Bei Netflix: Der Denver-Clan als Pastorenfamilie

Eine Kirche als Familienimperium voller Intrigen und Rivalitäten – davon erzählt die US-Serie „Greenleaf“. Über das Christentum wird darin intensiv diskutiert – wenig erbaulich, aber höchst unterhaltsam. Die Fernsehkolumne von Moritz Breckner
Von PRO
„Greenleaf“ läuft in Deutschland auf Netflix. Produzentin Oprah Winfrey spielt die Rolle der Mavis McCready (2. v.l.).

Die Gemeinde jubelt, während Bischof James Greenleaf (Keith David) leidenschaftlich predigt: „Die Bibel ist kein Regelwerk, kein Mythos, keine Literatur“, ruft er. „Sie ist wie eine E-Mail von deinem besten Freund, der sich auf ein Treffen freut.“ Im Hintergrund singt seine Tochter Charity (Deborah Joy Winans), Ehefrau und „First Lady“ Mae winkt gerührt mit einem Taschentuch von der Bühne, nachdem sie dem Herrn dafür gedankt hat, nur noch im Privatjet zu reisen. Sie sitzt bei ihrem Bruder Mac (Gregory Alan Williams), dem immer wieder des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Anwalt der Kirche. Und während sich das alles abspielt, hat Pastorensohn Jacob (Lamman Rucker) im Keller einen Quickie mit der Sekretärin von Bischof James.

Lady Mae (r.) auf der Bühne der Kirche, dahinter ihr Bruder Mac. Die detailverliebte Ausstattung fängt gut die Atmosphäre amerikanischer Kirchen ein – inklusive der allgegenwärtigen Kleenex-Boxen auf Beistelltischen. Foto: OWN
Lady Mae (r.) auf der Bühne der Kirche, dahinter ihr Bruder Mac. Die detailverliebte Ausstattung fängt gut die Atmosphäre amerikanischer Kirchen ein – inklusive der allgegenwärtigen Kleenex-Boxen auf Beistelltischen.

Es ist der überdrehte Höhepunkt der Auftaktfolge von „Greenleaf“, einer von Oprah Winfrey produzierten Drama-Serie, die in Deutschland auf Netflix zu sehen ist. Serienfans kennen das Setting aus „Dallas“, „Denver-Clan“ oder dem wesentlich jüngeren Hip-Hop-Drama „Empire“: Da ist eine dysfunktionale, steinreiche Großfamilie mit jeder Menge Leichen im Keller, und alle streiten sich um das Familienimperium. Im Falle von „Greenleaf“ ist dieses Imperium eben eine Kirche in Memphis, Tennessee.

Worum geht’s? Pastorentochter und Hauptfigur Grace Greenleaf (Merle Dandridge) hat sich von ihrer Familie entfremdet, kehrt aber in Folge eins für die Beerdigung ihrer Schwester Faith zurück. Faith hat sich das Leben genommen, offenbar, weil sie als Jugendliche von ihrem Onkel Mac vergewaltigt wurde – ein Umstand, den die Familie seit Jahren verdrängt. Vater James freut sich über das Wiedersehen und stellt Grace sogleich bei der Kirche an. Mutter Mae wird fuchsig, sinkt dadurch doch der Stern ihres geliebten Sohnes Jacob, der ebenfalls als Pastor angestellt ist. Grace wird zur heimlichen Ermittlerin gegen die Machenschaften ihres Onkels, während die Leidenschaft für ihre inzwischen verlobte Jugendliebe Noah (Benjamin Patterson) neu entflammt.

Das ist die Ausgangssituation für eine ganze Fülle teils sehr vorhersehbarer Intrigen und Verwicklungen, stets vor der Kulisse einer Kirche und angereichert mit Debatten über Theologie, Heuchelei, Schuld und Sühne. Stritten sich die Ewings in „Dallas“ noch darum, wer die Ölgeschäfte leiten soll, rivalisieren bei den Greenleafs die Geschwister beim Abendessen darum, wer die nächste Predigtserie halten darf.

