Theologe übersetzte Koran neu

Wer den Koran auf Deutsch lesen wollte, musste dafür bisher auf etwa 50 Jahre alte Übersetzungen zurückgreifen. Der Theologe und Orientalist Hartmut Bobzin arbeitete zehn Jahre lang an einer deutschen Übersetzung des Koran. In einem "Focus"-Interview spricht er über die beeindruckenden und die erschreckenden Seiten dieses Buches.
Von PRO

Um aus dem Koran zu zitieren, musste er auf die Übersetzung von Rudi Paret aus den 60er-Jahren zurückgreifen, erklärt der Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin im "Focus"-Interview. Die Übersetzung von Paret gelte als philologisch zuverlässig, sei aber für einen Laien schwer lesbar. Wie die meisten Koranübersetzungen sei sie sprachlich "abgeflacht". Das "Kernige, Unbequeme" an der Sprache des Koran werde gern ignoriert, sagt der Islamwissenschaftler aus Erlangen. Auch für ihn gäbe es Stellen, die er ungerne übersetze.

"Niemand übersetzt gerne, dass Frauen oder Ehebrecher ausgepeitscht werden sollen", erklärte Bobzin, der in Marburg evangelische Theologie, Religionswissenschaften, Semitistik und Indologie studierte. Auch vielen Muslimen seien derartige Textstellen peinlich. "Als Alternative kann man sich den Text modernistisch zu Recht biegen. Eine muslimische Feministin aus Köln übersetzt statt schlagen ‚trennt euch‘. Aber das ist nicht vom arabischen Text gedeckt", sagt er. Die Sure "Die Buße", Vers 9,73, übersetzt Bobzin so: "O Prophet! Bekämpfe die Ungläubigen und die Heuchler, und setze ihnen hart zu! Ihr Zufluchtsort ist die Hölle. Welch schlimmes Schicksal". Eine ältere Übersetzung derselben Passage von Muhammad Asad, Ahmad von Denffer und Yusuf Kuhn dagegen lautet: "O Prophet! Strenge dich hart an gegen die Leugner der Wahrheit und die Heuchler, und sei unnachgiebig ihnen gegenüber".

Als Übersetzer sei man zur Neutralität gegenüber dem Text verpflichtet, so wie er selbst sich in erster Linie dem Text und der Wahrheit verpflichtet fühle. "Es ist nicht meine Aufgabe, als Nicht-Muslim den Muslimen zu sagen, wie sie ihr heiliges Buch verstehen sollen".

Übersetzung vs. Interpretation

Bobzin erklärt, dass es im Koran viele Stellen gibt, von denen radikale Muslime meinten, sie würden die Zukunft vorwegnehmen. Eine Sure, die Ungläubigen das Feuer und den Tod in schmelzendem Metall androht, lässt einen sofort an das World Trade Center und den 11. September 2001 denken.  "Die Geschichte der Koranauslegung ist eben auch die Geschichte dessen, was in den Koran hineingelesen wird", bemerkt er. Die Begriffe "Heiliger Krieg" oder "Paradiesjungfrauen" gäbe es beispielsweise im Koran nicht.

Dass der Koran heute von Menschen gelesen und ausgelegt werden kann, die dafür nicht vorgebildet sind, sieht Bobzin als problematisch. Früher war die Interpretation dem Prediger überlassen, doch dieses Monopol besteht heute nicht mehr. Das sei der Grund dafür, dass Dschihad mit "Heiliger Krieg" übersetzt wird. In der Regel sei mit diesem Begriff im Koran die Anstrengung der Gläubigen auf dem Pfad der Gerechtigkeit gemeint. Dschihad könne aber auch Kampf bedeuten. "Durch die Verbindung beider Begriffe ist eine Radikalisierung des Koranverständnisses möglich geworden, die früher nicht denkbar gewesen wäre", sagte Bobzin gegenüber "Focus".

Bobzins Übersetzung erscheint am heutigen Dienstag im H.C. Beck-Verlag. Die Übersetzung beruht auf dem "Kairiner Koran", einer von westlichen Forschern anerkannten Textgrundlage, die als "philologisch zuverlässig" gilt. (pro)

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