Stephanie zu Guttenberg: „Ich kämpfe wie eine Wilde“

Sexueller Missbrauch ist kein Phänomen, das nur in Kirchen oder einzelnen Schulen auftritt, sondern ein gesellschaftliches Problem. Stephanie zu Guttenberg fordert in ihrem Buch "Schaut nicht weg" dazu auf, bei einem unangenehmen und schmerzlichen Thema nicht wegzusehen, sondern Kindern Hilfe und Unterstützung zu geben. Am heutigen Mittwoch präsentiert sie ihren Ratgeber im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin.
Von PRO

Weltweit werden jedes Jahr 1,8 Millionen Kinder zu Pornografie und Prostitution gezwungen. Diese Zahlen ermittelte der Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung im Jahr 2008. Der Verein "Innocence in Danger" ("Unschuld in Gefahr") schätzt, dass in der Bundesrepublik Deutschland 50.000 Männer regelmäßig Kinderpornografie konsumieren. Und die Opfer werden immer jünger: 40 Prozent der betroffenen Kinder seien zwischen 3 und 6 Jahren alt, sagt der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke.

Stephanie zu Guttenberg ist seit sechs Jahren Präsidentin des Vereins "Innocence in Danger". Ihre beiden Kinder waren noch klein, als sie begann, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. "Bevor ich mich für ‚Innocence in Danger‘ engagiert habe, wusste ich nicht, wie stark verbreitet sexueller Missbrauch ist. Das wissen die meisten Menschen nicht, manche wollen es auch nicht wissen – weil es ein trauriges Thema ist. Tatsache ist aber: Sexueller Missbrauch an Kindern ist leider an der Tagesordnung in unserer Gesellschaft. Und die neuen Medien tragen dazu einen großen Teil bei. Vor allem durch das Internet ist der Pädokriminellen-Szene Tür und Tor geöffnet worden", sagt sie im Interview mit pro.

Das Netz sei zum Treffpunkt für Täter geworden, die kinderpornografische Materialien austauschen, verkaufen wollen oder sogar Kinder für sexuelle Kontakte anbieten. Entsprechend der rasanten Ausbreitung des Internet sei auch die Zahl kinderpornografischer Angebote gestiegen. Laut einer amerikanischen Untersuchung hat die Zahl der registrierten kinderpornografischen Abbildungen in den vergangenen 12 Jahren um 1.500 Prozent zugenommen.

Ein Kind muss acht Erwachsene ansprechen, bis ihm jemand glaubt

"Ich bin davon überzeugt, dass nur, wenn man sich den Einzelheiten dieses Themas stellt, man eine Chance hat, effektiv dagegen vorzugehen. Wenn wir Kinder stark machen, aber auch schützen vor Gefahren aus dem Internet, helfen wir ihnen, beispielsweise Täterstrategien rechtzeitig zu erkennen", erklärt zu Guttenberg gegenüber pro.

In ihrem Ratgeber "Schaut nicht weg" informiert sie über Auswirkungen und Täterprofile, aber auch über die seelischen und psychobiologischen Folgen, die sexuelle Missbrauchserfahrungen auf Kinder haben können. "Viele Betroffene werden das erlebte Trauma ihr Leben lang nie wieder los", hat sie durch zahlreiche Gespräche und Briefe erfahren. Die Mutter zweier Töchter fordert Erwachsene dazu auf, die Signale zu sehen und wo einVerdacht auftaucht, mit Zivilcourage zu handeln. Es sei eine traurige Erkenntnis, dass ein sexuell missbrauchtes Kind in Deutschland durchschnittlich acht Erwachsene ansprechen müsse, bis ihm jemand glaube. "Auch wenn es ein unangenehmes Thema ist, muss man sich diesen unbequemen Wahrheiten stellen, um effektiv dagegen vorzugehen. Wenn alle wegschauen, wird sich nichts ändern. Seit mir das klar geworden ist, kämpfe ich wie eine Wilde für die Rechte der Kinder in diesem Bereich."

