Tötet Fernsehen die Fantasie von Kindern?

M ü n c h e n (PRO) - Tötet Fernsehen die Fantasie von Kindern? Dieser Frage ging das Internationale Zentralinstitut für das Bildungs- und Jugendfernsehen (IZI) nach. Insgesamt wurden 193 Kinder im Alter von 8 bis 10 Jahren in Deutschland, Israel, Südkorea und den USA zu ihren Tagträumen befragt.
Von PRO

Parallel dazu erinnerten sich 56 Menschen unterschiedlicher Generationen an ihre Kindheitsphantasien aus den Zeiten, in denen es ein anderes oder noch gar kein Fernsehangebot gab.

Fernsehen verdrängt die Fantasie nicht, es wird zu einem Teil von ihr

„Das Verhältnis zwischen Fernsehen und der Fantasie von Kindern ist sehr viel komplexer, als man es vielleicht vermuten würde“, lautete die erste Erkenntnis der Forscher. “Fernsehen verdrängt die Fantasie nicht, es wird zu einem Teil von ihr. Kinder nehmen sich etwas aus dem Fernsehen heraus und entwickeln mit den Medienbildern ihre eigenen Erzählungen”, heißt es in der Studie. Eine Zusammenfassung davon bietet der bayerische Rundfunk, dem das IZI untersteht, als pdf an. Das Institut wird zudem von der Gesellschaft zur Förderung des internationalen Jugend- und Bildungsfernsehens e.V. unterstützt.

Die Vorstellungen der Kinder, „wie man/frau aussehen möchte und wie ein hübsches Mädchen oder ein mutiger Junge aussieht“ würden durch die Medien beeinflusst. Kinder nehmen sich demnach Teile aus den Medien heraus, zum Beispiel den Handlungsort (das „Setting“) oder auch einzelne Medienobjekte. Diese passen sie dann in ihrer Fantasie ihren eigenen Bedürfnissen an.

Bei der Medienrezeption zeigen sich deutlich Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Mädchen integrieren Medienspuren viel weniger in ihren Tagtraum. In 55 Prozent der Fantasien fanden die Forscher deutliche Medienspuren. Bei den Jungen hingegen konnte man bei 73 Prozent einen deutlichen Einfluss auf die Fantasie durch die Medien erkennen.

Am interessantesten war für die Mädchen das „Setting“ der Medienwelt; die erzählte Geschichte hingegen findet sich kaum in ihren Fantasien wieder. Männliche Medienhelden lassen die Mädchen in ihren Fantasien häufig einfach aus. Zudem greifen sich Mädchen bestimmte Momente der Figur heraus und lassen andere, meist negative, weg. „Beispielsweise denkt sich Tanja als Sissi in einer romantischen Szenerie in der Natur – jedoch ohne Ludwig II und das Schicksal der Kaiserin, das sie aus den Filmen kennt“, berichten die Forscher.

Die Jungen hingegen bleiben der vorgegebenen Medienspur eher treu. Sie übernehmen die Figuren und das Mediensetting und denken sich häufig direkt in die Medienhandlung ein. „Sie sind Peter Pan oder der Dragon Ball Z-Kämpfer, retten die Welt bzw. die Prinzessin oder schauen sich fasziniert die Gewaltszenarien im Kampf der großen Dinosaurier an.“

Früher war die Natur aufregend, heute die Pokémon-Welt

Im Laufe der Zeit haben sich die Settings für Abenteuer und Gefahren geändert. Während früher wilde Täler oder hohe Berge gefährliche Herausforderungen symbolisierten, sind es heute ausschließlich Medienfiguren und -settings wie etwa die Pokémon-Welt. „Wo früher Reisen für Spannung standen, stehen heute Medien- und Vergnügungsparks“, so die Studie. Die Vorbilder waren im und nach dem Zweiten Weltkrieg Figuren aus griechischen Mythen und Kriegsflieger. In den Fantasien der Kinder, die in den 70er- und 80er-Jahren 8 bis 9 Jahre alt waren, dominieren Fußball- und Tanzstars.

Das Visuelle prägt am meisten

Eindeutig kristallisierte sich heraus: Visuelle Medien prägen am häufigsten die inneren Bilder. Das Fernsehen als “Leitmedium” ist der wichtigste Materiallieferant für Fantasien. „Fernsehen ist leicht zugänglich, bedarf weniger Anstrengung in der Rezeption und fordert während der Rezeption, vor allem aber danach, zur Imagination auf.“

Dabei überdeckten die Fernsehbilder teilweise die inneren Bilder der Kinder. „Dies kann gewinnbringend sein, wo Medien neue Bilder, z. B. von anderen Ländern und Völkern, liefern“, so die Forscher. „Problematisch wird dies vor allem dort, wo Medien verengte Stereotypen und das immer wieder gleiche unangemessene Bild liefern und damit den Freiraum auf die Vielfalt der individuellen Vorstellung beschränken.“ Problematisch sei etwa, wenn bei Mädchenfiguren stets geschätzte Besonderheit mit gutem, gestyltem Aussehen gekoppelt sei. Bei Jungen wiederum werde das Körpererleben meist mit Aktivität in Kampfszenarien kombiniert. „Kaum eine gezielt für Jungen konzipierte Serie, die ohne gewalthaltige Szenen und Kämpfe auskommt.“

Als Fazit ziehen die Wissenschaftler: „Medien können Fantasien fördern, wenn sie die Kinder ernst nehmen, sie in ihrer Vielfältigkeit und in ihrer eigenen Perspektive anerkennen. Jedoch nur, wenn es auch genügend Rückzugsorte für das Imaginieren gibt. Dauerhafter Medienkonsum kann hier ebenso wie eng gesteckte Terminpläne eben diese Freiräume verbauen.“

„Andere Momente“, so die Experten, „die eine Imaginationstätigkeit behindern, sind Erwachsene, die die Fantasien der Kinder kritisieren oder abwerten. Förderlicher wäre es, die Kinder so anzunehmen, wie sie sind – auch mit ihren Fantasien voller Medienspuren.“

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