ZDF-Autor Elmar Theveßen: „Uns ging es um einen Vergleich, nicht um Gleichsetzen“

Die ZDF-Dokumentation "Der große Graben – Religiöse Fundamentalisten auf dem Vormarsch", die am vergangenen Donnerstag gesendet wurde, hat für große Diskussionen gesorgt. Wurden doch "islamische und christliche Fundamentalisten" in ihren Ansätzen verglichen. Wir haben mit dem Autor des Beitrages, ZDF-Terrorexperte Elmar Theveßen (Mainz), über die Aussagen der Dokumentation und sehr grundsätzliche Ansichten über den Glauben gesprochen.
Von PRO

pro: Herr Theveßen, wie sind die Reaktionen auf Ihre Dokumentation ausgefallen?

Theveßen: Gemischt. Wir hatten Reaktionen, die sehr positiv waren, darunter waren viele Leute, die gelobt haben, dass wir uns einmal mit dem Thema befasst haben. Aber wir haben teilweise auch sehr kritische E-Mails bekommen. Allerdings bin ich sehr dankbar, dass die meisten davon sachlich-kritisch waren.

pro: Warum kann man Ihrer Ansicht nach islamische und christliche Fundamentalisten vergleichen?

Theveßen: Wichtig ist schon mal, dass es um ein Vergleichen von Rhetorik und Methoden geht, es geht nicht um ein Gleichsetzen. Ich habe in der Dokumentation auch sehr deutlich gemacht, dass es einen ganz großen Unterschied beispielsweise im Verhältnis zur Gewalt gibt. Allein an sechs Stellen im Text wurde immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Islamisten Gewalt als Selbstverteidigung rechtfertigen und Christen Gewalt strikt ablehnen. Aber es sollte doch erlaubt sein, einmal genauer hinzuschauen und zu vergleichen, weil eben die gegenseitigen Wahrnehmungen von Fundamentalisten jeweils Eingang in die gegenseitige Propaganda finden und damit Feindbilder verschärfen. Das spielt sich zwar nur zwischen kleinen Minderheiten ab, aber diese Wechselwirkung hat doch große Folgen für die Wahrnehmung bei der schweigenden Mehrheit in allen Religionen, die sonst mit Extremismus nichts zu tun haben.

„Glaube ohne Zweifel gibt es nicht“

pro: Haben aber nicht alle Religionen im Kern den Anspruch, an die einzige Wahrheit zu glauben? Nicht alleine die evangelikalen Christen bekennen sich zu ihrem Fundament, der Bibel.

Theveßen: Den Anspruch haben sie, aber die meisten Religionen, und auch die Christen, die sich selber als Fundamentalisten sehen, würden bestreiten, dass man diese Wahrheit schon hier auf Erden besitzen kann, sondern es geht um ein Streben nach Wahrheit. Wenn man im Besitz der Wahrheit ist und jedes Streben danach aufgibt, wenn es einen Glauben ohne jeden Zweifel gibt, dann würde eine Religion ja zu einer Art Ideologie degradiert werden. Ich glaube, dass es eine überwältigende Mehrheit auch der Christen ablehnen würde, ihren Glauben als ideologisch zu sehen. Aber es ist im Prinzip nichts Falsches daran, sich auf Werte und auf das Fundament des Christentums – in diesem Fall das Wort Gottes – zurückzubesinnen.

pro: Könnten Sie nicht unter den gleichen Fragestellungen einen Beitrag drehen etwa über die Glaubensansichten der Katholischen Kirche, wie sie in deren Katechismus festgehalten sind? Auch darin ist die Rede von Hölle, Verdammnis, der Wahrheit des christlichen Glaubens.

Theveßen: Richtig. Doch auch in der Katholischen Kirche sind sehr unterschiedliche Strömungen vertreten. Da sind einige, die die Bibel in allen ihren Teilen wörtlich nehmen, nicht nur das Neue, sondern auch das Alte Testament. Und es gibt andere Strömungen, die in dieser Frage offener sind. Der Papst selbst hat erst vor kurzem deutlich gemacht, dass es zum einen wichtig ist, dass wir eine Abkehr von der Diktatur des Relativismus haben, denn davon gibt es in der Gesellschaft heutzutage zu viel. Gleichzeitig sollten wir aber auch akzeptieren, dass die Aufklärung, der Humanismus, unsere Errungenschaften und christliche Traditionen dazugehören, und dass wir dementsprechend auch die nötige Toleranz gegenüber Andersdenkenden haben müssen.

Persönliches Glaubensbekenntnis

pro: Auch die evangelische Kirche oder evangelische Christen könnte man nach diesen Maßstäben doch kritisieren. Denn Millionen Christen bekennen Sonntag für Sonntag in Gottesdiensten ihren Glauben, sprechen das Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“, heißt es da. „Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Zudem bekennen sich die Christen zur Auferstehung Jesu und seiner Wiederkunft auf die Erde. Ist das nicht „intolerant“?

