„Instrumente zu bauen, ist eine Art Gottesdienst“

Die persönliche Begegnung ist Martin Schleske sehr wichtig. Eine Geige oder ein Cello würde er für einen Musiker niemals „auf Entfernung“ bauen. Er muss den Musiker kennenlernen, mit ihm sprechen, und vielleicht gelingt es ihm ja, in seine Seele zu schauen. Denn nur so kann er den richtigen Klang, das passende Instrument für ihn finden. Ein Besuch im Atelier des Geigenbauers.
Von PRO
Für den Geigenbauer und diplomierten Physiker Martin Schleske wird die Arbeit oft zur Schatzkiste voller philosophischer und theologischer Erkenntnisse
Wer Martin Schleske in seinem Handwerkerkittel, mit seinen großen Händen und mit seiner flachen Mütze auf dem Kopf trifft, lernt einen Mann kennen, der viel mehr ist als ein Geigenbauer. Ein Philosoph, ein Physiker und ein Theologe sitzen gleichzeitig am Tisch im Geigenbau-Atelier in Landsberg am Lech. Es dauert nicht lange, und man bewegt sich im Gespräch bereits tief in den philosophischsten Gedanken, die vordergründig eigentlich gar nichts mit dem Handwerk zu tun haben – dann aber eben doch. Bei Martin Schleske gehört ohnehin alles irgendwie zusammen. Der Schöpfergott und die Arbeit mit Holz, das Wort eines jüdischen Gelehrten hier, die vorchristliche, hinduistische Veda dort, die Unbestimmbarkeit in der Quantenphilosophie und die Benediktsregel. Der Glaube ist für ihn nicht in religiöse Doktrinen eingezwängt. Das wäre das Letzte. Aber lebendig wirkt dieser Glaube. Und begeisterungsfähig. Gerade weil alles mit allem zusammenhängt. So ist die Tätigkeit des Geigenbaus für Schleske eine Schatzkiste voller Weisheiten, die er für sich entdeckt. Vor sechs Jahren fasste er einige der Gleichnisse von der Werkbank in einem Buch zusammen mit dem Titel „Der Klang: Vom unerhörten Sinn des Lebens“. Vor Kurzem ist sein zweites Buch im Verlag adeo erschienen. Es heißt „Herztöne: Lauschen auf den Klang des Lebens“. Zudem wird Schleske immer wieder eingeladen, über seine Philosophie des Geigenbaus zu sprechen. Denn was dieser über den Menschen und sein Verhältnis zu Gott sagen kann, ist erstaunlich.

Weisheit aus dem Geigenbau

Eines Tages, schreibt Schleske, arbeitete er in seiner Werkstatt an einer Geige, merkte aber, dass die Schneide schon etwas stumpf war. Eigentlich wäre nun das Schleifen des Werkzeuges dran gewesen. Doch das kostet immer etwas Zeit. Und so dachte sich der Geigenbauer: „Es reicht schon noch.“ Was daraufhin geschah, beschreibt Schleske in seinem Buch so: „Dieser Moment war wie ein innerer Blitzeinschlag. Es war, als würde Gott mir unmittelbar ins Herz sprechen, und die einfache Frage stellen: ‚Was hast du da gerade gesagt?‘“ Eine tiefe Traurigkeit ergriff den Handwerker über diese Erkenntnis. Sie schien vom Schöpfer selbst zu kommen. „Wie oft höre ich diesen Satz von euch! Ich möchte euch schärfen, aber ihr sagt: ‚Es reicht schon noch!‘“ Im Buch erläutert Schleske, was für ihn dieser Moment bedeutete: „Der Satz ‚Es reicht schon noch‘ ist ein Herzensgedanke des Menschen. Wir spüren eine Abgestumpftheit, aber anstatt uns schärfen zu lassen, sprechen wir uns diesen fatalen Satz ins Herz.“ Wer sich nicht immer wieder die Zeit nimmt, sein Herz von Gott schärfen zu lassen, dem werde die Arbeit immer schwerer fallen, so Schleske. Denn mit stumpfem Werkzeug kann auch der beste Handwerker nicht gut arbeiten. Dass wir stumpf werden bei unserer Arbeit, verletzt werden von anderen, gehöre zum Leben dazu. Schlimm aber sei es, wenn wir uns nicht schärfen lassen. Schon im Alter von 17 Jahren wurde Schleske klar, wie viele Gleichnisse im Geigenbau für den Menschen stecken, für das Leben, für den Glauben und für das gemeinsame Leben.

