Die Frage nach der Natur von Freiheit

Colson Whitehead hat mit „Underground Railroad“ einen Roman vorgelegt, der einen Blick tief in die Seele der amerikanischen Nation wirft, in ihre Biographie und Historie. Fast schon nebenbei geht er der Frage auf den Grund, wie unser Begriff von Freiheit immer auch von unseren Erfahrungen geprägt ist. Eine Rezension von Marcus Hübner
Von PRO
Der Theologe Marcus-B. Hübner rezensiert für pro künftig Bücher

Man könnte meinen, die Menschen wüssten, was Freiheit ist. Spätestens seitdem uns Mel Gibson mit blauem Gesicht zugerufen hat, dass die Engländer uns „unser Leben nehmen [mögen], aber niemals nehmen sie uns unsere Freiheit“. Spätestens seit wir uns an unseren Kinosesseln festkrallen mussten, um nicht enthusiastisch hinter Aragorn her auf das schwarze Tor zu zu rennen, zur Verteidigung der freien Völker Mittelerdes, und zur Ehrenrettung der Menschen des Westens. Man könnte meinen, wir Menschen wüssten, was Freiheit ist. Aber ganz so einfach ist das mit der Freiheit auch nicht.

Als Martin Luther seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ verfasst, beginnt er seinen Text mit dem widersprüchlichen Gedanken, dass Christen gleichsam freie Menschen und niemandem Untertan und Sklaven aller und jedermann Untertan sind.

Der amerikanische Autor Colson Whitehead hat sich des Themas Freiheit angenommen. In seinem Roman Underground Railroad, für den er in diesem Jahr den renommierten Pulitzer Preis gewonnen hat, und das nun auch endlich auf Deutsch erscheint, geht er der Frage nach Freiheit im historischen, amerikanischen Kontext hat und verortet die menschliche Freiheit in seiner Geschichte.

Wie „Unterwegs“, nur bedrückender

In dem Buch verfolgen wir die Geschichte von Cora, einer Sklavin in den Südstaaten. Geboren in Unfreiheit, als Besitzer brutale Plantagenbesitzer, steht ihr Leben unter keinem guten Stern. Bis sie die Flucht wagt, um sich mit ihrem Freund Caesar mithilfe der sogenannten „Underground Railroad“ – zu Deutsch: Untergrundbahn – von Georgia aus nach Norden durchzuschlagen. Von diesem Moment an handelt es sich um einen Reiseroman. Dabei erinnert er in einer zynischen Art an Jack Kerouacs Unterwegs, der das Freiheitsgefühl einer ganzen, weißen US-amerikanischen Generation geprägt hat. Ähnlich wie Kerouac bedient sich Whitehead in seinem Werk einer schlichten Sprache. Dabei passt er sich dem Erfahrungsraum seiner Figuren an, was zu skurrilen bis bedrückenden Situationen führt.

„Cora wusste nicht, was optimistisch bedeutete. […] Sie kam zu dem Schluss, dass es bemüht hieß.” (S. 128)

Bedeutend ist, dass Whitehead aus der Underground Railroad, die seinem Roman den Namen gibt, eine wirkliche Eisenbahn macht. Unter dem Begriff wird in der Geschichtswissenschaft ein Netzwerk von Sklavengegnern verstanden – sowohl geflohene ehemalige Sklaven als auch weiße Abolitionisten – das bei der Flucht von den Plantagen des Südens geholfen hat. Dabei ist bedeutend, dass niemand alle Schritte des Netzes kannte; jede Station wusste immer nur, welches der nächste Schritt war. Als Code verwendete man damals Begriffe aus dem Eisenbahngeschäft wie „Schaffner“ und „Lokführer“, was dem Netzwerk zu seinem Namen verhalf.

Im Roman nun fahren Cora und ihr Freund Caesar mit einer wirklichen Eisenbahn durch die Vereinigten Staaten, immer mit der Hoffnung auf „den Norden“ im Herzen.

Freiheit als soziales Konstrukt

Wenn wir uns als Christen unserer Befreiung rühmen, einem Freisetzen durch den Geist Gottes nachjagen, sollten wir uns die Zeit nehmen, unsere Vorstellung dieses Konzeptes zu verstehen. Dass unsere Vorstellung von diesem Begriff, und dem Konzept dahinter, nicht deckungsgleich sein kann mit unseren Vorgängern – mit dem Volk Israel, das aus der Sklaverei befreit wurde; mit den Aposteln, die für ihre Verkündigung des Evangeliums Gefängnis und sogar Tod in Kauf nehmen mussten – sollte keiner Erwähnung bedürfen.

