Wer denkt in meinem Gehirn?

Sind wir mehr als unser Gehirn? Und wenn unser Gehirn alles ist, haben wir dann überhaupt einen freien Willen? Die britische Neurowissenschaftlerin Sharon Dirckx behandelt diese Frage aus christlicher Sicht und kommt zu dem Schluss: Unser freier Wille deutet darauf hin, dass es Gott gibt. Eine Rezension von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Sind wir nur das, was in unserem Gehirn passiert? Oder haben wir auch einen Geist, der darüber hinaus existiert? Diesen Fragen geht die gläubige Neurowissenschaftlerin Sharon Dirckx in ihrem Buch nach.

Das Buch „Ich denke, aber ich bin mehr. Identität zwischen Neurowissenschaft und Schöpfungsglaube“ von Sharon Dirckx erschien bereits vor zwei Jahren auf Englisch unter dem Titel „Am I Just My Brain?“. In Deutschland kommt das Buch nun beim Verlag SCM R. Brockhaus in einer Übersetzung auf den Markt. Die Autorin ist Biochemikerin, sie promovierte an der Universität Cambridge mit einer Arbeit zur Gehirnforschung, genauer zur funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT). Dirckx ist aber auch gläubige Christin und arbeitet für das christliche „Zacharias Institut für Wissenschaft, Kultur und Glaube“. Diese Organisation wurde vom 2020 verstorbenen kanadisch-amerikanischen Apologeten Ravi Zacharias gegründet mit dem Ziel, Fragen der Wissenschaft und des Glaubens miteinander zu verbinden.

Dirckx Buch befasst sich mit den wichtigsten Fragen, die im Zusammenhang mit dem Thema Glaube und Gehirn diskutiert werden. Sie geht von der einfachsten und zugleich faszinierendsten Frage nach dem Bewusstsein aus: Warum kann man überhaupt denken? Sind dafür wirklich nur die Neuronen verantwortlich, die zu Hunderttausenden sekündlich im Gehirn feuern? Ein Gehirn, dieses rund 1,5 Kilogramm schwere Fettgewebe, das zu 75 Prozent aus Wasser besteht, soll unser Ich ausmachen? Die rund 86 Milliarden Gehirnzellen, die etwa 20 Prozent der Körperenergie verbrauchen, sollen das sein, was Menschen über Jahrhunderte hinweg „Seele“ genannt haben?

Bei einer Christin wie Dirckx erwartet man, dass sie diese Fragen mit Nein beantwortet. Die Wissenschaftlerin behandelt etwa die drei wichtigsten Positionen dazu: „Harter Determinismus“, „Kompatibilismus“, und „Libertarismus“. „Sind wir Maschinen? Sind wir Seelen, die in einem Körper eingeschlossen sind? Oder sind wir eine Kombination aus allen dreien?“, fragt sie.

Der „Gotteshelm“ und Nahtoderfahrungen

Ob wir einen freien Willen haben, hängt unweigerlich mit der Frage zusammen, ob Menschen für ihr Tun überhaupt verantwortlich gemacht werden können. Und schon sind wir bei Moralität, und damit bei Religion. „Können Neurowissenschaftler Religion heute einfach wegerklären, weil sie herausgefunden haben, dass das Gehirn eine entscheidende Rolle bei Glaubens- und sonstigen religiösen Erfahrungen spielt? Ist Glaube einfach ein bestimmter Gehirnzustand, den nur Menschen mit passender Anatomie haben können?“

Dirckx erklärt die vielen Gedanken- und naturwissenschaftlichen Experimente, die zu dem Thema gemacht wurden – wenn auch nur rudimentär. Das Buch kann bei einem Umfang von nur 160 Seiten viele teilweise komplexere Versuche nur streifen. Doch die Autorin erklärt in Kürze etwa das berühmte Experiment zur Gedankenfreiheit von Benjamin Libet, den „Gotteshelm“ von Stanley Koren, der beim Träger mittels Magnetimpulsen religiöse Gefühle auszulösen scheint, spricht Nahtoderfahrungen an und beschreibt, wie man mit dem „Turing-Test“ und dem „Chinesischen Zimmer“ herausfinden will, ob man es mit einer Maschine oder einem Menschen zu tun hat. Und sie beantwortet die Frage: „Wenn mein Gehirn beim Beten aktiv wird, bedeutet das dann, dass sich alles nur in meinem Kopf abspielt? Dass die Begegnung mit Gott gar nicht real ist?“