Zum Geigenbau gehört die Stille

Das Atelier, das pro Jahr rund 20 Instrumente verlassen, darunter vor allem Geigen, aber auch Bratschen und Celli, liegt mitten in der Altstadt des malerischen Ortes Landsberg am Lech, im Grenzgebiet zwischen Bayern und Schwaben. „Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte die Stadt eigentlich auch bombardiert werden, doch amerikanische Soldaten signalisierten mit weißen Fahnen, dass die Flugzeuge hier lieber einen Bogen fliegen sollten“, weiß Schleske. Der breite, grün schimmernde Lech rauscht durch die mittelalterliche Stadt, die für Touristen wie gemacht zu sein scheint. Die Geigenbaumeisterei liegt direkt am Platz vor der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, deren Kern aus dem 15. Jahrhundert ist. Müsste ein Filmemacher eine solche Werkstatt in Szene setzen, er würde sie wahrscheinlich an genau so einen Ort verlegen. In dem Haus, in dem sie sich befindet, lebten immer wieder Geistliche der umliegenden Kirchen, hat Schleske recherchiert. Es ist ihm wichtig, welchen Geist die Räume atmen. Er ist ohnehin fasziniert von den unterschiedlichen christlichen Ordensgemeinschaften. Direkt unterm Dach hat sich Schleske einen Rückzugsraum geschaffen, ein weites, rustikales Zimmer, das uralte Holzbalken durchqueren. Darin stehen nur ein Tisch für Bücher und Schreibzeug und ein anderer, auf dem nichts als eine Geige liegt. Eine Ikone leuchtet von der Stirnwand, angestrahlt von einem warmen Licht. Sonst gibt es nicht viel in diesem Raum, der zum Beten, Meditieren – und Bücherschreiben – geradezu auffordert. Es scheint ein Lieblingsort Schleskes zu sein. Hier zieht es ihn immer wieder wie magnetisch hin, und er strahlt, wenn er von seinen stillen Zeiten hier spricht. Allein von der Ikone, die er, oder besser: die ihn in Jerusalem fand, könnte er stundenlang erzählen. Oder von Paramahansa Yogananda, einem indischen Gelehrten, bei dem Schleske viel erbauende Weisheit findet, auch für seinen christlichen Glauben.