Porno-Chic auf der Bühne

Sie prangert die Sexualisierung in der Gesellschaft, hauptsächlich in der Musikszene an. Kinder wachsen heute mit Stars auf, die sich auf der Bühne präsentierten, als ob sie einem Porno entsprungen seien. Künstlerinnen wie Madonna, Christina Aquilera oder Rihanna zeigten sich in Slip, BH und Lederstiefeln auf der Bühne oder im Latexkorsett mit Nietenarmbändern und inszenierten ihre Auftritte wie Darstellerinnen in einschlägigen Videos. Die Welt von Kindern sei heute überfrachtet mit sexuell aufgeladenen Bildern. Dazu komme der frühe Kontakt mit pornografischem Material in Videoclips oder Internetportalen. Diese Einflüsse führten bei jüngeren Teenagern zu einer großen Unsicherheit darüber, was Sexualität sei und wo diesbezüglich die eigenen Grenzen lägen.

Zu Guttenberg zitiert die Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm: "Die Kinder wissen einfach nicht, ob das Gezeigte der Realität entspricht. Durch Pornografie erhalten Kinder möglicherweise ein Bild von Sexualität, das sie verstört oder sogar im negativen Sinne prägt." Außerdem beobachtet Grimm, dass Pornos die Geschlechterrollen beeinflussen: "Gestützt vom Sexobjekt-Frauenbild in Popmusik, Werbung und Pornografie beginnen viele Mädchen, sich in einem eigenartig positiven Sinne als Sexobjekt zu definieren und dies als eine Form der Selbstbestätigung zu begreifen." Mädchen zögen also zunehmend Selbstbewusstsein daraus, Jungen als Sexobjekte zu dienen.

Sexualerziehung und Medienkompetenz machen Kinder stark

Die engagierte Vereinspräsidentin mahnt zu einem vorsichtigen Umgang mit den Medien, vor allem mit dem WorldWideWeb: "Das Internet kennt keine Moral, und dennoch erlauben wir unseren Kindern, dort alleine unterwegs zu sein." Sie fordert mehr Präventionsarbeit für einen verantwortlichen Umgang mit dem Internet. Sie ermutigt Eltern, sich schulen zu lassen, um nachvollziehen zu können, welche Erfahrungen die Kinder in der virtuellen Welt machen.

Zu Guttenberg plädiert für eine altersangemessene Sexualerziehung und gibt Eltern auch direkt Tipps, wie diese aussehen könnte. In dem Kapitel "Wie können wir unsere Kinder schützen" geht sie auf Fragen ein, die Eltern ihr bei den zahlreichen Vorträgen oft gestellt haben. Vor allem Väter seien durch die öffentliche Diskussion verunsichert, was sie noch dürfen und welche  körperlichen Zärtlichkeiten zwischen Vätern und Kindern zulässig seien. "Körperkontakt ist etwas Wichtiges und Schönes", er müsse aber für beide Seiten als angenehm empfunden werden und dürfe niemandem aufgezwungen werden, schreibt zu Guttenberg. Sie bezieht Stellung zu konkreten Situationen im Familienalltag und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Außerdem erklärt sie, welche Unterstützung Kinder mit sexuellen Gewalterfahrungen brauchen. Im Kapitel "Schnelle Tipps für Eltern" erfahren Mütter und Väter, wie sie konkret über sexuelle Gewalt mit Kindern reden können oder die Gefahren beim Chatten reduzieren können.

Stefanie zu Guttenberg spricht in den kommenden Tagen in mehreren Talkshows über sexuellen Missbrauch. Am Sonntag, 19. September ist sie im ZDF zu Gast bei Peter Hahne, am Dienstag, 21. September spricht sie in der ARD-Sendung "Menschen bei Maischberger" über das Thema.

Das Buch "Schaut nicht weg! Was  wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen" von Stephanie zu Guttenberg und Anne-Ev Ustorf ist im Kreuz-Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro. (pro)

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen