Nach dem Tod ist Leben

Für die einen sind es Halluzinationen, die das Gehirn einem Sterbenden vorspielt, für die anderen ein faszinierender Blick auf ein Leben nach dem Tod. Dem Phänomen Nahtod-Erlebnisse geht eine sehenswerte Dokumentation des Medienprojektes Wuppertal angenehm unaufgeregt auf den Grund. Eine Filmkritik von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Die DVD „Hinterher ist alles anders“ umfasst Interviews mit Nahtoderfahrenen. Dazu gibt es zwei weitere DVD’s mit ausführlicheren Interviews
Das Medienprojekt Wuppertal realisiert Medienprojekte mit Jugendlichen nach dem Motto „Jugendliche klären Jugendliche am besten auf“. Die Filme – Reportagen, Spielfilme oder Animationen – werden als Bildungsmittel bundesweit vertrieben. Nun erschien in der Reihe eine Dokumentation mit dem Titel „Hinterher ist alles anders“. Die Filmemacher haben mehrere Personen interviewt, die ein Nahtod-Erlebnis hatten. Der Hauptfilm zeigt drei Interviews mit Frauen, die nach eigener Aussage einen Blick hinter den Tod erhaschen konnten, sowie ein Gespräch mit dem niederländischen Nahtod-Forscher Pim van Lommel. Auf zwei weiteren DVDs finden sich neun ausführlichere Interviews mit Frauen und Männern mit Nahtoderfahrungen. Für jeden, der sich tiefer mit der Materie beschäftigen möchte, für den gibt es im Bonusmaterial Experteninterviews mit einem Theologen, einem Neurologen und einer Philosophin. Wer sich die Interviews mit den einmal Verstorbenen ansieht, erlebt jedes Mal ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst ist da meistens der schreckliche Bericht einer Krankheitsgeschichte oder eines Unfalls. Doch kurz darauf folgt dann die begeisterte Beschreibung eines wunderschönen Zustandes außerhalb des Körpers, in den sich die Betroffenen wieder zurück wünschen. Laut Studien hatten vier Prozent der Bevölkerung eine Nahtoderfahrung, das sind hochgerechnet für Deutschland 3,3 Millionen Menschen. Erstaunlicherweise ähneln sich die Nahtod-Berichte zahlreicher Menschen auf der ganzen Welt. Auch auf der DVD „Hinterher ist alles anders“ sind die Überschneidungen der Berichte frappierend. Fast alle berichten von einem Glücksgefühl beim Verlassen des Körpers (ihrer „Hülle“), von einem hellen Licht, auf das sie sich zubewegten, und fast alle empfanden eine bedingungslose universelle Liebe. Viele berichten von dem Gefühl, „zu Hause“ angekommen zu sein.

