Göttlicher Horror

Der König der Horror-Geschichten hat am Donnerstag seinen 70. Geburtstag gefeiert. Stephen King zählt zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren. Dieser Tage läuft das Remake seines Gruselklassikers „Es" in den Kinos an und seine Romane verkaufen sich millionenfach. Darin geht es um dunkle Mächte, finstere Charaktere, blutige Verbrechen – und Jesus.
Von Anna Lutz
Stephen King zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Buchautoren. Am Donnerstag feierte er seinen siebzigsten Geburtstag.

Der Tag, an dem Charles Jacobs in seiner Kirche den Glauben öffentlich ablegt, markiert den Beginn seines Untergangs. Wenige Wochen zuvor sind Frau und Kind des Methodistenpastors bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seine Kirche wollte den erschütterten jungen Mann schonen, einen Gastprediger bestellen – doch Jacobs ergreift an diesem Sonntag das Wort. Er liest aus dem 13. Kapitel des Korintherbriefes, schlägt das Buch zu und bekennt, wie sehr er in den vergangenen Wochen nach der tröstenden Hand eines Retters gesucht hat: „Doch obgleich ich immer wieder auf die Knie gesunken bin, habe ich die Gegenwart Gottes nicht gespürt.“

Was nun folgt, nennt Stephen King in seinem Buch „Revival“ die „Furchtbare Predigt“. Er lässt seine Hauptfigur, die am Ende des Buchs die Hölle auf die Erde zu bringen versucht, Unglücke aufzählen: Autounfälle, Naturkatastrophen, Tode, die keinen Sinn ergeben, unerklärliches Leid. „Die Religion ist das theologische Gegenstück zu einer Versicherungspolice, deren Prämie wir Jahr für Jahr bezahlen, und wenn wir schließlich die Leistung in Anspruch nehmen müssen, für die wir so lammfromm gelöhnt haben, entdecken wir, dass die Firma, die unser Geld genommen hat, in Wahrheit gar nicht existiert.“ Mit diesen Worten nimmt der Pastor einem kleinen Jungen seinen Glauben. Er selbst verwandelt sich vom frommen, gutmütigen und liebevollen Kirchenmann zum rach- und selbstsüchtigen, bitteren Magier.

Das deutsche Cover dieses 53. veröffentlichten Romans des Königs Horror, wie King auch genannt wird, ziert ein von Blitzen umgebenes Kreuz. Deutsche Medien wie die Tageszeitung Die Welt veranlasste der offensichtliche Glaubensbezug des Buchs dazu, die Frage nach der Religion im Werk Kings zu stellen. Tatsächlich ist es verwunderlich, dass bisher wenig zum Thema publiziert wurde. Denn der christliche Glaube ist elementarer Bestandteil seiner Bücher.

Und das, obwohl der erfolgreichste aller Horrorautoren sich öffentlich selten zu seinem eigenen Glaubensleben äußert. Auf seiner Homepage findet sich lediglich die Aussage, dass er an Gott glaube, die Bibel lese und methodistisch erzogen worden sei. Die Kirche besuche er allerdings nicht mehr. Seine Frau Tabitha ist Katholikin, seine Tochter Naomi Pfarrerin in der als liberal geltenden Unitarian Universalist Association – und mit einer Frau liiert. Außerdem ist über King bekannt, dass er lange Zeit alkohol- und drogenabhängig war. Hilfe fand er damals bei den christlich begründeten Anonymen Alkoholikern – eine Erfahrung, die er in seinem ebenfalls erst kürzlich erschienenen Buch „Doctor Sleep“ verarbeitet. Dem Musikmagazin Rolling Stone sagte er dazu im vergangenen Jahr: „Ich habe mich dazu entschieden, zu glauben, dass Gott existiert, und deshalb kann ich sagen: ‚Gott, ich kann das nicht alleine tun. Hilf mir, heute keinen Drink zu nehmen. Hilf mir, heute keine Drogen zu nehmen.‘ Und das funktioniert gut für mich.“

