Religiöse Pluralität: „Alle Rechte für alle“

Wissenschaftler und Bundestagspolitiker wie Kerstin Griese (SPD) und Stephan Mayer (CSU) haben in Berlin darüber diskutiert, wie verschiedene Religionen in Deutschland friedlich nebeneinander bestehen können. Schlüssel zum Gelingen lägen in kultureller und religiöser Bildung sowie der Devise „Alle Rechte für alle“.
Von PRO
Rechtswissenschaftlerin Christine Langenfeld sieht religiöse Heterogenität in Zukunft als den Normalfall an
Welchen Beitrag müssen religiöse und nichtreligiöse Gemeinschaften leisten, damit das friedliche Zusammenleben in Deutschland weiterhin garantiert ist? Diese Frage haben Politiker und Wissenschaftler auf einer Diskussionsveranstaltung der Katholischen Akademie in Kooperation mit der Eugen-Biser-Stiftung in der Bayerischen Landesvertretung am Donnerstag in Berlin diskutiert. Dabei kam heraus, dass kultureller und religiöser Bildung eine wichtige Rolle für gelingende Integration zufällt.

Demokratie ist Grundlage für Existenz der Religionen

„Deutschland muss die religiöse Heterogenität als den Normalfall annehmen“, erklärte die Rechtswissenschaftlerin Christine Langenfeld. Die Vorsitzende im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) sagte, dass der Staat anderen Religionen nicht solche Rechte vorenthalten dürfe, die er den beiden großen Kirchen gewähre. „Alle Rechte für alle. Oder keine Rechte für keine Religionsgemeinschaft“, erklärte Langenfeld. Gegen die Tendenz von Politikern, den Islam auszugrenzen, habe diese Religion den verfassungsgemäßen Anspruch und das Recht, sich frei zu entfalten. „Die Religionen müssen pluralismusfähig werden und in der Lage sein, innerhalb einer freiheitlichen Ordnung, in der Menschen mit ganz unterschiedlichen Überzeugungen leben, zu bestehen und dennoch Halt zu geben“, sagte die Juristin. Religionen hätten ihren Eigensinn. Im privaten könne man alle möglichen Auffassungen teilen. „Man kann vieles glauben, man kann vieles hier schlecht finden und sagen: Wenn unserer Religion das zu bestimmen hätte, dann würden wir das anders machen.“ Dann gerate die Religion jedoch nach ihrer Auffassung in einen Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung. „Nicht alles, was eine Religion enthält an Regeln, ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat verwirklichbar“, sagte Langenfeld. Die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit setzten die Religionsfreiheit voraus. „Die Demokratie ist die Grundlage für die Existenz der Religionen. Das sollten die Religionen akzeptieren.“

Leitbild ist das Grundgesetz

Kerstin Griese, kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion verwies auf die von der Verfassung garantierte Religionsfreiheit. Dazu gehöre, seine Religion öffentlich leben zu dürfen. Die zunehmende Säkularisierung erfordere, dass „wieder neu über Religion gelernt werden muss“. Das Grundgesetz stellt nach Aussage der SPD-Politikern ein Leitbild dar, das Angebote zur Integration offeriert. „Integration erfolgt durch Arbeit, durch Sprache und durch Bildung“, erklärte Griese und plädierte für Toleranz im Rahmen der Werte unseres Grundgesetzes. „Das Grundgesetz gilt für alle, die hier her kommen und für alle, die hier aufgewachsen sind.“ Laut dem CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer hat Gläubigkeit für viele Menschen in Deutschland noch eine zentrale Bedeutung, dabei sei „vollkommen unstreitig, dass der Staat eine absolute Neutralitätspflicht trifft, was das Thema Religiosität betrifft“. Dennoch müsse man zugestehen, dass unsere Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg durch das Christentum geprägt worden sei. Das könne man nicht negieren. Er habe ein Problem mit der grenzenlosen Toleranz, erklärte das Mitglied im CDU/CSU-Fraktionsvorstand. „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass viele in unserer Gesellschaft Toleranz mit zwei L schreiben“, dass man alles „toll“ finde. Grenzen sind seiner Meinung nach wichtig. Es gebe eine zunehmende Zahl unter den rund vier Millionen Muslimen in Deutschland, die eine Interpretation des Islam lebten, die einer grenzenlosen Toleranz aus seiner Sicht entgegen stünden. In den vergangenen zwei Jahren habe sich die Zahl der Salafisten in Deutschland verdoppelt. Mehr als 1.000 Salafisten würden derzeit als „gewaltbereit“ eingestuft. „Denen gegenüber kann ich nicht tolerant sein“, erklärte der CSU-Politiker. „Ich habe die große Befürchtung, dass wir in eine zunehmende Beliebigkeit verfallen und dass deshalb Toleranz von vielen falsch verstanden wird.“

Absolutheitsansprüche aufgeben

Nach Ansicht der Bündnis 90/Die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch, Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), berge jede Religion das Potential für Gewalt und Extremismus. Jarasch bemängelte, dass insgesamt das Wissen über Religion stark zurückgegangen sei und appellierte dafür, „das Wissen über die Religionen wieder zu stärken“. Religionsfreiheit bedeute auch, „verrückte Überzeugungen“ haben zu dürfen. Die Politik dürfe nicht die Anliegen derjenigen aus dem Auge verlieren, die keiner Religion angehören. Martin Thurner, Vorsitzender im Stiftungsrat der Eugen-Biser-Stiftung, sagte, „unsere Kompetenz im interreligiösen, im interkulturellen Bereich ist noch sehr schwach ausgebildet“. Eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft sei, in diesem Bereich Lehrer und Pädagogen fit zu machen. Thurner sieht darin eine dringende Aufgabe, von der auch die Zukunft unsere Gesellschaft abhängig sein wird. Der Theologe appellierte dafür, nach gemeinsamen Werten in allen Religionen zu suchen. Auch der Islam vertritt nach Thurners Auffassung beispielsweise die Unverletzbarkeit der menschlichen Würde und reihe sich ein in die Tradition der christlichen und jüdischen Tradition. „Die Religionen sollen von ihren Absolutheitsansprüchen Abstand nehmen“, erklärte Thurner. „Wir müssen Abstand von dem Gedanken gewinnen, dass die eigene Religion das absolute Allheilmittel für alles ist.“ Hintergrund der Diskussion ist das Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration vom April 2016. Das Gutachten zeigt unter anderem, welche Bedeutung die Religion für das tägliche Leben der Menschen hat. Demnach wird der Einfluss der Religion, beispielsweise bezüglich der Teilhabe am Arbeitsmarkt, sowohl positiv als auch negativ überschätzt. Unter dem Titel „Viele Götter, ein Staat: Religiöse Vielfalt und Teilhabe im Einwanderungsland“ kommen die Gutachter zu dem Schluss: „Die Religionsgemeinschaften tragen besondere Verantwortung bezüglich der Interpretation der Glaubensinhalte; diese sollten den Gläubigen ermöglichen, sich in einer religiös pluralen und säkularen Gesellschaft zurechtzufinden, ohne immer wieder in Glaubenskonflikte zu geraten.“(pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/paedagogik/detailansicht/aktuell/bianca-duemling-fuer-lehrstuhl-migration-integration-interkulturalitaet-berufen-959/
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/staatsministerin-gruetters-demokratie-braucht-barmherzige-menschen-96191/
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