Theveßen: Nein, das ist es überhaupt nicht, weil es ein persönliches Glaubensbekenntnis ist. Als katholischer Christ spreche ich die gleichen Worte im Gottesdienst. „Religion“ kommt vom lateinischen Wort „religare“, „zurückbinden“, das heißt: es geht um ein absolut individuelles Verhältnis zwischen dem einzelnen Menschen und Gott. Das ist eine sehr individuelle, persönliche Geschichte, und deswegen kann man auch zu solchen Äußerungen stehen, und sie gehören einfach zu meinem christlichen Glauben dazu. Das Problem kommt dann ins Spiel, wenn man dies zur allgemein gültigen Wahrheit für jeden Menschen erklärt und auch von jedem einfordert, möglicherweise auch politisch durchsetzen will, dass er sich an diese Dinge zu halten hat.

„Den Anderen in seinem Glauben nicht herabsetzen“

pro: Dennoch haben Christen doch klar einen Missionsauftrag, das heißt, anderen Menschen von ihrem Glauben zu berichten. Auch der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, hat sich kürzlich erst deutlich für die Mission ausgesprochen. Mission bedeutet ja schlichtweg, dass man anderen sagt: akzeptiere meinen Glauben, denn diesen halte ich für richtig.

Theveßen: Ja, aber Mission bedeutet auch, dass Christen ihren Glauben auch durch die eigene Tat vorleben. Das heißt, dass christliches Handeln glaubwürdig ist und so andere überzeugt werden, dass dies der richtige Weg ist. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man den anderen in seinem Glauben herabsetzt und beispielsweise den Islam pauschal zum Feind erklärt, wie es einige Gruppierungen tun. Und deswegen hat Bischof Huber im Interview mit uns ja auch gesagt, dass dies sehr gefährliche Strömungen sind und wir verhindern müssen, dass dies zu einer Meinung der Mehrheit wird.

Einzelne Gruppen mit extremen Ansichten

pro: Auch unter Evangelikalen in Deutschland gibt es keine komplett einheitlichen Überzeugungen. Im Gegenteil, Aktionen wie „Calling all Nations“ waren durchaus umstritten. Haben Sie durch die Darstellung einzelner Veranstaltungen und Veranstalter nicht den Eindruck verstärkt: so sind sie alle, die Evangelikalen?

Theveßen: Nein, das glaube ich nicht. Denn wir haben in der Dokumentation bewusst angesprochen, dass es sich um einen Teil der Strömungen handelt, um eine Gruppe, die da eine Rolle spielt. Was übrigens „Calling all Nations“ angeht, so bin ich davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen, die da waren, mit extremen Ansichten gar nichts zu tun hatten. Sie waren da, um Gott zu lobpreisen und ihrem Glauben Ausdruck zu geben. Aber es gab dort einzelne Gruppen und Personen, die sehr extreme Ansichten vertreten. Und weil über diese Gruppen so gut wie nie berichtet wird, war es uns wichtig, deren Ansichten einmal aufzugreifen und in einen kritischen Zusammenhang zu stellen. Zudem haben wir diese Ansichten auch mit Repräsentanten evangelikaler Gruppen – beispielsweise Roland Werner vom Christustreff in Marburg – aber auch mit einem Vertreter der protestantischen Weltkirche, in diesem Fall dem Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Huber, besprochen.

„Es ist sinnvoller, offen, ehrlich und hart zu diskutieren“

pro: Sie befassen sich in Ihrer Dokumentation eingehend mit der Frage, wie es Islamisten und Evangelikale mit der Gewalt halten: Christen lehnen Gewalt ab, die Islamisten rechtfertigen Terrorakte als Selbstverteidigung. Dennoch meinen Sie, dass „die bibeltreuen Christen glauben, dass sie sich selbst verteidigen müssen gegen einen Islam, der ihnen als unreformierbar, gefährlich und gewaltbereit gilt“. Wie genau sieht Ihrer Ansicht nach diese „Verteidigung“ aus?

Theveßen: Zunächst einmal so, indem der Islam pauschal zum Feindbild erklärt wird. Da wird ganz klar gesagt: Dies ist der Feind, dieser Islam ist unreformierbar. Das haben Protagonisten in unserer Dokumentation vor der Kamera gesagt. Und dazu gehört dann, zumindest bei einigen Gruppen, dass daran politische Äußerungen geknüpft werden, beispielsweise: Israel muss in den Grenzen vom Nil in Ägypten bis zum Euphrat im Irak liegen, oder dass gesagt wird: Der Islam ist eine bösartige Religion des Hasses, und Ägypten sei ein christliches Land. Das sind alles Dinge, die in der Auseinandersetzung um Wahrheit oder um Seelen nicht helfen. Es wäre sinnvoller, in einer offenen, ehrlichen, auch hart geführten Diskussion darüber zu diskutieren, auch anhand der Schriften. Da kann man sicherlich auch im Koran Kritisches finden, dies muss offen kritisiert werden dürfen. Aber es macht keinen Sinn, die anderen Religionen in Bausch und Bogen zu verdammen.

Herr Theveßen, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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