Sucht nach dem Internet: Ein Krankheit, die keine ist

"Onlinesucht" gilt als eine der großen Gefahren für moderne Jugendliche. Dennoch ist das Phänomen höchst umstritten und kaum erforscht. Am heutigen Donnerstag debattiert der Bundestag über einen Antrag von Union und SPD zur besseren Untersuchung der "Medien- und Onlinesucht". Dieser könnte vor allem ein Startschuss für die Entwicklung einschlägiger Therapiemethoden sein.
Von PRO

„Es war, als hätte man mir mein Leben weggenommen.“ Mit diesem Satz beschrieb ein Jugendlicher in einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), wie er den Alltag ohne Internetzugang erlebte. Eineinhalb Jahre lang hatte er den ganzen Tag vor dem Rechner verbracht, verlor Kontakt zu Eltern und Freunden. Dann zog die Mutter einen Schlussstrich und setzte ihn auf „kalten Entzug“. Sie zog den Stecker und ließ den Computer verschwinden. „Es war die Hölle“, erinnerte sich der Junge. Erst nach einem halben Jahr habe er wieder ein normales Leben führen können.

„Onlinesucht“ ist nicht als Krankheit anerkannt

Drei bis sieben Prozent der Internetnutzer gelten laut dem aktuellen „Drogen- und Suchtbericht“ der Bundesregierung als „onlinesüchtig“. Doch das Phänomen ist kaum wissenschaftlich untersucht. Aus diesem Grund ist die „Onlinesucht“, obwohl der Begriff seit Mitte der neunziger Jahre in Fachkreisen kursiert, nicht als Krankheit anerkannt. Das wollen Union und SPD ändern. Am heutigen Donnerstag bringen sie einen Antrag zur „Medien- und Onlinesucht“ in den Bundestag ein. Darin fordern die Parteien, dass sich die Regierung künftig verstärkt diesem Phänomen widmet.

Die CSU-Politikerin Dorothee Bär erklärt in der aktuellen Ausgabe der FAZ: „Es geht um Menschen, die ohne Rechner nicht leben können, und die wegen ihres Online-Verhaltens ihre Umwelt vernachlässigen und ihre realen sozialen Kontakte verlieren. Im Extremfall wird ihnen dann sogar gekündigt, weil sie auch nicht mehr zur Arbeit erscheinen.“ Dabei könne die Onlinesucht viele verschiedene Ausprägungen haben. Das Hauptphänomen sei die Online-Sexsucht, daneben gebe es die Spiel- und Chatsucht. Vor allem Online-Rollenspiele hätten ein Suchtpotential, etwa das bekannte „World of Warcraft“.

Forschung hilft, geeignete Therapien zu entwickeln

Eine Erforschung der „Onlinesucht“ könnte letztendlich vor allem dazu beitragen, geeignete Therapieformen für Betroffene zu entwickeln. Da das Phänomen nicht als Krankheit anerkannt ist, trügen die Krankenkassen bisher keine Behandlungen, erklärt Bär. Hilfe suchen Süchtige derzeit am häufigsten in Onlineforen, etwa bei „onlinesucht.de“. Hier können sich Betroffene mit anderen austauschen, Experten beraten im Ernstfall. Die Gründerin Gabriele Farke war selbst „onlinesüchtig“, wie sie in einer früheren Ausgabe der FAZ berichtete. „Sobald die virtuelle Realität wichtiger werde als die reale, die CyberRomanze bedeutsamer als die private Beziehung und man Freunde und Anerkennung eher im Netz findet als in der realen Welt, sei von Online-Sucht auszugehen“, zitiert die FAZ sie.

Warum Menschen im Internet die Kontrolle über sich selbst verlieren, weiß der Kölner Medienwissenschaftler Jürgen Fritz: „Das Netz ist eine Welt niedriger Zugangsschwellen. In einem Chat fällt das Artikulieren der eigenen Wünsche wesentlich einfacher als im ‚realen Leben'“, sagte er in der FAZ, und weiter: „Die Beziehungen, die sie dabei eingehen, sind wiederum leicht kündbar. Sie bleiben hinter Pseudonymen versteckt und müssen keine negativen Konsequenzen befürchten.“

Steigender Internetkonsum – steigende Gefahr?

Das „Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters“ arbeitet derzeit an einer Studie zum „pathologischen Internetgebrauch in Deutschland“. Ein Zwischenbericht zeigt, dass der Internetgebrauch Erwachsener und Jugendlicher in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen hat. Besonders stark betroffen sind jungen Menschen. Auch deshalb gerät das Thema „Onlinesucht“ immer mehr auf die politische Agenda. Der „Drogen- und Suchtbericht 2009“ führt erstmals auch die „Computerspiel- und Internetsucht“ als eigenes Thema neben Heroin-, Alkohol-, oder Cannabissucht an. Seit 2008 erforscht die Universität Mainz in einem Pilotprojekt die Computerspielesucht.

Doch das Thema ist nicht unumstritten. Viele halten die „Onlinesucht“ für einen herbeigezüchteten Begriff, der die eigentliche Problematik nicht ausreichend erfasse. Die Zeitung „Die Welt“ schrieb kürzlich: „Die sogenannte ‚Internetsucht‘ hält schon einer oberflächlichen Prüfung nicht stand. Denn der Begriff impliziert, dass sich die Abhängigkeit auf das Medium richtet. Genau dies ist nicht der Fall. Die derzeit am heißesten diskutierte Form der ‚Internetsucht‘ richtet sich auf Computerspiele – es handelt sich also um Spielsucht, die im Internet betrieben wird. Dasselbe gilt für Internetpornografie.“ Von Sucht könne allein deshalb nicht die Rede sein, weil ein langfristiger und regelmäßiger Konsum nicht zwangsläufig in die Abhängigkeit führe, heißt es weiter. Menschen, die täglich acht Stunden am Rechner arbeiteten und im Internet surften, würden nicht automatisch süchtig danach.

Mit Verboten gegen die Sucht?

Gerade die Spielesucht ist es, die immer wieder die Gemüter vieler Eltern, aber auch die von Computerfans und Zockern erhitzt. Spätestens seit dem Schulattentat von Winnenden sind potenziell gewaltverherrlichende Spiele in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auch Nutzer von Rollenspielen könnten schnell in die Abhängigkeit rutschen, heißt es auf „onlinesucht.de“. Das geschehe vor allem deshalb, weil die Spieler sich in Gruppen zusammenschließen und das Spiel deshalb nicht nach eigenem Willen beenden könnten. Hier wirke ein Gruppenzwang.

Dorothee Bär von der CSU hält Verbotsforderungen dennoch für übertrieben. „Ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot gewaltverherrlichender Spiele, wie es die Innenministerkonferenz vor kurzem beschlossen hat, halte ich für problematisch. Das ist nicht zielführend und verprellt viele ’normale‘ Menschen. Ich möchte nicht, dass wir zu einer Verbotspartei werden.“ Zur Bekämpfung der „Onlinesucht“ müssten andere Mittel als das Verbot gefunden werden. (PRO)

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