Whiteheads Roman lenkt den Blick des Lesers auf die eigene Biographie – und weit über die Geburt hinaus in die Geschichte. Exemplarisch dafür steht die erste Station Coras, in der sie erstaunt feststellen muss, nun nicht mehr Eigentum des Plantagenbesitzers zu sein, dafür aber Eigentum der Vereinigten Staaten. Nervös nachfragend bekommt sie die Antwort, dass es sich nur um eine Formalität handle – sie dürfe nun alle Freiheiten einer afroamerikanischen Frau genießen: sogar Bildung!

Das eigene Besitzverhältnis – eine Formalität

Was diese Aussagen mit der eigenen Vorstellung von Freiheit machen, ist nur schwer vorstellbar für einen Mitzwanziger der Generation Y, aufgewachsen mit der scheinbar grenzenlosen Freiheit des Internets und einer global-vernetzten Welt. Ganz anders wird es eine Bürgerin der ehemaligen DDR wahrnehmen, der die Freiheit vorgeschrieben wurde, solange sie Mitglied der Partei war. Cora lernt die Freiheit, langsam – ob sie jemals bei einem endgültigen Verständnis anlangt bleibt fraglich.

„Wieder schob sie den Gedanken an die Plantage von sich. Allmählich gelang ihr das besser. Aber ihr Verstand war hinterhältig, tückisch.“ (S.116)

Die Aufklärung hat die Befreiung des Menschen „aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ als einen Paukenschlag verstanden: der Schritt hinaus in die Freiheit ist ein einmaliges Erleben, das die ganze Wahrnehmung ändert.

Die christliche Tradition gibt uns eine ähnliche Vorstellung, wenn sie die Freiheit als etwas versteht, dass uns von außen zugetragen wird (Gal 5,1 u.a.). Whitehead stellt diese Vorstellung von Freiheit nicht grundsätzlich auf den Kopf, gibt uns aber allen Grund, noch einmal darüber nachzudenken. Auch Cora trifft einmal die Entscheidung zur Flucht, in die Befreiung hinein – unter Aufwendung ihres Lebens, und unter dauerhafter Todesgefahr von dort an.

Doch an dem Punkt beginnt erst der wichtigere Kampf: das Lernen, für sich selbst, und über Jahrhunderte hinweg, was Freiheit eigentlich bedeutet; eingeprügelt durch Generationen von rassistischen Verbrechern, dass sie Freiheit gar nicht verstehen, weniger noch aushalten kann, ist der Weg kein einfacher. Aber sicher einer, der es Wert ist zu gehen.

Underground Railroad ist ein packender Roman; seine Geschichte ist flüssig erzählt und mitreißend. Die Gewaltdarstellung im Buch ist oft sehr drastisch, ist aber der Thematik angemessen. Alles andere wäre ignorant gewesen. Gerade für Christen ist die Beschäftigung mit der Thematik der Sklaverei eine Unumgänglichkeit; die Aufarbeitung der Schuld, die sich christliche Denominationen in dieser Frage aufgeladen haben, ist alles andere als abgeschlossen.

Whiteheads Roman bietet darüber hinaus die Möglichkeit, sich mit der Frage nach der Natur von Freiheit im Allgemeinen auseinander zu setzen. Der Apostel Paulus schreibt: „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17; Lut2017). Und legt damit den Grundstein für das Nachdenken über Freiheit. Aber das Nachdenken, der Prozess, Freiheit zu verstehen, ist mit dem Moment der Befreiung nicht abgeschlossen: er beginnt dort erst. (pro)

Marcus-B. Hübner - Theologe aus Berufung, Buchliebhaber aus Leidenschaft. Nach einem Theologiestudium an der FTH Gießen (M.A.) bin ich nun Pastor im Vikariat in der Arche Flensburg, die zum Mülheimer Verband freikirchlich-evangelischer Gemeinden gehört. Nebenher schreibe ich seit Jahren regelmäßig Rezensionen auf meinem Blog; und nun auch für pro Online. Foto: privat
Marcus-B. Hübner – Theologe aus Berufung, Buchliebhaber aus Leidenschaft. Nach einem Theologiestudium an der FTH Gießen (M.A.) bin ich nun Pastor im Vikariat in der Arche Flensburg, die zum Mülheimer Verband freikirchlich-evangelischer Gemeinden gehört. Nebenher schreibe ich seit Jahren regelmäßig Rezensionen auf meinem Blog; und nun auch für pro Online.

Von: Marcus-B. Hübner

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