„Mit Religion meint King das Christentum“

Einer der wenigen, die sich in Deutschland mit den christlichen Elementen in den Büchern Kings beschäftigt haben, ist Thomas Kolitsch. Der Deutsch- und Englischlehrer in Leipzig promoviert gerade zu diesem Thema im Fach Literaturwissenschaft. Er weiß: Die Frage nach Leid, Jesus Christus, Demut und Sühne, aber auch die Bigotterie mancher amerikanischer TV-Prediger – über das alles schreibt King, auch wenn es manchmal im Handlungsrahmen seiner oft blutigen und immer furchteinflößenden Geschichten in den Hintergrund tritt. Dass er solcherlei zu Papier bringt, bedeutet auch, dass die Welt es liest. Denn die Bücher des Amerikaners haben sich weltweit über 400 Millionen Mal verkauft und wurden in 40 Sprachen übersetzt. Jeder neue Roman erobert die Bestsellerlisten.

„Wenn King über Religion schreibt, meint er das Christentum“, sagt Kolitsch. So verarbeite er die religiöse Prägung seiner Kindheit, was unter anderem daran deutlich werde, dass die Bösen in seinen Büchern häufig Baptisten seien, die Guten hingegen normalerweise Methodisten – wie King es einst selbst war oder noch ist. Beispiele für Glaubensbezüge in den Geschichten des Autors kann Kolitsch zu Hauf nennen. Da wäre zum Beispiel die fanatisch religiöse Mutter im Erstlingswerk „Carrie“ aus dem Jahr 1974. Ihre streng religiöse Erziehung ist es, die aus der schüchternen Carrie White, die mit übernatürlichen Kräften begabt ist, eine jähzornige Mörderin macht.

Szene aus dem Film „Carrie Foto: Bandphoto
Szene aus dem Film „Carrie“

Denn Margaret White, ihre Mutter, war einst Baptistin, bis sie sich gemeinsam mit ihrem indes verstorbenen Mann von der Kirche abwandte, um sich einer fundamentalistischen Form des Christentums zuzuwenden. Sie versagt ihrer Tochter jegliche Aufklärung, sodass diese in der Schuldusche von ihrer ersten Periode überrascht wird und hysterisch reagiert. Das wiederum macht sie zum Gespött des Jahrgangs, der sie zuvor schon als „Betschwester“ verlachte. Als sie nach Trost suchend zu ihrer Mutter nach Hause kommt, hat diese nichts als Bestrafung im Sinn. Denn das Blut, so ihre Argumentation, zeige, dass ihre Tochter wie alle Frauen eine Sünderin sei. Zum Gebet und zur Einkehr sperrt sie sie wie so oft in eine Besenkammer unter der heimischen Treppe. Diese ist gesäumt von biblischen Bildern. „Sie war allein mit Mommas zornigem Gott“, heißt es im Buch, und weiter: „Das blaue Licht lag schummrig auf einem Bild, das einen riesigen bärtigen Jehova zeigte, der schreiend Massen von menschlichen Wesen durch wolkige Tiefen hindurch in ein Flammenmeer warf.“

Psalm 23 in der Todeszelle

Doch auch wenn „Carrie“ und „Revival“ es vermuten lassen: Das Christentum kommt bei King keineswegs immer negativ weg. „King schreibt oft über religiöse Eiferer, kurioserweise behalten sie am Ende oft Recht“, sagt Kolitsch. Das Motiv, blind Gottes Willen zu folgen, hätten viele seiner Charaktere gemeinsam, auch die Guten. „Am Ende macht die Demut den Unterschied“, sagt er. Denn weder Carries Mutter noch der ehemalige Pastor Charles Jacobs zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich selbst zurücknehmen können. Ganz anders ist es bei den Hauptfiguren im umfangreichsten Buch Kings: „The Stand – Das letzte Gefecht“, das vier Jahre nach „Carrie“ erschien.

