kein Zweifel daran, dass die Kinder keine Bildungsdefizite aufwiesen. Dennoch hätten Dudeks nach Vorsatz gehandelt und dies sei zu ahnden. Die niedrigen Tagessätze von einem Euro ergeben sich dennoch nicht etwa aus der Milde des Gerichts, sondern aus der Lebenssituation der Dudeks. Die Familie kommt im Monat mit 1.500 Euro aus. Das Einkommen beziehen sie aus Nachhilfeunterricht und Kindergeld.  

Auch wenn Jürgen und Rosemarie Dudek bei diesem Prozess relativ glimpflich davon gekommen sind, zeigte sich die Familie ernüchtert durch das Urteil. "Wir haben, auch entgegen aller Unmöglichkeiten, gehofft, dass es zu einem Freispruch kommt", sagte Jürgen Dudek gegenüber pro. In Zukunft wolle die Familie weiter nach Möglichkeiten suchen, die Kinder im Rahmen des Rechts selbst zu unterrichten. Schon jetzt sei aber einiges ins Rollen gekommen – vor allem durch das immense Medieninteresse. Mit ihm und seiner Familie waren zahlreiche weitere Unterstützer des "Homeschoolings" zum Prozess angereist. Nach dem Urteil demonstrierten sie mit Musik und Plakaten vor dem Gerichtsgebäude für das Recht auf Heimunterricht.

Dudeks sind bei diesem Prozess nicht freigesprochen worden. Eines haben sie aber erreicht: Selten war in Deutschland das öffentliche Interesse am Thema Heimunterricht so hoch wie jetzt. Die "Deutsche Presseagentur" (dpa), überregionale Zeitungen und Vertreter von Fernsehstationen wie ZDF, N24 und RTL haben den Prozess verfolgt – und waren Zeugen eines klaren Bekenntnisses Jürgen Dudeks: "Das Recht ist am bestem bei dem aufgehoben, der uns diese Kinder anvertraut hat. Der weiß mehr über Schuld und Unschuld, denn er ist vor 2000 Jahren für unsere Schuld gestorben." (pro)

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