Echte Entwicklungen der Charaktere

„Greenleaf“ wirkt in den ersten Folgen etwas zu schrill und überfrachtet – wie viel wirkungsvoller wäre die Mischung aus Kirchenkritik und Satire, käme sie doch ein wenig subtiler daher. Stattdessen packen die Macher jedes Klischee aus: Da ist der Senator, der eine strenge Steuerprüfung anordnet (Bischof James: „Der Junge ist wohl von ’nem Dämon besessen.“), da ist das Ehepaar, das öffentlich mit seinen großen Spenden prahlt (Bischof James: „Sie haben ihr Geld bei der Ewigkeits-Bank investiert.“), und natürlich fehlt auch nicht der fromme Christ, der heimlich schwul ist (was Bischof James dazu sagt, erfahren wir erst in der zweiten Staffel).

In der zweiten Hälfte der ersten Staffel dreht die Serie dramaturgisch auf. Wer drangeblieben ist und einen Überblick über die Rollen gewonnen hat, kann nun mitfiebern. So wird Pastor Jacob und seiner herrischen Frau Kerissa (Kim Hawthorne) schmerzlich bewusst, wie kalt und lieblos ihre Ehe geworden ist – hier findet eine echte Entwicklung der Charaktere statt. Gleichzeitig muss sich die Kirche im politischen Streit um die Bewegung „Black Lives Matter“ positionieren, es wird erpresst, bestochen und sogar geschossen. Bis sich schließlich auch die stolze Lady Mae mit Blut an den Händen auf Knien im Gebet wiederfindet: „Ich bereue alle meine Sünden. Jesus, bitte sage mir, was ich tun soll.“

Mehr als nur Vorurteile über Christen

Für Zuschauer in Deutschland ist das in „Greenleaf“ abgebildete Milieu weitgehend fremd, das US-Publikum dürfte manch eigene Beobachtung darin wiederfinden. Viele Großkirchen werden von glamourösen Familien geleitet, Pastorenfrauen sind oft automatisch „Co-Pastor“, die Kinder leiten Chor und Band – ein Phänomen, das inzwischen problematisiert und kritisch diskutiert wird.

Obwohl viele Christen in „Greenleaf“ als Heuchler dargestellt werden, die hauptsächlich auf Sex und Spendengelder aus sind, macht die Serie nicht den Eindruck, als gehe es den Machern nur um die Bestätigung dieser Vorurteile. Dafür treten in der Drama-Serie zu viele ernsthaft suchende Christen auf, wie Tochter Charity oder Tante Mavis, gespielt von Produzentin Oprah Winfrey. Winfrey sagt von sich selbst, gläubige Christin zu sein, spricht oft öffentlich über den Glauben oder macht Talkshows mit bekannten Pastoren. Vor dem Start von „Greenleaf“ erklärte sie, eventuelle Ähnlichkeiten zu echten Kirchen und Gemeinden seien nicht beabsichtigt.

Fazit: Trotz manch treffender Beobachtung ist „Greenleaf“ zu überspitzt und überzeichnet, um als Sittengemälde amerikanischer Religiosität durchzugehen. Die Serie zeigt Christen, die mit sich selbst, dem Glauben und ihren Mitmenschen hadern, und die verzweifelt versuchen, das Richtige zu tun. Und sie zeigt Menschen, die sich aus Gewohnheit Christen nennen, aber in Wahrheit Schurken sind. Das zu beobachten, ist gute Unterhaltung – und kann motivieren, eigene Ansichten und Gewohnheiten zu hinterfragen. Der Titelsong ist eine Variation des Gospels „Satan, We’re Gonna Tear Your Kingdom Down“ – dass damit auch ein vermeintlich christliches Königreich gemeint sein kann, ist die bittere Ironie der Serie.

„Greenleaf“ läuft in Deutschland bei Netflix (bislang zwei Staffeln, eine dritte wird folgen).

Von: Moritz Breckner

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