Obwohl selbst Naturwissenschaftlerin, fällt der naturwissenschaftliche erste Teil ihres Buches eher oberflächlich aus. Sie nennt ihre Kapitel „Sind wir nur Maschinen?“ (Kapitel 3) und dann „Sind wir mehr als Maschinen?“ (Kapitel 4) und bleibt oft etwas redundant. Erst im zweiten Teil, wenn sie theologisch argumentiert, als ehemalige Skeptikerin, die dann gläubige wurde, wird ihre Argumentation stärker. Haben wir neben unserem Gehirn auch Geist? Diese Frage läuft bei Dirckx leider zunächst oft und überraschend trotzig auf die Behauptung hinaus: Alles andere wäre absurd! Sie schreibt: „Ein großer Teil meiner selbst besteht aus meinen den Blicken verborgenem Innenleben, Gedanken, Erinnerungen, Gefühlen und Entscheidungen, die sich nicht einfach mit elektrischer Spannung in den Zellen, Neurotransmittern und Durchblutungsänderungen einfangen lassen. ‚Du bist nur dein Gehirn‘: Es ist intuitiv klar, dass dieser Satz mein inneres ‚Ich‘ nicht erklären kann.“ Mit Intuition überzeugt man naturwissenschaftlich argumentierende Skeptiker aber eher selten.

Und auch wenn man schon seit Urzeiten im Sprachgebrauch Begriffe wie „Seelenverwandter“, „Soul Food“ oder „Queen of Soul“ (die Sängerin Aretha Franklin) benutzt, weist das keineswegs auf die tatsächliche Existenz einer Seele hin. Auch wenn Dirckx seitenweise griechische Philosophen zitiert, die von der Existenz einer Seele überzeugt waren, enttäuscht sie jeden, der sich von einer Neurowissenschaftlerin mehr wissenschaftliche Argumente erhofft hatte. Die alten Griechen waren schließlich auch von einer Vier-Elemente-Lehre überzeugt, aber deshalb würde sich heutzutage niemand mehr naturwissenschaftlich darauf berufen.

Freier Wille essentiell für den Menschen

Spannend wird Dirckx wieder bei der Frage: „Gibt es einen Ort im menschlichen Gehirn, der religiösen Aktivitäten und Gott zugeordnet ist?“ Sie beleuchtet, was Forscher dazu mittlerweile herausgefunden haben, und fragt: Könnte es ein „Gottesmodul“ im Gehirn geben, „das bei einem religiösen Menschen aktiv, aber bei Agnostikern, Atheisten und unreligiösen Menschen weniger aktiv ist?“ Sie kommt zu dem Schluss: Nein. „In welchem Maße die Aura als religiöse Erfahrung dargestellt wurde, hing vielmehr davon ab, woran der Patient schon vorher geglaubt hatte.“ Religiöse Aktivität lasse sich nicht auf einen einzelnen, isolierten Hirnlappen reduzieren, sondern bestehe aus einem ganzen Netzwerk. „Ebenso wie es kein ‚Gottes-Gen‘ gibt, gibt es auch kein ‚Gottes-Modul‘.“

Der freie Wille gehöre elementar zum Wesen des Menschen dazu, lautet das wichtigste Fazit der Autorin – wo auch immer er nun verortet ist (diese Frage kann selbstredend auch Dirckx nicht beantworten). Mut etwa bedeute, dass ein Mensch etwas tut, obwohl er auch anders handeln könnte, vielleicht etwas für ihn selbst Vorteilhafteres. Ein Mensch kann seinem Instinkt oder einem Impuls folgen – oder auch nicht. Darauf baut die gläubige Neurowissenschaftlerin ihr Plädoyer für den christlichen Glauben auf: Man kann sich entscheiden, ist nicht gebunden an ein chemisches Programm, das im Körper abläuft wie bei einem Roboter. Und dazu gehört auch die Möglichkeit, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.

Dirckx ist überzeugt: „Die größte Freiheit erfahren wir, wenn wir Jesus die Tür öffnen.“ In ihren Augen ist der Mensch geradezu darauf angelegt, seinen freien Willen zu entdecken und ihn auf die wichtigste Frage des Lebens auszurichten, die nach der Wahrheit des auferstandenen Christus. Und deswegen sei das Thema ihres Buchs – „Bin ich nur mein Gehirn?“ – auch essenziell wichtig, betont sie.

Sharon Dirckx: „Ich denke, aber ich bin mehr. Identität zwischen Neurowissenschaft und Schöpfungsglaube“, SCM R. Brockhaus, 160 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 3417241669

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