Aussteiger berichten: Folter bei Scientology

Sie nennt sich Kirche, wird aber von vielen für eine reine Profitorganisation gehalten. Die US-amerikanische Zeitung "St. Petersburg Times" hat nun schockierende Details um die Sekte Scientology enthüllt. Aussteiger aus dem engsten Führungskreis berichten erstmals von Folterpraktiken, Gewalt und Tod.

Von PRO

Die 30 Scientologen saßen seit Wochen in einem Bürogebäude nahe Los Angeles fest. Sie durften die Räumlichkeiten nur einmal am Tag zum Duschen verlassen. Sie schliefen auf dem Boden, das Essen wurde ihnen gebracht. Hier, in ihrem Gefängnis, sollten sie Pläne entwickeln, die die so genannte Kirche voranbringen. Mitten in der Nacht rief Scientologyleiter David Miscavige die Mitarbeiter zu Sitzungen zusammen. Dann zwang er sie zu einem makaberen Spiel. Zu Queens "Bohemian Rhapsody" sollten seine Untergebenen "Reise nach Jerusalem" spielen. Stundenlang kämpften die Scientologen in ihren schicken Armeeuniformen um Stühle. "Niemals aufgeben" lautet eine der wichtigsten Lehren des L. Ron Hubbard.

Wie in einem Gefangenenlager

Was klingt, wie ein Report aus einem rechtsfreien Gefangenenlager, ist der Erfahrungsbericht von Scientology-Aussteigern wie Tom De Vocht. Jahrelang war er Spitzenmanager im spirituellen Zentrum Scientologys in der Stadt Clearwater. In der "St. Petersburg Times" berichtet er von seiner Flucht vor der Sekte. Nachdem Miscavige die Männer und Frauen zu einem Sprint außerhalb des Gebäudes angetrieben hatte, schlug er auf De Vocht ein, warf ihn auf den Boden und würgte ihn scheinbar grundlos, wie es in der Reportage heißt. Da beschloss De Vocht zu fliehen. Als seine Leidensgenossen wieder ins Haus gingen, versteckte er sich in einem Gebüsch und wartete, bis ein Wagen das Gelände verließ. Mit seinem Motorrad fuhr er durch die offene Schranke in die Freiheit, gequält von dem Gedanken, dass man ihn verfolgen könnte.

In ausgiebigen Recherchen hat die "St. Petersburg Times" vier ehemalige leitende Mitglieder von Scientology ausfindig gemacht, die aus ihrem früheren Leben berichten: Marty Rathbun, Generalinspektor des "Religious Technology Center" der Sekte; Mike Rinder, früherer Pressesprecher von Scientology; De Vocht sowie Amy Scobee, die für Scientology die Stars der Sekte wie Tom Cruise oder John Travolta rekrutierte und vernetzte. Die ehemaligen Mitglieder berichten von Folter: Rinder gibt an, mindestens 50 Mal von Miscavige verprügelt worden zu sein. Die Methoden von Scientology umfassten das öffentliche Beichten von Sünden sowie Strafe, beispielsweise, indem die Mitglieder mit Kleidung in einen Pool springen und in den nassen Sachen verharren mussten, bis ihnen etwas anderes gesagt wurde, heißt es in dem Artikel.

Eine psychisch Kranke starb

Die vier Zeugen berichten auch vom tragischen Tod der 36-jährigen psychisch kranken Scientologin Lisa McPherson, die wohl hätte gerettet werden können, wenn Scientology eine psychiatrische Behandlung nicht grundsätzlich ablehnen würde. Stattdessen versuchten die Scientologen selbst, die Frau zu behandeln. Sie verstarb nach 17 Tagen in einem von Scientologen bewachten Raum. Eine Todesursache, so heißt es in dem Artikel, sei Dehydrierung gewesen. Heilen konnte ihre Kirche sie nicht – sie konnte sie nicht einmal zum Essen und Trinken bewegen. In den 17 Tagen verlor McPherson sechs Kilogramm Gewicht. Rathbun berichtet, wie er im Nachhinein versuchte, Scientologys mögliche Schuld an ihrem Tod zu vertuschen. Er soll Beweismaterial aus dem Behandlungszeitraum entfernt haben lassen, etwa eine Aufnahme, auf der ein Beteiligter zugebe, dass die Situation ihm über den Kopf wächst. Scientology zahlte Millionen, um den Fall für sich zu entscheiden – und siegte, wenn auch nur rechtlich. Bis heute ist der Fall um McPherson aus dem Jahr 1995 in der amerikanischen Öffentlichkeit nicht vergessen.

Die Zeugen berichten auch von der scheinbar unendlichen Loyalität der Scientology-Mitglieder gegenüber ihrer Religionsgemeinschaft. Noch 1998 hatte etwa Marty Rathbun seinem Vorgesetzten Miscavige den Rücken gedeckt, als er von der "St. Petersburg Times" zu möglichen Misshandlungen befragt wurde. "Das ist nicht seine Art", hatte Rathbun damals über seinen Anführer gesagt. Im aktuellen Artikel gesteht er: "Das war die größte Lüge, die ich Ihnen jemals erzählt habe." Heute beschreiben die Aussteiger den Scientology-Chef als gewalttätig. Zudem habe er als Führungsperson nicht in Frage gestellt werden dürfen: "Er ist unser Papst, unser Führer, und er kann nichts falsch machen", erinnert sich De Vocht.

"Unmenschlich" und "böse"

Heute bezeichnen die ehemaligen Scientologen die Folterpraxis ihrer Ex-Glaubensgeschwister als "unmenschlich" und "böse". Doch warum haben sie niemals zuvor an einen Ausstieg gedacht? Mike Rinder gibt die Antwort: Scientology predige Eigenverantwortung. Doch wer die Kirche verlasse, sei ein Ausgeschlossener. Dadurch sei ein Scientologe in der Zwickmühle. Egal, welchen Weg er gehe, es sei falsch. Nach der Lehre Hubbards macht sich jeder, der Scientology verlässt, schuldig. Dies könne zu Krankheit und Tod führen.

Es scheint, als hätten sich dennoch zahlreiche Scientologen umentschieden: Nach der Veröffenlichung des Enthüllungsartikels in der "St. Petersburg Times" melden sich immer mehr Aussteiger und Zeugen zu Wort, wie die Reporter auf einer eigens eingerichteten Internetseite berichten. So sagt etwa der Aussteiger Mark Headley aus Burbank, Kalifornien: "Mehr und mehr Mitglieder verlassen die Organisation in immer kürzeren Abständen". "Wir beobachten schon seit längerem Zerfallserscheinungen", sagt auch die Scientology-Kritikerin und Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Innenbehörde, Ursula Caberta, gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Vor allem in den Vereinigten Staaten, wo keine staatliche Aufklärungsarbeit betrieben wird, spielen die schockierenden Berichte der Abtrünnigen eine wichtige Rolle." Und das, obwohl Scientology die Vorwürfe bisher vollends von sich weist. (PRO)

https://www.pro-medienmagazin.de/nachrichten.html?&news[action]=detail&news[id]=416
http://www.tampabay.com/specials/2009/reports/project/#story_anchor
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4 Antworten

  1. Scientology ist meiner Meinung ein der schlechtesten Dinge die es in den letzten 50 Jahren gab. einfach schande

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  2. Scientology ist meiner Meinung ein der schlechtesten Dinge die es in den letzten 50 Jahren gab. einfach schande

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