Glaube als gesellschaftliche Ressource

Ist die Religion auf dem Rückzug? Nein, meinen Autoren der Zeitung "Rheinischer Merkur". Glaube, so heißt es in der aktuellen Ausgabe, sei als gesellschaftliche Ressource nicht zu unterschätzen – egal ob in der Politik oder im Sozialwesen.
Von PRO

Nach wie vor treten mehr deutsche Bürger aus den christlichen Kirchen aus als ein. Das stellt Martin Rieger, Leiter des Projekts „Die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft“ bei der Bertelsmann Stiftung, im „Rheinischen Merkur“ fest. Dennoch schreibt er, die deutsche Gesellschaft sei von „organisierter Religiosität durchdrungen“. Das sei nicht nur an Zahlen des aktuellen „Religionsmonitors“ festzumachen. Im Sozialwesen zeige sich: „Kindertagesstätten, Schulen, Sozialstationen, Krankenhäuser oder Senioreneinrichtungen. Über eine Million Menschen üben ihren Beruf in diesen sozialen Einrichtungen aus.“ Diese wiederum stünden fast ausschließlich in kirchlicher Trägerschaft. In dieser Rechnung seien die zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter sozialer Hilfswerke nicht einbezogen.

Soziales Engagement speist sich aus christlichen Gemeinden

Rieger kommt zu dem Schluss: Langfristig wird es in Deutschland keine Abnahme organisierter Religiosität geben, wie allseits angenommen. „Religiosität ist offensichtlich eine zivilgesellschaftliche Ressource: 43 Prozent der Hochreligiösen, 26 Prozent der Religiösen und 19 Prozent der Nichtreligiösen sind ehrenamtlich engagiert.“ Das zeige eine Untersuchung des Sozialwissenschaftlers Richard Traunmüller. Gesellschaft, so zeigt Rieger auf, brauche Religion und soziales Engagement der Gläubigen.

Gläubige Wähler nicht übersehen

Dass sich das auch auf die Politik übertragen lässt, zeigt Stefan Piasecki, Autor beim „Rheinischen Merkur“, im Beitrag „Machtfaktor Glaube“. Zu wenig, so meint er, setzten Parteien auf die gläubigen Wähler fernab der großen Landeskirchen. Zu wenig würden christliche Werte in der Politik vermittelt. Dabei stellten etwa freikirchlich organisierte Christen in Deutschland eine nicht unerhebliche Menge der Wählerschaft. „Neben den großen Kirchen gibt es viele christliche Laienorganisationen und Freikirchen …. Die Zahl ihrer Mitglieder geht in die Hunderttausende, doch werden sie in der medialen Berichterstattung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung oft übersehen“, heißt es im „Merkur“. Dadurch wachse die Gefahr, dass diese Menschen von der Politik nicht mehr erreicht würden.

Das erscheint Piasecki gerade vor dem Hintergrund wertpolitischer Debatten als widersinnig. Diese würden nämlich vor dem Hintergrund religiöser Anschauungen geführt. „Abtreibungs-, Gentechnik-, oder Verhütungsdiskurse nähren sich aus religiösen Begründungen. Und nur wenige Themen und ihre mediale Vermittlung können die Gesellschaft so tief an ihren Grundverständnissen berühren und daher polarisieren.“ Politik, so mahnt der Autor, dürfe religiöse Wählerschichten nicht unbeachtet lassen und deren Relevanz nicht an Kirchenmitgliedschaften bemessen. Damit verkenne sie die modernen Formen der Sinnsuche vieler Menschen.

Landeskirche: Selbst schuld am Mitgliederschwund?

Für den Rückgang der Kirchenmitgliedschaften macht der Politologe Andreas Püttmann die Kirchen selbst verantwortlich. „Beide christliche Konfessionen stehen vor einer radikalen Herausforderung und haben als missionarische Glaubensgemeinschaften und als erziehende christliche Familien offenkundig versagt. Wo Schüler den gekreuzigten Jesus für Spartakus halten, ist mit dem Glauben offenkundig auch kulturelles Wissen abhanden gekommen“, schreibt er in einem Kommentar zur Bindungskraft der Kirchen.

Verwunderlich sei der Schwund vor allem vor dem Hintergrund einer Befragung des Allensbacher „Elite-Panels“. „Wenn in einer Gesellschaft die religiösen Bindungen schwächer werden, gehen auch wichtige Werte und Maßstäbe verloren“, nur 22 Prozent der Befragten, so Püttmann, glaubten das nicht. Für 60 Prozent der deutschen Bevölkerung sei das Wort „christlich“ schon vor der Papstwahl Benedikts XVI. und dem Weltjugendtag in Köln „sympathisch“ gewesen. 2003 plädierte jeder dritte Befragte einer Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung dafür, dass „christliche Wertvorstellungen künftig in der Politik eine wichtigere Rolle als derzeit spielen“. Der Trend zur Religion sei also vorhanden, er schaffe es nur nicht, die Kirchen zu erreichen.

Der katholischen Kirche rät er, an den Wurzeln des Katholizismus festzuhalten: „Gerade das Unumstößliche, das Störrische, das ‚Unmoderne‘ an ihm macht seine Faszination aus. Sein barockes Element, seine beharrliche, ja dickköpfige Dogmatik, sein Hang zum Ornament, zum Prunk, zur Verschwendung und Doppelmoral, ist gewissermaßen sein ‚Markenkern'“, zitiert er den Trendforscher Matthias Horx. (PRO)

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