Der apokalyptische Roman erzählt vom Ende der Menschheit und einem letzten Kampf zwischen Gut und Böse – oder, wenn man so will, zwischen dem Teufel und Gott. Eine Seuche rafft nahezu alle Menschen dahin, lediglich einige Resistente überleben. Der eine Teil von ihnen sammelt sich, von Träumen geleitet, um eine schwarze, alte Frau namens Mutter Abagail, die ihrerseits Visionen von Gott empfängt. Die auf einer Farm in der Natur der mittleren USA lebende Frau repräsentiert das pure Gute. Sie liest und zitiert die Bibel. Ganz im Gegensatz zu Randall Flagg, dem Stellvertreter des Teufels im letzten Gefecht um die Erde. Er sammelt seine Jünger, allesamt ehemalige Straftäter, Gauner und Banditen, im Sündenpfuhl Las Vegas um sich, allein mit dem Ziel, Mutter Abagail und das letzte verbliebene Gute der Welt auszulöschen. Seine Gegner lässt er öffentlich kreuzigen.

Am Ende schickt Abagail vier Männer aus der Gemeinschaft nach Las Vegas – den Jüngern in der Bibel gleich, nur mit dem, was sie am Leibe tragen. „Ich weiß nicht, ob es Gottes Wille ist, dass ihr ihn besiegt“, sagt sie. Aber: „Ihr werdet gehen, und ihr werdet nicht verzagen, denn ihr könnt euch auf des Herrn starken und ewigen Arm stützen. Ja. Mit Gottes Hilfe werdet ihr bestehen.“ Bezeichnend ist auch eine Szene der Verfilmung des Bestsellers, die die Männer kurz vor ihrer Hinrichtung durch Flagg in ihren Zellen zeigt. Gemeinsam beten sie Psalm 23, bevor sie zum Schafott geführt werden, wo Gott letztendlich eingreifen und alles zum Guten führen wird. Kolitsch findet solcherlei Szenerie häufig in Stephen Kings Büchern. Oft zeige der Autor Menschen als von Gott beauftragt; zugleich aber litten diese unter ihrer Berufung.

In der Verfilmung von „The Green Mile“ spielt Michael Clarke Duncan den Häftling John Coffey Foto: United Archives/IFTN
In der Verfilmung von „The Green Mile“ spielt Michael Clarke Duncan den Häftling John Coffey

Was zu der Figur in Kings Büchern führt, die wohl am meisten an Jesus erinnert: John Coffey, jenem zu Unrecht zum Tode Verurteilten aus dem Buch „The Green Mile“, das 1999 mit Hollywood-Star Tom Hanks in der Hauptrolle verfilmt wurde. Coffey, dessen Initialen sicher nicht zufällig JC lauten, hat die Fähigkeit, Menschen zu heilen. So befreit er den von Hanks gespielten Wärter im Todestrakt, Paul Edgecomb, von einer Blasenentzündung, belebt eine tote Maus wieder und besiegt sogar den Krebs einer eigentlich todgeweihten Frau. Als Edgecomb ihm daraufhin vorschlägt, ihn einfach laufen zu lassen, lehnt der zwei Meter große Afroamerikaner ab. Er sehne sich nach dem Tod, da er das Leid der Welt nicht mehr ertragen könne, erklärt der Verurteilte. So wird er am Ende genau wie Jesus unschuldig hingerichtet. Und wie im Falle des Religionsstifters ist dem Ausführenden dessen Unschuld bekannt – hier ist es Edgecomb, in Jesu Geschichte Pilatus. King lässt den Wärter schließlich sagen, dass er eines der großen Wunder Gottes getötet habe.

„Ich frage mich immer, was diese religiösen Erzählungen mit den Lesern Kings machen“, sagt Kolitsch. „Erkennen sie die spirituelle Komponente? Oder geht das an ihnen vorbei?“ Zumindest für jene, die sich mit King und der Bibel auskennen, dürften die Bezüge augenscheinlich sein. Und das ausgerechnet beim Meister des Grauens. (pro)

Von: al

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