Aufgehen in Licht und Liebe

Im Hauptfilm kommen drei Frauen zu Wort, deren Leben sich nach dem Nah- oder Nach-Tod-Erlebnis radikal änderte. Eine junge Frau, die mit ihrem Auto verunglückte, sagt: „Alles, was wir hier immer suchen, sei es im Hausbau, beim Partner, Kinderkriegen, das war plötzlich da. Ich dachte: Von hier kommst du wahrscheinlich auch.“ Ihr sei jedoch klar geworden, dass es zu früh sei zum Sterben. Offenbar hatte sie einen Einfluss auf diese Entscheidung, denn sie konnte nach eigenem Willen zurück in ihren Körper schlüpfen. Eine andere Frau starb an einer Thrombose, und sie berichtet davon, nach dem Tod mit allem Sein verschmolzen gewesen zu sein. „Ich hatte das Gefühl für ‚Ich‘ verloren – und das war schön.“ Sie befand sich nach dem Tod in einem Schlosssaal mit bodentiefen Fenstern, berichtet sie. „Durch die Fenster kam Sonnenlicht herein, das viel heller war als die Sonne. Es wurde gesungen, das kam aus dem Licht. Das war viel schöner als die Musik, die ich kenne.“ Nach dem Zurückkommen litt sie vor allem darunter, nicht mehr „Teil von dem Du“ sein zu können, wie sie sagt. Keiner der Interviewpartner bezieht die Erlebnisse direkt auf Gott oder auf biblische Beschreibungen des Himmels. Manche sagen offen, nicht an Gott zu glauben, andere haben – der Hausdekoration nach zu urteilen – offenbar einen Hang zum Buddhismus. Doch allen gemeinsam ist die Überzeugung, dass das Leben nach dem Tod nicht nur nicht zu Ende ist, sondern noch viel schöner wird. Alle scheinen nach dem Erlebnis eine spirituelle Ader gefunden zu haben. Eine Frau berichtet sogar, danach etwas „lockerer“ in ihrem Körper zu sitzen und den Körper danach noch einmal „aus Versehen“ verlassen zu haben. Eine Nahtoderfahrene sagt explizit, den Heiligen Geist in Form einer Taube gesehen zu haben. Ansonsten bleiben die Berichte losgelöst von irgendeiner Religion. Der Interviewer scheint aber auch nicht explizit danach gefragt zu haben. Pim van Lommel, ein Kardiologe, der Nahtoderfahrungen erforscht hat, stellt sich gegen die Ansicht, eine Nahtoderfahrung sei eine Halluzination, die das sterbende Gehirn bei Sauerstoffmangel dem Sterbenden vorgaukelt, vielleicht um ihm das Sterben zu erleichtern. Auf die kritische Frage des Interviewers, ob denn alle diese Erfahrungen letztendlich nicht einfach auf Gehirnströme zurückzuführen und daher vollständig physikalischer Natur seien, sagt van Lommel: Alle Wahrnehmungen gingen ja über das Gehirn, doch das Bewusstsein sei nicht notwendig abhängig von einem Körper. „Man sagt: ‚Ich habe einen Körper‘, aber: ‚Ich bin Bewusstsein‘“. Vögel könnten viel mehr wahrnehmen als Menschen, daher gelte: „Der Körper beschränkt uns eher in der Wahrnehmung.“

Radikal anderes Leben nach dem Nahtod

Viele der Interviewten berichten, an dem Ort, an dem sie sich befanden, den sie jedoch nicht genauer definieren können, plötzlich eine allumfassende Weisheit und Wissen über die Welt verspürt zu haben. Doch auch wenn fast alle von Licht, Liebe, Frieden berichten, konnten sich die Filmemacher offenbar nicht dazu durchringen, der DVD den Titel „Nach dem Tod ist alles besser“ zu geben. Egal, wie man zu Nahtod-Berichten steht, der Film behandelt das Thema angenehm unaufgeregt und kann skeptische Menschen fair an das Thema heranführen. Auch wer die transzendente Dimension der Nahtod-Berichte ausblenden möchte, die porträtierten Menschen können in ihrer neu gewonnenen Lebensfreude und mit ihrem gelassenen Blick auf den Tod ansteckend sein. Die junge Frau, die einen Autounfall hatte, kann von sich sagen, nach ihrem Unfall erst richtig das Leben gelernt zu haben – trotz Rollstuhl und Querschnittslähmung. Sie sagt: „Wir wissen alle nicht, wann unser Leben abgelaufen ist. Und bis dahin möchte ich alles, was mich am Leben fasziniert, erlebt haben.“ Ein Katholik berichtet, wie die Nahtod-Erfahrung seine Prioritäten im Leben radikal umgeworfen hat. Er habe sich eine Visitenkarte drucken lassen, erzählt er, darauf steht: „Es macht keinen Sinn, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein.“ Im ebenfalls sehenswerten Bonus-Material sagt eine Frau im Interview, es mache sie traurig, wenn so viele Menschen hinter dem Tod nichts als Leere vermuten. Das sei ja wie eine bedrohliche Wand, die mit dem Alter immer näher komme. Für sie steht fest: „Tod bedeutet Leben. Ich war noch nie lebendiger als in der Zeit, wo ich tot war.“ (pro)

„Hinterher ist alles anders“, Eine Dokumentation über Nahtoderfahrungen, 2015, 90 Minuten (plus 330 Min. Bonus), 30,- Euro, Ausleihe 10,- Euro, freigegeben ab 0 Jahren

https://www.pro-medienmagazin.de/film/detailansicht/aktuell/bestseller-90-minuten-im-himmel-wird-verfilmt-91391/
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https://www.pro-medienmagazin.de/film/detailansicht/aktuell/nach-dem-tod-ist-vor-dem-tod-87837/
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