Gnade mit dem Holz und mit Menschen

„Eine Voraussetzung für den Geigenbau ist es, dass man die Stille liebt“, sagt Schleske. Denn nur, wer das Geräusch des Werkzeuges höre, wie es über das Holz streicht, oder die bloße Hand, die den zukünftigen Geigenkorpus abklopft und abtastet, erfahre vom Holz, was zu tun sei. „Nicht das Holz wird mir gerecht, sondern ich werde dem Holz gerecht“, das hat für Schleske eine zentrale Bedeutung. „Ich achte auf die Abhölzigkeit, auf den Drehwuchs, auf den Faserverlauf.“ Er unterwirft das Holz nicht seinem starren Plan, sondern passt sich an das Holz an. Diese fundamentale Erkenntnis überträgt Schleske auch auf den Umgang mit Menschen. „Ich lege hier keine Schablonen drauf und zwinge jedes Holz in die gleiche Art. Das wäre Religiosität, tote Religion, die nur das Dogma kennt: ‚So muss es sein!‘“ So sieht er sich selbst auch nicht als Konstrukteur, sondern vielmehr als Schöpfer – von Instrumenten. Und auch Gott sei kein Konstrukteur, sondern ein Schöpfer, das sei ein bedeutender Unterschied. „Ein Konstrukteur hat ein Ziel im Kopf, und er muss seinen Plan allem aufzwängen. Doch damit tötet er alles, was er anfasst“, sagt Schleske. Ein Schöpfer hingegen höre auf das Gegebene, habe Gnade mit Fehlern und könne mit einem Blick der Liebe auf das Geschöpf nur feststellen: „So ist das also bei dir. Wie kann ich dich zum Klingen bringen?“ Demnach seien wir alle noch mitten drin im großen Schöpfungsakt Gottes. So wie ein Geigenbauer an der bestmöglichen Geige für einen bestimmten Musiker arbeitet. Wer sich Zeit nehme, auf das Gegebene – das Holz oder die Eigenschaften und Persönlichkeit eines Menschen – zu hören, sich auf dessen ganz individuelle Eigenheiten, seine Fasern einzulassen, könne einen Menschen zum Klingen bringen. Und nicht etwa ihn benutzen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Auch auf den Glauben kann Schleske das beziehen: Wir sind nicht auf der Welt, um unsere starren Glaubensvorstellungen möglichst vielen Menschen überzustülpen, sondern andere Menschen von dem zu überzeugen, was das eigentliche Ziel sein muss: Auch im Gegenüber eine Sehnsucht zu erzeugen nach dem, was göttlich ist. „Die Weisheit, die mit uns eine Begegnung und Kommunikation sucht, nennt das Neue Testament Heiliger Geist.“ Ist das nicht das Gegenteil von Perfektionismus? „Ganz genau“, Schleske strahlt. Der Perfektionist habe eine Schablone, und die übertrage er auf alles, was ihm begegnet. Anstatt sich auf das Gegenüber individuell einzulassen und hinzuhören, sei ihm sein eigenes Welt-, Menschen- oder Gottesbild viel wichtiger. Im Grunde sei das egoistisch und habe mit Harmonie nicht viel zu tun. Aber wenn Gott ein Orchester schaffen wolle mit vielen Instrumenten, dann habe er offenbar nicht so sehr perfekte Instrumente im Sinn, sondern die passenden.

Die Hände sind Worte des Gebetes

Somit will Schleske auch nicht mehr Antonio Stradivari kopieren. In seiner „Goldenen Periode“ war dieser große italienische Geigenbaumeister zwischen 55 und 75 Jahre alt. „In diesen zwanzig Jahren sind zum Teil atemberaubend schöne Instrumente entstanden.“ Doch Schleske will kein Kopist sein. „Ich habe ein eigenes Modell entwickelt.“ Alles andere wäre auch bloß wieder Schablonen-Denken und -Arbeiten. Aber, fügt Schleske nicht ohne Stolz hinzu, es gebe einige Geiger, die ihre „Strad“ mittlerweile beiseite gelegt hätten, weil sie in einem Instrument aus dem Hause Schleske viel eher ihren persönlichen Klang gefunden hätten. Ein größeres Lob kann es für einen Geigenbauer kaum geben. Jeder Musiker habe die Sehnsucht, selbst Instrument zu sein und gespielt zu werden. Jeder Musiker wolle im Grunde singen, sei es durch eine Geige, eine Oboe oder durch die Klaviertasten. „Der Geigenbauer hat die Aufgabe, dem Musiker einen Klangkörper zu schaffen, der für ihn vertraut und inspirierend wird, dass er damit singen kann.“ Somit sei der schönste Moment für ihn, wenn er selbst zum Instrument werden könne, das diesen Klangkörper erschaffe. „Meine Hände sind meine Worte des Gebetes“, sagt Schleske, „was mit den Händen geschieht, ist eine Form von Beten.“ Die einzige und letzte Frage, die uns Gott stellen werde, laute: Wie haben wir mit dem, was wir tun, unsere Liebe der Welt gezeigt? „Da kommen wir im Tiefsten zu dem, wer wir sind, und an unsere Berufung. Ich glaube, das ist auch die einzige Frage, die vor Gott zählt. Deswegen ist es für mich eine Art von Gottesdienst, Instrumente zu bauen.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/martin-schleske-das-leben-ist-eine-geige-96279/
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